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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Bernhart, Josef: Stimmung in Malerei und Zeichnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0519

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in malerische Werte umzusetzen und die
Mechanik der Massen mit der Mechanik des
Lichtes zu umkleiden. Kaum brauchen Grenzen
geopfert zu werden, um den Eindruck des ufer-
los strömenden Lebens zu erhalten ■— so sehr
ist die „Linie in kleine und kleinste Teile zer-
stückt" (Giesecke). Hell bindet sich mit Hell,
Dunkel mit Dunkel, und Bühne dieses Schau-
spiels ist die weite Piscina. Treffend nannte
man den herrlichen Meister den Rembrandt
der Architektur.

Vielleicht noch schlagender beweist ein
anderes Blatt Piranesis die Fähigkeit der Ra-
diernadel, die Dinge in ihrer Korrespondenz
unter sich zu erfassen und ein vielteiliges
Ganzes zugleich in seinem klaren Aufbau und
in der Bezogenheit der Teile sprechen zu
lassen. Die radierte Linie hat nichts Geschnitte-
nes, die Unscharfe ihrer Ränder, die Uneben-
heit und Körnigkeit ihres Grundes, ihr von
Weichmetall und Nadel verstattetes Spiel der
Nachgiebigkeit macht sie tauglich, die Dinge
aus ihrer Abgegrenztheit und Isoliertheit her-
aus in den allgemeinen Zusammenhang des
Sichtbaren und Unsichtbaren hineinzustellen.

Es bleibt noch ein letztes optisches Mittel,
Gegenstände in die Sphäre der Stimmung zu
rücken — nennen wir es Schematisierung. Im
Grunde handelt es sich auch hier um bereits
erwähnte Faktoren: Verzicht auf den künstle-
rischen Teilbericht, Streben nach Totalitätsein-
druck, auf Seiten des Beschauers um die An-
regung eines feinen, freilich oft gar nicht mehr
bewußten Ergänzungsspiels. Es gibt nun zahl-
lose Grade des Schematischen. Von der groß-
zügigen Art des Massensehens in Dills Land-
schaften, wo das Ballige der Bäume auch bei
klarer Silhouette der Stimmung günstig ist, bis
zum Verstummen des Binnenlebens der Kör-
per, wie es manche Erzeugnisse der Plakat-
kunst aufweisen, ist ein gerader, ob auch wei-
ter Weg. Daß freilich die bloße Schematisie-
rung des Gegenstands für die Stimmung nicht
in jedem Falle genügt, zeigt das Schattenbild.

Seine Körper sind wohl der denkbar extremste
Fall von Gestimmtheit und Ausgleich des der
Form innewohnenden Lebens, aber anderseits
gibt es keinen stärkeren Grad der Isolierung
und Abgrenzung der Erscheinung als eben den
Schattenriß. So kommt es, daß man auch vor
Schattenbildern, die der Stimmung günstige
Gegenstände wiedergeben, wie Gertrud Stamms
„Mutter und Kind", von Stimmung weit ent-
fernt bleibt. Wird nun die scharfe Kontrast-
wirkung Schwarz-Weiß in Farbe umgesetzt, so
stehen wir einem völlig neuen Sachverhalt
gegenüber. Daß dann Farbe zu Farbe in Be-
ziehung tritt, bindet auch die Gegenstände
unter sich und kann zu stärksten Stimmungs-
effekten führen. Man erinnere sich des fein
abgetönten Plakates „Am Rhein", das vor eini-
gen Jahren häufig zu sehen war: Eine reisende
Dame, rein ins Profil gesetzt, schaut aus ihrem
Wagenabteil nach dem Loreleifelsen hinüber.
In zwei Farben, denkbar matten stumpfen Tö-
nen von Grau und Rötlich, wirkte die restlos
schematisierte Szene als der reinste Typ des
Stimmungsbildes. Das Gegenständliche war
völlig zum Schweigen gebracht, die Klarheit
der Silhouette beibehalten und als Hindernis
der Stimmung überwunden durch die den Far-
ben gemeinsame, friedlich bindende Tonika.

Wenn wir die Funktion der Farbe in der
Stimmungsmalerei nicht weiter erörtern, so ist
der doppelte Grund die Weitläufigkeit dieses
problemreichen Gebiets und der Mangel an
farbigen Wiedergaben, die als völlig zuver-
lässige Beispiele dienen könnten.

Fassen wir mit einem Blick auf von Weref-
kins „Abschied", der nach Inhalt und Form als
ein Repräsentant des Stimmungsbildes gelten
kann, unser Ergebnis zusammen: Im Stim-
mungsbilde ist die optische Wirklichkeit psy-
chisch einheitlich erlebt und durch künstlerische
Mittel der Vereinheitlichung oder Entgegen-
ständlichung, wie Konformierung, Verunklärung,
Schematisierung, als harmonische Totalität wie-
dergegeben.

Verantwortlicher Herausgeber: P. Kirchgraber — Druck und Verlag von F. Bruckmann A.-G., München, Nymphenburgerstr. 86
 
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