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„Daran muß man nicht denken."
„Man denkt aber daran, wenn man sich nah vor
solchem Wechsel weiß."
Alle sahen überrascht aus.
„Wie das, Herr von Treskow? Sie denken doch
nicht etwa daran, unser gastsreies Ulm zu verlassen?"
„Ich möchte nicht daran denken, und doch fürchte
ich, daß dringende Angelegenheiten mich sehr bald
schon nach der Schweiz rufen werden."
„Ah, ist es das Scheidensweh, das Sie so still
macht, so sei Ihnen verziehen," rief der muntere Herr
von Waldmeyer. „Ich verstehe Sie ganz! — So leeren
wir denn diesen Pokal darauf, daß dieses Scheiden
nur ein vorübergehendes sei, und was sich liebt, sich
wiederfinde."
Er setzte sein Glas an den Mund und leerte es
mit einem bezeichnenden Blick auf Treskow und Julin.
Dietrich hatte unmutig den Wein von sich ge-
schoben, ohne der Aufforderung Waldmeyers zu folgen.
„Schwätzer!" brummte er vor sich hin, und seine
Brauen "Zogen sich finster Zusammen. Wie Hohn legte
es sich um seinen Mund, als er, sich nun zu Seelen
wendend, mit hellklingender Stimme sprach:
„Jedenfalls wird der Herr von Treskow doch nicht
eher von uns scheiden, bis er mit uns das den Ulmern
bevorstehende seltene Schauspiel genossen, einen Preußen
hängen zu sehen."
Wie ein Blitzstrahl schlug dieses Wort in den
kleinen Kreis. Die jungen Mädchen erbleichten, in
Elfriedens Augen traten Thränen, Julias Hände aber
krampften sich unter dem Tisch zusammen, während
Seelen die Farbe wechselte und mühsam den Ausbruch
des in ihm aufsteigenden Zornes Zurückhielt.
„Psui, Cousin, das war häßlich von Ihnen," stieß
Julia zornig hervor. „Der Preuße ist mein und Herrn
voll Treskows Landsmann."
„Ein Mörder jedoch, ein ganz gewöhnlicher Mörder,
der den Strang reichlich verdient hat, elwre eoimine."
„Ein Offizier Seiner Majestät des Königs voll
Preußen," brauste Seelen nun auch auf, „der mein
und unseres Gastgebers, des Herrn von Heyden, Sou-
verän ist, dem wir Ehrfurcht schulden, vergessen Sie
das nicht, Herr Obervogt von Leipheim!"
„Und ich meine," mischte sich der junge Waldmeyer
besänftigend ein, „die Stadt Ulm dürfte sich wohl be-
sinnen, ehe sie einen so großen Kriegshelden, wie den
Köllig von Preußen, sich zum Feinde macht."
„Der Köllig von Preußen ist weit," lachte Dietrich,
„und Ulm steht unter dem Schutze Seiner Majestät
des Kaisers Franz in Wien. Die Gerechtigkeit ist auf
unserer Seite, und ich sage, der Favrat muß baumeln,
trotz der Einsprache des Königs von Preußen."
Julia hielt sich nicht mehr; sie schnellte empor und
stieß den Stuhl hinter sich zurück.
„Ich leide es nicht, Cousin, daß in meiner Gegen-
wart so despektirlich vom Könige von Preußen ge-
sprochen wird. — Geben Sie mir Ihren Arm, Herr
von Treskow, raumem wir Preußen hier das Feld!"
Man sprang aus, suchte sie zurückzuhalten - ver-
geblich. In wenigen Augenblicken waren sie zwischen
den den großen Raum füllenden Tischen den Blicken
der Zurückbleibenden entschwunden.
Dietrich suchte den Gleichgültigen zu spielen und
leerte mit kurzem Auslachen sein Glas.
„Weiberzorn, der bald verraucht, sie wird schon
wiederkommen."
Im Herzell jedoch sah es bei ihm ganz anders aus;
da stritt mit einer wilden Eifersucht gegen Treskow
das Verlangen, Julia wieder zu versöhnen. Schon
war seine Leidenschaft für das schöne Mädchen so ge-
wachsen, daß alle seine Gedanken, all sein Wünschen
und Hoffen sich nur noch um sie drehte. Diesen Aus-
gang seiner nur den Fremden zu ärgern bestimmten
Bemerkungen über Favrat hatte er keineswegs beab-
sichtigt.
