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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Wolf, Georg Jacob: Rudolf Nissl
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https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0228

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Leben", als ein Sein ohne Lärm, als Wesen niemals Nißls Atelier. Von Gemälden Nißls um-
in der Ruhe, aber nicht ohne Atem und Herz- geben zu sein, das ist wie ein Spaziergang
schlag. So betrachtet, kann man auch Nißls durch ein sanftes, frohes, sonnenvolles Wie-
feine, zarte Akte, die in starker Verkleine- sental, ist ein wohliges Ausruhen und Behagen
rung dem Modell gegenüber, indessen ohne zu im Braus der unsteten Zeit, ist ein Wandern
Püppchen zu werden, in stillebenhaft ausge- durch liebe, alte, verträumte Städtchen, ein
stattete Interieurs gestellt sind, selbst als Still- Streicheln schöner alter Dinge, die zum
leben ansprechen, und so wird man ihnen, Schmuck des Lebens dienen — ganz ähnlich
die nicht Probleme der Bewegung oder der ist es, als ob man mit vertrauter Hand über
Beseelung tragen, am besten gerecht werden, wohlgeglättetes Kirschbaumholz gut geformter
Ein Stillebenmaler ist Nißl auch im Hinblick Biedermeiermöbel führe oder verliebt mit einer
auf die Stimmung, die über seinem Schaffen Alt-Nymphenburger Porzellanfigur spielte,
und seinem Werk liegt. Er ist kein heißer Mit viel Liebe und Entdeckerfreude geht Nißl
Kämpfer, und auch im Rahmen der Entwick- den Motiven solcher Stimmungen nach. Er hält
lungsgeschichte des Münchner Secessionismus sich gerne in kleinen Städtchen auf und kramt
gehört er jener Generation an, die ihre Wege durch alte Häuser, er findet in der prunk-
von der vorausgegangenen Generation, von vollen Abtei von Ottobeuern Motive und in
denen um Piglhein, Uhde, Keller und Haber- dem poetischen Städtchen Dinkelsbühl, wo er
mann, schon geebnet fand. Diesem glücklichen mit innigem Behagen den Tändlerladen im
Umstand, der eine Konzentration der Kräfte Geburtshaus des biederen Jugenddichters Chri-
des einzelnen ermöglichte, danken Nißls Ge- stoph von Schmid zum Bilde gestaltet, in
mälde, die mit subtiler Sorgfalt bis zur äußer- Tittmoning und Trostberg (Abb. S. 206), die
sten Möglichkeit technischer Vollendung ge- abseits der Heerstraße in der ländlichen Stille
trieben sind, ihre Verinnerlichung und ihre Oberbayerns träumen, und da mag es sich
kampfentrückte Klarheit: was nicht unbedingt wohl ereignen, daß er, der geborene Maler
abgeklärt und durchsichtig geworden, was nicht des Innenraums, einmal in den Freiraum
die präziseste Ausformung gefunden, verließ hinaustritt und daß ihm eine bunt bemalte

RUDOLF NISSL STRASSE IN TROSTBERG (1902)

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