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Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik — 2.1888

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Schrank, Ludwig: Charakteristik im Porträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.42282#0415

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Charakteristik im Porträt.

papier zu beseitigen, welche als Rahmen auf horizontalen
Drähten über dem Modell hin- und hergeschoben werden.
Auf die Wichtigkeit des Lichteinfalls von der rechten
oder linken Seite für die Charakteristik des Modelles wurde
ich in eigenthümlieher Weise aufmerksam.
Zu einer Zeit, als das Interesse für die Künstlerporträts
im Visitkartenformat schon in der Abnahme begriffen war,
wollte ich ein neues Genre finden, welches den Sammlungen
wieder zu frischem Reize verhelfen würde. Eben damals er-
blickte ich in dem Schaukasten einer Kunsthandlung eine
Serie berühmter Persönlichkeiten in trefflichen Radirungen
eines französischen Künstlers, es waren Brustbilder in fast
natürlicher Grösse, darunter jenes der Dichterin George Sand,
des amerikanischen Generals J. Ch. Fremont und Andere.
Ich beschloss sofort, nach vorhandenen Negativen berühmter
Persönlichkeiten lebensgrosse Diapositive zu erzeugen, diese
auf Mattlack vollkommen durchzuretouchiren und nach den-
selben durch Umdruck auf Trockenplatten ganz tadellose
Negative herzustellen, welche nach Bedarf in der Presse eopirt
werden konnten. Derartige Bilder, besonders von fürstlichen
Personen, sollten zur Decoration von Wohnräumen verwend-
bar sein.
Nachdem eine Reihe von Diapositiven auf Glas vollendet
war, fiel mir der Unterschied auf, der bei einzelnen hinsichtlich
der Aehnlichkeit obwaltete, je nachdem man sie von der Glas-
oder Bildseite betrachtete, während diese Verschiedenheit bei
anderen Bildern nicht merklich auftrat.
Besonders Personen, bei denen ein Auge höher an der
Stirne liegt als das andere, oder die Nase ganz wenig schief
im Gesichte sitzt, ferner die einen unsymmetrischen nach einer
Seite hin mehr entwickelten Mund besitzen, vertrugen die oben
angedeutete Umkehrung des Diapositivs nicht. Sobald sich
mir diese Erfahrung aufgedrängt hatte, studirte ich die Wir-
kung des rechts- oder linksseitigen Lichteinfalles und gelangte
zur Erkenntniss der ungemeinen Wichtigkeit desselben für die
Charakteristik.
Wie sehr auch von Seite des Publikums bei Porträtauf-
-nahmen gehastet wird, dieser Versuch bleibt in der Macht
eines jeden Operateurs und jene, die das Bestreben haben, ihr
Modell zu studiren, werden sich durch diese Zeilen vielleicht
angeregt fühlen, das wechselnde Licht in den Kreis ihrer
Combinationen zu ziehen.
Das ist’s ja eben, was den kunstsinnigen Photographen
von dem blossen Abschreiber unterscheidet, dass bei ersterem
 
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