„Die Gräfin hatte recht, fortzugehen," bemerkte
Waldmeyer, „wie kann man auch ein so trauriges
Thema hier beim fröhlichen Mahle berühren? Sehen
Sie nur, Ihre Schwester, Fräulein Elfriede, hat Thrä-
nen in den Augen."
„Und verdient er nicht unser Mitleid, der edle,
schöne Favrat?" kam Anna der tiefbewegten Freundin
zu Hilfe; „mein Verwandter dazu, o, Herr Obervogt,
zo von ihm Zu sprechen!"
„karäon," neigte sich Dietrich jetzt besänftigend
gegen das hübsche Mädchen, dem Elfriede in aufwallen-
der Dankbarkeit unter dem Tische die Hand drückte,
denn das schüchterne Kind fürchtete den herrischen
Bruder. „Ihre verwandtschaftlichen Gefühle wollte ich
gewiß nicht beleidigen, und auch nicht Ihre patrio-
tischen. Die Frage, ob jener preußische Offizier, für
den Herr von Treskow und uotro dello oousiuo sich
so ins Zeug legten, von uns Ulmern gehängt werden
soll oder nicht, ist keine persönliche, sondern eine po-
litische. Hier handelt es sich allein um das Recht der
freien Reichsstadt Ulm, einen Menschen, der einen
Ulmer Bürger getötet hat, hinrichten zu lassen, wie
es das Gesetz fordert, gleichviel, ob er Preuße und
Illustrirte Welt.
Offizier im Dienst der Preußischen Majestät ist oder
ein einfacher Bürger irgend eines andern Staates.
In diesem Falle Rücksicht nehmen, hieße sich der
preußischen Suprematie beugen, und das werden die
freien Ulmer nie!"
„Hören Sie auf!" unterbrach ihn Anna nun, „oder
wollen Sie, daß auch ich vom Tische aufstehe und
meinen Herrn Vater herrnfe, den politischen Disput
weiter zu führen?"
„Mein gnädiges Fräulein!" bat nun der junge
Waldmeyer, ihre Hand ergreifend, „ich bitte, pardon-
niren Sie den Unbesonnenen. Soll uns denn wirklich
der ganze Abend verdorben werden, nur weil der Herr
Obervogt von Leipheim übel gelaunt ist? Wir ver-
stehen den Grund und sind nachsichtig."
Dietrich biß sich aus die Lippen; aber er hielt es
doch auch für geboten, hier im Hause des preußischen
Ministerresidenten sich Zurückzuhalten. Am liebsten
hätte er den Tisch verlassen, aber andere traten hinzu,
die leergewordenen Plätze von Seelen und Julia ein-
zunehmen - - nähere Bekannte - und so mußte er bleiben.
Unterdessen war es diesen gelungen, in einem der
anstoßenden, jetzt völlig leeren Gemächer einen ver-
borgenen Erkerplatz Zu finden, in dem sie unbemerkt
waren.
Hier ergriff Julia mit leidenschaftlicher Bewegung
Seelens Hand:
„Um Gottes willen sagen Sie, was ist an dem
allen wahr? Ist Favrats Leben wirklich so nahe schon
bedroht?"
„Leider ja, Gräfin. Es ist kein Zweifel mehr, daß
König Friedrichs Schreiben eine ablehnende Antwort
erhält, und um weitere Einwendungen zu vermeiden,
denkt der Magistrat von Ulm daran, die Exekution
zu beschleunigen."
Julia sank auf eineu Sessel, sie raug nach Atem.
. „Und das — das sprechen Sie so gelassen aus?
Und wir haben noch nichts zur Flucht für deu Un-
glücklichen bereitet?"
„O doch, Gräfin, es ist alles dazu bereit."
„Und ich wußte nichts. Sie ließen mich ohne Nach-
richt? — O, wie grausam!"
„Nicht grausam, Gräfin, nur vorsichtig. Sie kennen
die Argusaugeu, die unfern Verkehr bewachen. Ich
durfte es nicht wagen. Sie in Ihrem Hause aufzu-
suchen. So verstand sich denn Herr von Heyden dazu,
dieses Fest zu veranstalten."
