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Brodersen, Kai; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Wahn Welt Bild: die Sammlung Prinzhorn ; Beiträge zur Museumseröffnung — Berlin, Heidelberg [u.a.], 46.2002

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4062#0136

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CH. Mundt

allzu weit entfernt war, hat heute der Schizophrenie zugeordnete Denk- und
Sprachstörungen beschrieben (vgl. Lenz und Wöyzeck von Büchner bei Crigh-
ton, 1998). Der Traum wurde damals als Erklärungsmodell verwendet, bevor
der „automatisme mental" (Viviani, 1999) nach der Entdeckung der Sprach-
zentren durch Broca und Wernicke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
durch die Spaltungs- bzw. heutigen Diskonnektivitätsmodelle abgelöst wurde.
Die folgende Abhandlung schildert dem nicht fachkundigen Leser kurz die
klinischen Phänomene schizophrener Sprachstörungen. Es folgt ein Gang
durch die deutschen und kontinentaleuropäischen theoretischen Ausformun-
gen der Interpretation dieser Sprachstörungen. Den Abschluss bilden Überle-
gungen zum Bedingungsgefüge sprachlicher Kreativität bei Schizophrenen
und Gesunden.

1. Die Klinik formaler Denkstörungen

Die Assoziationsauflockerung, die Eugen Bleuler und CG. Jung in ihren Assozi-
ationsstudien bei Schizophrenen gefunden hatten, wurden für Bleuler zu einem
zentralen Symptom der Schizophrenie, das die mentalen Spaltungs- und Degrada-
tionssphänomene der Schizophrenie am nachhaltigsten repräsentierte. Damit ver-
bunden sein können Klangassoziationen und die Sprunghaftigkeit des Denkens,
bei der die Sinngehalte abrupt und ohne erläuternden Übergang wechseln. Eine
Steigerung der Assoziationsauflockerung und Sprunghaftigkeit ist die Inkohärenz,
bei der der logische Zusammenhang von Satzteilen und Sätzen weitgehend verlo-
ren geht. Steigerungen zur Zerfahrenheit oder einem ratlosen Grübeln, das erregt
und auch sprachlos geworden sein kann, zeigen den gänzlichen Verlust einer ziel-
bestimmten Ausrichtung auf Sinnfindung an.

Die Manifestation dieser Sprachstörungen hängt stark vom Rededrang des
Patienten ab. Bei ausgeprägter Sprachverarmung und enger Dialogführung
durch einen Dialogpartner kann die Störung weitgehend verborgen bleiben
(vgl. Mundt, 1988). Der maximale Ausprägungsgrad der Sprachhemmung wird
als Mutismus bezeichnet, die augenblickliche Unterbrechung des Gedanken-
stroms als Sperrung.

Im Dialog kann sich Sprunghaftigkeit als sogenanntes Vorbeireden mani-
festieren, d.h. der Patient trifft mit seiner Antwort die Frage nicht genau.

Eine besondere Form aufgelockerter Sinnbezüge gibt es in der Sprache nicht
mehr akut kranker Schizophrener im Residualzustand. Diese Sprachform, von
Mayer-Gross als „woolly thinking" oder auch als „vague" bezeichnet, ist gewis-
sermaßen die zum dauerhaften Sprachstil in Ruhe gewordene assoziative Auf-
lockerung der akuten Psychose im Sinne Bleulers.

Verschiedene Formen von Wiederholung kommen in der Sprache Schizoph-
rener häufig vor, so die Sprachstereotypien; die Iterationen, das sind einfache
Wiederholungen von Wörtern oder Satzteilen; die Echolalie, mit der ein
Sprachstück des Gegenübers wiederholt wird; die Glossolalie, die eine Produk-
tion nicht sinnhaft gestalteter Silben und Wörter meint, bei der Wiederholun-
gen nicht notwendigerweise im Mittelpunkt stehen.
 
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