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Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik — 2.1888

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Schrank, Ludwig: Charakteristik im Porträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.42282#0414

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Charaktoristik im Porträt.

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ganz denselben Regeln und ästhetischen Gesetzen unterliegen,
nach denen man auch die Schöpfungen der Malerei und Sculptur
beurtheilt.
Wie diese Künste aber weite Gebiete von ganz verschie-
denem inneren Werthe umfassen, wie es z. B. dem Bildhauer
gelingt, seinen Thon oder Stein mehr oder weniger zu durch-
geistigen, so kann auch die Photographie entweder eine ge-
dankenlose Abschrift der Natur sein — wobei der Photograph
gewissermassen dem Objectiv seinen Willen lässt — oder ein
Kunstwerk im höheren Sinne, wenn der Operateur sich zuerst
klar wird, wie er sein Modell zu behandeln hat, um ein ge-
wisses Ideal zu erreichen, nämlich ein solche Anordnung zu
treffen dass unter Beibehaltung der Naturwahrheit die Ver-
theilung von Licht und Schatten, die Abgrenzung und wie
die. übrigen Mittel heissen mögen, einen lieblichen oder feier-
lichen Eindruck auf den Beschauer hervorbringen — was man
mit dem Ausdruck „Stimmung“ bezeichnet.
Im Porträt hat der Photograph gegenüber dem Maler die
Treffsicherheit voraus, letzterer den Reiz der Farbe, die Mög-
lichkeit, irgend einen gewünschten Ausdruck festzuhalten und
endlich auch den gewichtigen Umstand, dass ihm sein Modell
weit länger zu Gebote steht. Während man dem Photographen
nur wenige Augenblicke gönnt, um eine Aufnahme zu vollenden
und hinterher eine „angenehme Aehnlichkeit, eine frappante
Charakteristik, tadellose Anordnung der Draperie und des
Beiwerks“ beansprucht, hat der Zeichner hinlänglich Zeit, sich
sein Modell anzusehen, im Gespräche gewisse, den Ausdruck
verschönernde Effecte zu studiren, ja wenn ihm eine Contour
nicht behagt, sie zu verlöschen und seinen Gegenstand unter
einem ganz anderen Gesichtspunkte oder Lichteinfall nochmals
auf die Leinwand zu bringen.
Diese Hast des ganzen Processes, die vom Photographen
verlangt wird, ist wohl die Hauptschuld, dass manche Bilder
nicht jene Vollendung erlangen, welche sie unter anderen
Umständen erreichen könnten.
Es ist für die Charakteristik eines Kopfes, namentlich
eines unsymmetrisch gebauten, gar nicht gleiehgiltig, ob das
Lieht von der rechten oder linken Seite einfällt, und ich habe
bei Porträtaufnahmen nie unterlassen, vor Einlegung der Platte
das Modell in meinem Nordfrontatelier einmal am östlichen
Ende und dann an der westlichen Wand aufzustellen, irm die
verschiedene Wirkung des Lichtes zu studiren.
Ein etwa schädlicher Einfluss der Nachmittagssonne ist
leicht durch weisse oder blaue Schirme von Seiden- oder Paus-
 
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