„Damit wir unausfüllig mit einander sprechen
können? O, jetzt verstehe ich alles! Doch nun er-
klären Sic mir, was ist gethan, wobei können Sie
meine Hilfe, das Einsetzen meiner Person gebrauchen?
Ich hoffe doch. Sie haben bei Ihrem Besreiungswerke
auch an mich gedacht?"
„Ja, Gräfin," entgegnete Seelen ernst. „Wir
rechnen aus Ihren ganzen Mut, Ihre ganze Thatkraft."
„Und was soll ich thun?"
Noch näher neigte er sich Zu ihr und sprach im
leisesten Flüstertöne:
„Lassen L>ie sich zuerst berichten, daß es uns ge-
lungen ist, durch Geld und gute Worte den Stadt-
lieutenant, Befehlshaber der Stadtmiliz, für unsere
Sache zu gewinnen. Der Mann ist Schweizer von
Geburt, von nicht zu festen Grundsätzen und durch
verschwenderische Gewohnheiten in Schulden geraten,
die ihm über kurz oder lang seinen Posten kosten
würden. So griff er denn nach nicht zu langem Be-
sinnen zu dem, was wir ihm im Namen Seiner Maje-
stät von Preußen bieten konnten. Mit feiner Hilfe ist
denn auch bereits alles bestens eiugeleitet. Erübrigt
nur noch, dem Gefangenen die zur Flucht nötigeu
Gegenstände, wie Strickleiter, Feile, Scheidewasser und
so weiter unbemerkt zuzustellen und die erforderlichen
Anweisungen für die Flucht selbst zugehen zu lassen."
„Und Zu dem Boten, der diesen Auftrag ausrichteu
soll, haben Sie mich ausersehen?" fragte Julia mit
fieberhaft glühenden Wangen. „Wie aber wird es mir
möglich sein, zu ihm zu gelangen?"
„Sie wissen, daß jedem Verurteilten das Recht zu-
steht, sich durch einen Geistlichen seiner Konfession Zum
letzten Gange vorbereiten zu lassen. Dieser Geistliche
werden Sie sein."
„Ah, ich fange an zu begreifen."
„Favrat nun," fuhr Seelen hastig fort, „gehört
dem calvinistischen Bekenntnisse an; einen Prediger
dieses Bekenntnisses gibt es jedoch in Ulm nicht. Und
da man seinen Pflichten gegen den preußischen Offizier
aufs strengste nachkommen möchte, so hat man des Re-
sidenten Anerbieten acceptirt, einen demselben bekannten
jungen Geistlichen dieses Bekenntnisses aus der Schweiz
kommen zu lassen."
„Sehr gut," flüsterte Julia mit beistimmendem Kopf-
nicken. „Und die nötigen Papiere?"
„Sie werden zur Zeit zu Ihrer Verfügung sein.
Unser trefflicher Resident hat das alles aufs beste be-
sorgt. Ueberdem ist der Stadtlieutenant der Vermittler
beim Magistrat. Er wird voraussichtlich den Einlaß-
schein persönlich ausstellen und den Geistlichen unter
seine besondere Aufsicht nehmen. Sie sehen, Gräfin,
das Spiel ist ernst. Es geht uns an das Leben. Noch
haben Sie Zeit zu überlegen."
„Ich habe nichts Zu überlegen. Sie dürfen jeder-
zeit über mich verfügen."
Sie hatte sich erhoben, ihr Antlitz strahlte von
Mut und Entschlossenheit. Ein Blick der Bewunderung
aus Seelens Augen traf sie.
„Sie sind ein großsinniges Weib, Gräfin; Favrat
ist, ob wir nun siegen oder sterben, um solche Liebe
zu beneiden."
„Ich fürchte, wir müssen Zur Gesellschaft zurück-
kehren," mahnte Julia. „Man überrascht uns sonst
noch, wie damals in Leipheim, und Vetter Dietrich
läßt uns Sottisen hören."
„Einen Moment noch, Gräfin. Wir haben noch
etwas von Ihnen zu erbitten."
„Und das wäre?"
„Wir bedürfen für die Nacht der Flucht eines
Nachens, der uns ins Württemberger Land hinüber-
führt. An die der Stadt gehörigen Boote ist nicht
zu denken, die Mietskühue sind nicht leicht genug, nur
im Falle der Entdeckung und Verfolgung ein Ent-
kommen möglich Zu machen. Ein einziger besitzt ein,
deu städtischen gleichwertiges, vielleicht überlegenes
Boot, Ihr Vetter, der Obervogt von Leipheim."
