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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 2.1887

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Duhn, Friedrich von: Charonlekythen: (hierzu Antike Denkmäler I, Taf. 23)
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https://doi.org/10.11588/diglit.36645#0257

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Situation: er möchte das Kind nicht erschrecken, tritt nicht weiter vor als nötig
und streckt die Rechte behutsam vor, als wolle er das Kind begütigen. Denn
schreckhaft genug sieht er aus mit seinem struppigen kurzen Schnurr- und Kinnbart,
dem wirren braunen Haar, der hohen schwarzen Mütze, der dunkelfeuerroten Exomis:
ein ausgeprägtes aber gutmütiges Alltagsgesicht. Ein Kind trennt sich nicht gerne
von seinen Spielsachen, die müssen mit wohin es auch geht, daher das Kästchen
mit dem roten Tragband, daher die Gans, meinetwegen auch Ente, in der Hand
des Mädchens. Gänse sind zwar DHtua aber dafs sie grade chthonischen Gott-
heiten oder den Heroes geopfert seien, ist nicht überliefert und unwahrscheinlich:
cs bedarf ja aber kaum des besonderen Hinweises auf die bekannten Genrefiguren
der mit Gänsen spielenden Knaben, auf Vasenbilder wde Berlin 31/4, 3344, auf
Jahn's Aufsatz in den Berichten der sächs. Gesellsch. 1848, um klar zu machen,
warum dem Knaben sein Vogel nachgetragen wird. Das Mädchen — denn ein
solches, nicht etwa die Mutter, scheint mir beabsichtigt — trägt einen gelben Chiton
und lila Mantel: aus wenigStrichen und wenig Farbe besteht die ganze Andeutung
der Gewandung, so dafs die Umrifslinien des Körpers nirgend verdeckt sind. Ihr
Blick ist auf Charon gerichtet, ihr Mund leicht geöffnet.
Das sechsjährige Mädchen läuft munter und mutig auf Charon zu, dessen
Schrecken es noch nicht kennt, der herangewachsene Jüngling weifs was er hinter
sich läfst und verlieren mufs, das kleine Knäbchen, noch unfähig, selber den Weg
zum Acheron zu beschreiten, wird im kindlichen Spiel von Charon überrascht und
wundert sich nur über die ihm fremdartige Erscheinung — das sind drei in der
That schöne Ergänzungen zu dem häufigeren Bilde der herangereiften Jungfrau,
welche in stillem ergebnem Schmerz vom Leben Abschied nimmt und den Todes-
weg beschreitet, weil sie weifs, dafs sie es mufs.
Unsere Todtentanzpoesie sucht ja verwandte Töne anzuschlagen, aber es
gelingt ihr nur selten so wie die Antike vom Traditionellen und Gebundenen ganz
sich loszumachen und zur rein menschlichen Einfalt der Empfindung durchzu-
dringen. Beim letzten Bilde fielen mir unwillkürlich die alten Worte des Lübecker
Todtentanzes ein unter dem Bilde des Todes, der das Kind aus der Wiege holt:
O Dod, wo schall ik di vorstän,
Ik schall all danzen un kan noch nich gän.
Heidelberg. F. von Duhn.

Suid. s. v. Boü; eßSouc; und Petron 136. Artemid. IV, 83. Paus. X, 32,9.

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