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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

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I.1
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Freud, Sigmund: Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0030

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Sigm. Freud

diesen, nach unserem Maßstabe sonst recht unsittlichen Wilden be-
handelt werden.
»In Australia the regulär penalty for sexual intercourse with
a person of a forbidden clan is death. It matters not whether the
woman be of the same local group or has been captured in war
from another tribe,- a man of the wrong clan who uses her as his
wife is hunted down and killed by his clansmen, and so is the
woman,- though in some cases, if they succeed in eluding capture
for a certain time, the offence may be condoned. In the Ta-Ta-thi
tribe, New South Wales, in the rare cases which occur, the man
is killed but the woman is only beaten or speared, or both, tili she
is nearly dead,- the reason given for not actually killing her being
that she was probably coerced. Even in casual amours the clan
prohibitions are strictly observed, any violations of these pro-
hibitions »are regarded with the utmost abhorrence and are punished
by death <H o w i 11>.«
b) Da dieselbe harte Bestrafung auch gegen flüchtige Lieb-
schaften geübt wird, die nicht zur Kindererzeugung geführt haben,
so werden andere, z. B. praktische Motive des Verbotes unwahr-
scheinlich.
c) Da der Totem hereditär ist und durch die Heirat nicht
verändert wird, so lassen sich die Folgen des Verbotes etwa bei
mütterlicher Erblichkeit leicht übersehen. Gehört der Mann z. B.
einem Clan mit dem Totem Känguruh an und heiratet eine
Frau vom Totem Emu, so sind die Kinder, Knaben und Mädchen,
alle Emu. Einem Sohne dieser Ehe wird also durch die Tötern^
regel der inzestuöse Verkehr mit seiner Mutter und seinen Schwestern,
die Emu sind wie er, unmöglich gemacht*.
d) Es bedarf aber nur einer Mahnung, um einzusehen, daß
die mit dem Totem verbundene Exogamie mehr leistet, also mehr
bezweckt, als die Verhütung des Inzests mit Mutter und Schwestern.
Sie macht dem Manne auch die sexuelle Vereinigung mit allen
Frauen seiner eigenen Sippe unmöglich, also mit einer Anzahl von
weiblichen Personen, die ihm nicht blutsverwandt sind, indem sie
alle diese Frauen wie Blutsverwandte behandelt. Die psychologische
Berechtigung dieser großartigen Einschränkung, die weit über alles
hinausgeht, was sich ihr bei zivilisierten Völkern an die Seite stellen
läßt, ist zunächst nicht ersichtlich. Man glaubt nur zu verstehen,
daß die Rolle des Totem <Tieres> als Ahnherrn dabei sehr ernst
genommen wird. Alles, was von dem gleichen Totem abstammt,
* Dem Vater, der Känguruh ist, wird aber — wenigstens durch dieses
Verbot ~ der In2est mit seinen Töchtern, die Emu sind, frei gelassen. Bei väter--
lieber Vererbung des Totem wäre der Vater Känguruh, die Kinder gleichfalls
Känguruh, dem Vater würde dann der In2est mit den Töchtern verboten sein,
dem Sohne der In2est mit der Mutter freibleiben. Diese Erfolge der Totemverbote
ergeben einen Hinweis darauf, daß die mütterliche Vererbung älter ist als die
väterliche, denn es liegt Grund vor anzunehmen, daß die Totemverbote vor
allem gegen die inzestuösen Gelüste des Sohnes gerichtet sind.
 
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