„Es wird für uns bereit sein, verlassen Sie sich
auf mich, Seelen."
„Trauen Sie sich auch nicht zu viel zu, Gräfiu?"
„Ich hoffe, nein. Rühmt man sonst meine Macht
über Männerherzen, so wird sie mich diesmal doch
nicht im Stich lassen."
„Bedenken Sie indessen eines, Gräfin, Ihr Vetter-
liebt Sie ernsthaft, und das könnte mir beinahe
Mitleid für ihn einflößen."
„Diesesmal muß ich mich Zn dem jesuitischen Grund-
sätze bekennen: der Zweck heiligt die Mittel. Ist Ko-
ketterie, die man mir ja nachsagt, gut angewandt, so
hier, wo es gilt, ein teures Leben zu retten."
„Aber Vorsicht, Gräfin, Vorsicht! Ein Mißerfolg
hieße auch hier Tod und Verderben für ihn — für
uns!"
„Ich weiß, ich weiß," unterbrach sie ihn ungeduldig.
„Jetzt nur noch eine Frage: Wie erhalte ich die Gegen-
stände, von denen Sie vorhin sprachen?"
„Durch Fräulein von Heyden, als eine Sendung
aus Berlin von der Prinzessin Amalie. Es ist alles
sertiggestellt."
Prinzessin Amalie! In Julia stieg bei Nennung
dieses Namens die Erinnerung an den Bries ans, den
sie von ihr erhalten, an die Mitteilungen über Seelens
Frau, und ein inniges Mitgefühl mit dem Manne
überwallte sie, der hier für die Sache seines Königs
und eines unglücklichen Kameraden so tapfer eintrat
und dabei in Gefahr stand, das Herz seiner Frau zu
verlieren.
„Wissen Sie denn, Seelen," kam es ihr fast un-
willkürlich über die Lippen, „was der teuren Prinzessin
Brief enthielt? Man klagt uns beide in Berlin an,
in unerlaubter Liebe für einander entbrannt zu sein."
„Ah, wirklich?" sagte er, und eine Wolke tiefer
Schwermut breitete sich über seine sonst so klare Stirn.
„Ich danke Ihnen, Gräfiu, daß Sie mir davon Mit-
teilung machen. Jetzt wird mir manches klar!"
„So hat man auch Ihnen davon geschrieben?"
„Nicht direkt," entgegnete er bitter. „Meine Frau
ist erzürnt über mich, schreibt mir der gute General,
und fügt die Warnung hinzu, ich möchte hier in Ulm
doch an nichts anderes als an die Erledigung meiner
Pflicht denken, und alle Angelegenheiten mit dem
Frauenzimmer beiseite lassen. Als wenn ich an etwas
anderes dächte, seit ich Berlin verlassen habe, als an
mein dem König gegebenes Wort, und an Weib und
Kind!"
Seine Stimme zitterte wie in Wemut.
„Armer Freund," sagte sie leise, „und doch müssen
wir schweigen und abwarten."
„Ja, Gräfin, schweigen und abwarten. Und den-
noch, das arme Weib daheim! Sie war immer zur
Eifersucht geueigt. Aber doch hätte sie irr den zehn
Jahren unserer Ehe lernen können, mir besser zu ver-
trauen. Aber so sind sie alle, die Frauen, schwach in
der Liebe."
„Alle?"
„Wenn sie nicht eine so freie und kühne Seele be-
sitzen, wie Sie, Gräfin."
„Deren Freiheit und Kühnheit Sie aber auch schon
oft gefährlich nannten."
„Ist es nicht gefährlich für jeden Menschen und
mehr noch für ein Weib, wie Sie, Gräfin, über die
Alltäglichkeit sich emporzuschwingen zu einer Freiheit,
wo man nnr noch nach dem Gesetze in der eigenen
Brust fragt?"
„Dem "göttlichen Gesetze," warf sie mit glänzenden
Augen ein, „das da am reinsten sich offenbart, wo
Vorurteile es nicht einengen."
Im Speisesaale hörte man Tische rücken, Seelen
und Julia verließen ihr Versteck und mischten sich unter
die anderen Gäste.
