Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

DOI Artikel:
Bernhart, Josef: Stimmung in Malerei und Zeichnung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0510

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
STIMMUNG IN MALEREI UND ZEICHNUNG*)

Von Josef Bernhart

Unfaßbar, so scheint es auf den ersten Blick,
schwebt und schimmert der Begriff der
Stimmung. Jetzt ein Lied, jetzt unsere eigene
Traurigkeit, hier ein verschneites Gelände, dort
ein grauer Zug von Dünen, bald die Hell-
dunkel-Spannung einer Radierung, bald die all-
gemeine Erregung bei politischen Ereignissen —
wer zählt die Fälle, wo wir von Stimmung
sprechen! Auf diesen Blättern ist es nicht
verstattet, das Zustandekommen der Stimmungs-
zustände psychologisch zu beschreiben oder
den reichen Inhalt des Begriffes festzustellen.
Hier soll es sich nur um die Frage handeln,
mit welchen Mitteln die Malerei Stimmung aus-
drücken kann. Da scheint denn die bündige
Antwort am nächsten: indem sie ein Stück
Naturwirklichkeit nachahmt, das Träger einer
Stimmung ist. Aber diese Antwort löst die
Frage nicht. Denn bald ergibt sich, daß die
Ansichten darüber, ob dieses oder jenes Stück
Natur Stimmung habe, auseinandergehen kön-
nen, weil wir Menschen als Schauende und
Künstler des Dinges an sich so wenig habhaft
werden wie als Denkende und Philosophen;
es zeigt sich ferner, daß das gleiche Stück
sichtbarer Wirklichkeit von dem einen Künst-
ler stimmungslos, von dem andern stimmungs-
voll dargestellt werden kann; vollends erschwert
die Unschärfe des verwetzten Begriffes Stim-
mung seinen Gebrauch angesichts vieler Fälle,
die sich an der Grenze dieses Phänomens
bewegen.

Wenn Schiller von Stimmung sprach, so ge-
schah es gewöhnlich im Sinne der guten har-
monischen Seelenverfassung im Gegensatz zur
Unstimmung. Die Romantik erweiterte den Be-
griff zu dem, was er uns heute ist, und seiner
offensichtlichen Herkunft gedenkt Novalis mit
der Bemerkung: „Das Wort Stimmung deutet
auf musikalische Seelenverhältnisse.■ Weiter
als seine Ahnung einer „Akustik der Seele"
fördert uns eine Stelle bei Goethe, wo dem
Worte Stimmung als synonymer Ersatz die
Bezeichnung „etwas Gleichtönendes" nachfolgt.
Man bewegt sich auf der rechten Spur, wenn
man sich den ursprünglichen Wortsinn gegen-
wärtig hält: das Ineinklangbringen zu einem
Intervallsystem oder sonst einer musikalischen
Einheit. Immer handelt es sich bei Stimmung
um Vereinheitlichung, Abgleichung, Verschwi-
sterung in einem gemeinsamen Grundwert.

*) Siehe hierzu die Abbildungen Seite 483.

Diese Erkenntnis bestätigt sich bei der Be-
trachtung alltäglicher Fälle, in denen man mit
Vorliebe von Stimmung spricht — so beim
Abendwerden. Der Schein der Dinge löscht
allmählich aus, alle Formen werden einfach,
die Dinge verbrüdern sich zu großen Massen.
Das Binnenleben aller Körper, das in der
Sonne sich entfaltet hat, verflacht sich in der
Dämmerung und erscheint, wo die Beleuch-
tung es gestattet, im verschärften Umriß auf-
gestaut. Da verliert sich das Kleine an das
Große, das Besondere ans Allgemeine. Die
Blumen der Flur, tagüber ein buntes Tausend-
fach, verschwistern sich mit den andern Gräsern
zur Gleichheit, ja der ganze Gräserbestand ist
schon belanglos geworden, nur die gestreckte
Flur als Ganzes wirkt, auch sie nicht mehr
als die übrigen großen Elemente der dämmern-
den Landschaft. Eine Angleichung des einzel-
nen an den das Allgemeine beherrschenden
Ton ist geschehen.

Diesen Vorgang lebt der Mensch sympathisch
mit. Er kann sich, sofern er dem Eindruck
überhaupt empfänglich offen steht, dem Pro-
zeß der Vereinfachung, der als Prozeß des
Vergehens gedeutet wird, nicht entziehen. Die
Behandlung unseres Gegenstands erfordert es,
bei diesem Tatbestand einen Augenblick zu
verweilen.

Angesichts der verdämmernden Welt erhebt
sich im Beschauer ein leiser Akkord von
Analogien. Ohne daß sich in der Erinnerung
ein bestimmtes Erlebnis meldet, ordnen sich,
dem von der Natur angeschlagenen Ton ge-
horsam, unterhalb der Schwelle des Bewußt-
seins tausend versunkene Erfahrungen von
Vergänglichkeit zur psychischen Herrschaft.
Die Unzahl früherer Vergänglichkeitserlebnisse
ist untergegangenen Gestirnen zu vergleichen,
die, von der abendlichen Schöpfung angerufen,
sich zu einer Fülle verbinden, deren zusammen-
fließender Nachschein stark genug ist, seine
Helle ins Bewußtsein heraufzuwerfen — doch
nur als unbestimmten formlosen Schein. Dieser
färbt, sagen wir stimmt, nun auch das Bewußt-
sein. Das Schematischwerden der sichtbaren
Welt, das Zusammenmünden des Individuellen
in ein Allgemeines, der Abschied der lichten
Schönheit, die die Dinge ihrer wahren Arm-
seligkeit überläßt, beschreibt uns die Unbe-
deutendheit des Geschöpflichen. Das klein-
liche entschwebt uns, wir neigen uns gerne

475
 
Annotationen