„Daran muß man nicht denken."
„Man denkt aber daran, wenn man sich nah vor
solchem Wechsel weiß."
Alle sahen überrascht aus.
„Wie das, Herr von Treskow? Sie denken doch
nicht etwa daran, unser gastsreies Ulm zu verlassen?"
„Ich möchte nicht daran denken, und doch fürchte
ich, daß dringende Angelegenheiten mich sehr bald
schon nach der Schweiz rufen werden."
„Ah, ist es das Scheidensweh, das Sie so still
macht, so sei Ihnen verziehen," rief der muntere Herr
von Waldmeyer. „Ich verstehe Sie ganz! — So leeren
wir denn diesen Pokal darauf, daß dieses Scheiden
nur ein vorübergehendes sei, und was sich liebt, sich
wiederfinde."
Er setzte sein Glas an den Mund und leerte es
mit einem bezeichnenden Blick auf Treskow und Julin.
Dietrich hatte unmutig den Wein von sich ge-
schoben, ohne der Aufforderung Waldmeyers zu folgen.
„Schwätzer!" brummte er vor sich hin, und seine
Brauen "Zogen sich finster Zusammen. Wie Hohn legte
es sich um seinen Mund, als er, sich nun zu Seelen
wendend, mit hellklingender Stimme sprach:
„Jedenfalls wird der Herr von Treskow doch nicht
eher von uns scheiden, bis er mit uns das den Ulmern
bevorstehende seltene Schauspiel genossen, einen Preußen
hängen zu sehen."
Wie ein Blitzstrahl schlug dieses Wort in den
kleinen Kreis. Die jungen Mädchen erbleichten, in
Elfriedens Augen traten Thränen, Julias Hände aber
krampften sich unter dem Tisch zusammen, während
Seelen die Farbe wechselte und mühsam den Ausbruch
des in ihm aufsteigenden Zornes Zurückhielt.
„Psui, Cousin, das war häßlich von Ihnen," stieß
Julia zornig hervor. „Der Preuße ist mein und Herrn
voll Treskows Landsmann."
„Ein Mörder jedoch, ein ganz gewöhnlicher Mörder,
der den Strang reichlich verdient hat, elwre eoimine."
„Ein Offizier Seiner Majestät des Königs voll
Preußen," brauste Seelen nun auch auf, „der mein
und unseres Gastgebers, des Herrn von Heyden, Sou-
verän ist, dem wir Ehrfurcht schulden, vergessen Sie
das nicht, Herr Obervogt von Leipheim!"
„Und ich meine," mischte sich der junge Waldmeyer
besänftigend ein, „die Stadt Ulm dürfte sich wohl be-
sinnen, ehe sie einen so großen Kriegshelden, wie den
Köllig von Preußen, sich zum Feinde macht."
„Der Köllig von Preußen ist weit," lachte Dietrich,
„und Ulm steht unter dem Schutze Seiner Majestät
des Kaisers Franz in Wien. Die Gerechtigkeit ist auf
unserer Seite, und ich sage, der Favrat muß baumeln,
trotz der Einsprache des Königs von Preußen."
Julia hielt sich nicht mehr; sie schnellte empor und
stieß den Stuhl hinter sich zurück.
„Ich leide es nicht, Cousin, daß in meiner Gegen-
wart so despektirlich vom Könige von Preußen ge-
sprochen wird. — Geben Sie mir Ihren Arm, Herr
von Treskow, raumem wir Preußen hier das Feld!"
Man sprang aus, suchte sie zurückzuhalten - ver-
geblich. In wenigen Augenblicken waren sie zwischen
den den großen Raum füllenden Tischen den Blicken
der Zurückbleibenden entschwunden.
Dietrich suchte den Gleichgültigen zu spielen und
leerte mit kurzem Auslachen sein Glas.
„Weiberzorn, der bald verraucht, sie wird schon
wiederkommen."
Im Herzell jedoch sah es bei ihm ganz anders aus;
da stritt mit einer wilden Eifersucht gegen Treskow
das Verlangen, Julia wieder zu versöhnen. Schon
war seine Leidenschaft für das schöne Mädchen so ge-
wachsen, daß alle seine Gedanken, all sein Wünschen
und Hoffen sich nur noch um sie drehte. Diesen Aus-
gang seiner nur den Fremden zu ärgern bestimmten
Bemerkungen über Favrat hatte er keineswegs beab-
sichtigt.
„Die Gräfin hatte recht, fortzugehen," bemerkte
Waldmeyer, „wie kann man auch ein so trauriges
Thema hier beim fröhlichen Mahle berühren? Sehen
Sie nur, Ihre Schwester, Fräulein Elfriede, hat Thrä-
nen in den Augen."
„Und verdient er nicht unser Mitleid, der edle,
schöne Favrat?" kam Anna der tiefbewegten Freundin
zu Hilfe; „mein Verwandter dazu, o, Herr Obervogt,
zo von ihm Zu sprechen!"
„karäon," neigte sich Dietrich jetzt besänftigend
gegen das hübsche Mädchen, dem Elfriede in aufwallen-
der Dankbarkeit unter dem Tische die Hand drückte,
denn das schüchterne Kind fürchtete den herrischen
Bruder. „Ihre verwandtschaftlichen Gefühle wollte ich
gewiß nicht beleidigen, und auch nicht Ihre patrio-
tischen. Die Frage, ob jener preußische Offizier, für
den Herr von Treskow und uotro dello oousiuo sich
so ins Zeug legten, von uns Ulmern gehängt werden
soll oder nicht, ist keine persönliche, sondern eine po-
litische. Hier handelt es sich allein um das Recht der
freien Reichsstadt Ulm, einen Menschen, der einen
Ulmer Bürger getötet hat, hinrichten zu lassen, wie
es das Gesetz fordert, gleichviel, ob er Preuße und
Illustrirte Welt.
Offizier im Dienst der Preußischen Majestät ist oder
ein einfacher Bürger irgend eines andern Staates.
In diesem Falle Rücksicht nehmen, hieße sich der
preußischen Suprematie beugen, und das werden die
freien Ulmer nie!"
„Hören Sie auf!" unterbrach ihn Anna nun, „oder
wollen Sie, daß auch ich vom Tische aufstehe und
meinen Herrn Vater herrnfe, den politischen Disput
weiter zu führen?"
„Mein gnädiges Fräulein!" bat nun der junge
Waldmeyer, ihre Hand ergreifend, „ich bitte, pardon-
niren Sie den Unbesonnenen. Soll uns denn wirklich
der ganze Abend verdorben werden, nur weil der Herr
Obervogt von Leipheim übel gelaunt ist? Wir ver-
stehen den Grund und sind nachsichtig."
Dietrich biß sich aus die Lippen; aber er hielt es
doch auch für geboten, hier im Hause des preußischen
Ministerresidenten sich Zurückzuhalten. Am liebsten
hätte er den Tisch verlassen, aber andere traten hinzu,
die leergewordenen Plätze von Seelen und Julia ein-
zunehmen - - nähere Bekannte - und so mußte er bleiben.
Unterdessen war es diesen gelungen, in einem der
anstoßenden, jetzt völlig leeren Gemächer einen ver-
borgenen Erkerplatz Zu finden, in dem sie unbemerkt
waren.
Hier ergriff Julia mit leidenschaftlicher Bewegung
Seelens Hand:
„Um Gottes willen sagen Sie, was ist an dem
allen wahr? Ist Favrats Leben wirklich so nahe schon
bedroht?"
„Leider ja, Gräfin. Es ist kein Zweifel mehr, daß
König Friedrichs Schreiben eine ablehnende Antwort
erhält, und um weitere Einwendungen zu vermeiden,
denkt der Magistrat von Ulm daran, die Exekution
zu beschleunigen."
Julia sank auf eineu Sessel, sie raug nach Atem.
. „Und das — das sprechen Sie so gelassen aus?
Und wir haben noch nichts zur Flucht für deu Un-
glücklichen bereitet?"
„O doch, Gräfin, es ist alles dazu bereit."
„Und ich wußte nichts. Sie ließen mich ohne Nach-
richt? — O, wie grausam!"
„Nicht grausam, Gräfin, nur vorsichtig. Sie kennen
die Argusaugeu, die unfern Verkehr bewachen. Ich
durfte es nicht wagen. Sie in Ihrem Hause aufzu-
suchen. So verstand sich denn Herr von Heyden dazu,
dieses Fest zu veranstalten."
„Damit wir unausfüllig mit einander sprechen
können? O, jetzt verstehe ich alles! Doch nun er-
klären Sic mir, was ist gethan, wobei können Sie
meine Hilfe, das Einsetzen meiner Person gebrauchen?
Ich hoffe doch. Sie haben bei Ihrem Besreiungswerke
auch an mich gedacht?"
„Ja, Gräfin," entgegnete Seelen ernst. „Wir
rechnen aus Ihren ganzen Mut, Ihre ganze Thatkraft."
„Und was soll ich thun?"
Noch näher neigte er sich Zu ihr und sprach im
leisesten Flüstertöne:
„Lassen L>ie sich zuerst berichten, daß es uns ge-
lungen ist, durch Geld und gute Worte den Stadt-
lieutenant, Befehlshaber der Stadtmiliz, für unsere
Sache zu gewinnen. Der Mann ist Schweizer von
Geburt, von nicht zu festen Grundsätzen und durch
verschwenderische Gewohnheiten in Schulden geraten,
die ihm über kurz oder lang seinen Posten kosten
würden. So griff er denn nach nicht zu langem Be-
sinnen zu dem, was wir ihm im Namen Seiner Maje-
stät von Preußen bieten konnten. Mit feiner Hilfe ist
denn auch bereits alles bestens eiugeleitet. Erübrigt
nur noch, dem Gefangenen die zur Flucht nötigeu
Gegenstände, wie Strickleiter, Feile, Scheidewasser und
so weiter unbemerkt zuzustellen und die erforderlichen
Anweisungen für die Flucht selbst zugehen zu lassen."
„Und Zu dem Boten, der diesen Auftrag ausrichteu
soll, haben Sie mich ausersehen?" fragte Julia mit
fieberhaft glühenden Wangen. „Wie aber wird es mir
möglich sein, zu ihm zu gelangen?"
„Sie wissen, daß jedem Verurteilten das Recht zu-
steht, sich durch einen Geistlichen seiner Konfession Zum
letzten Gange vorbereiten zu lassen. Dieser Geistliche
werden Sie sein."
„Ah, ich fange an zu begreifen."
„Favrat nun," fuhr Seelen hastig fort, „gehört
dem calvinistischen Bekenntnisse an; einen Prediger
dieses Bekenntnisses gibt es jedoch in Ulm nicht. Und
da man seinen Pflichten gegen den preußischen Offizier
aufs strengste nachkommen möchte, so hat man des Re-
sidenten Anerbieten acceptirt, einen demselben bekannten
jungen Geistlichen dieses Bekenntnisses aus der Schweiz
kommen zu lassen."
„Sehr gut," flüsterte Julia mit beistimmendem Kopf-
nicken. „Und die nötigen Papiere?"
„Sie werden zur Zeit zu Ihrer Verfügung sein.
Unser trefflicher Resident hat das alles aufs beste be-
sorgt. Ueberdem ist der Stadtlieutenant der Vermittler
beim Magistrat. Er wird voraussichtlich den Einlaß-
schein persönlich ausstellen und den Geistlichen unter
seine besondere Aufsicht nehmen. Sie sehen, Gräfin,
das Spiel ist ernst. Es geht uns an das Leben. Noch
haben Sie Zeit zu überlegen."
„Ich habe nichts Zu überlegen. Sie dürfen jeder-
zeit über mich verfügen."
Sie hatte sich erhoben, ihr Antlitz strahlte von
Mut und Entschlossenheit. Ein Blick der Bewunderung
aus Seelens Augen traf sie.
„Sie sind ein großsinniges Weib, Gräfin; Favrat
ist, ob wir nun siegen oder sterben, um solche Liebe
zu beneiden."
„Ich fürchte, wir müssen Zur Gesellschaft zurück-
kehren," mahnte Julia. „Man überrascht uns sonst
noch, wie damals in Leipheim, und Vetter Dietrich
läßt uns Sottisen hören."
„Einen Moment noch, Gräfin. Wir haben noch
etwas von Ihnen zu erbitten."
„Und das wäre?"
„Wir bedürfen für die Nacht der Flucht eines
Nachens, der uns ins Württemberger Land hinüber-
führt. An die der Stadt gehörigen Boote ist nicht
zu denken, die Mietskühue sind nicht leicht genug, nur
im Falle der Entdeckung und Verfolgung ein Ent-
kommen möglich Zu machen. Ein einziger besitzt ein,
deu städtischen gleichwertiges, vielleicht überlegenes
Boot, Ihr Vetter, der Obervogt von Leipheim."
„Es wird für uns bereit sein, verlassen Sie sich
auf mich, Seelen."
„Trauen Sie sich auch nicht zu viel zu, Gräfiu?"
„Ich hoffe, nein. Rühmt man sonst meine Macht
über Männerherzen, so wird sie mich diesmal doch
nicht im Stich lassen."
„Bedenken Sie indessen eines, Gräfin, Ihr Vetter-
liebt Sie ernsthaft, und das könnte mir beinahe
Mitleid für ihn einflößen."
„Diesesmal muß ich mich Zn dem jesuitischen Grund-
sätze bekennen: der Zweck heiligt die Mittel. Ist Ko-
ketterie, die man mir ja nachsagt, gut angewandt, so
hier, wo es gilt, ein teures Leben zu retten."
„Aber Vorsicht, Gräfin, Vorsicht! Ein Mißerfolg
hieße auch hier Tod und Verderben für ihn — für
uns!"
„Ich weiß, ich weiß," unterbrach sie ihn ungeduldig.
„Jetzt nur noch eine Frage: Wie erhalte ich die Gegen-
stände, von denen Sie vorhin sprachen?"
„Durch Fräulein von Heyden, als eine Sendung
aus Berlin von der Prinzessin Amalie. Es ist alles
sertiggestellt."
Prinzessin Amalie! In Julia stieg bei Nennung
dieses Namens die Erinnerung an den Bries ans, den
sie von ihr erhalten, an die Mitteilungen über Seelens
Frau, und ein inniges Mitgefühl mit dem Manne
überwallte sie, der hier für die Sache seines Königs
und eines unglücklichen Kameraden so tapfer eintrat
und dabei in Gefahr stand, das Herz seiner Frau zu
verlieren.
„Wissen Sie denn, Seelen," kam es ihr fast un-
willkürlich über die Lippen, „was der teuren Prinzessin
Brief enthielt? Man klagt uns beide in Berlin an,
in unerlaubter Liebe für einander entbrannt zu sein."
„Ah, wirklich?" sagte er, und eine Wolke tiefer
Schwermut breitete sich über seine sonst so klare Stirn.
„Ich danke Ihnen, Gräfiu, daß Sie mir davon Mit-
teilung machen. Jetzt wird mir manches klar!"
„So hat man auch Ihnen davon geschrieben?"
„Nicht direkt," entgegnete er bitter. „Meine Frau
ist erzürnt über mich, schreibt mir der gute General,
und fügt die Warnung hinzu, ich möchte hier in Ulm
doch an nichts anderes als an die Erledigung meiner
Pflicht denken, und alle Angelegenheiten mit dem
Frauenzimmer beiseite lassen. Als wenn ich an etwas
anderes dächte, seit ich Berlin verlassen habe, als an
mein dem König gegebenes Wort, und an Weib und
Kind!"
Seine Stimme zitterte wie in Wemut.
„Armer Freund," sagte sie leise, „und doch müssen
wir schweigen und abwarten."
„Ja, Gräfin, schweigen und abwarten. Und den-
noch, das arme Weib daheim! Sie war immer zur
Eifersucht geueigt. Aber doch hätte sie irr den zehn
Jahren unserer Ehe lernen können, mir besser zu ver-
trauen. Aber so sind sie alle, die Frauen, schwach in
der Liebe."
„Alle?"
„Wenn sie nicht eine so freie und kühne Seele be-
sitzen, wie Sie, Gräfin."
„Deren Freiheit und Kühnheit Sie aber auch schon
oft gefährlich nannten."
„Ist es nicht gefährlich für jeden Menschen und
mehr noch für ein Weib, wie Sie, Gräfin, über die
Alltäglichkeit sich emporzuschwingen zu einer Freiheit,
wo man nnr noch nach dem Gesetze in der eigenen
Brust fragt?"
„Dem "göttlichen Gesetze," warf sie mit glänzenden
Augen ein, „das da am reinsten sich offenbart, wo
Vorurteile es nicht einengen."
Im Speisesaale hörte man Tische rücken, Seelen
und Julia verließen ihr Versteck und mischten sich unter
die anderen Gäste.