Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

DOI Artikel:
Schumann, Paul: Max Klingers Studien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0166

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MAX KLINGERS STUDIEN

Die Zeichnung als Vorbereitung der Malerei
entspringt der Notwendigkeit des Stu-
diums." Also sagt Max Klinger in seiner
Schrift „Malerei und Zeichnung", die vor mehr
als20Jahren erschien und berechtigtes Aufsehen
erregte. Und weiter lesen wir in dieser Schrift:
„Der Kern und Mittelpunkt aller Kunst, an
den sich alle Beziehungen knüpfen, von dem
sich die Künste in der weitesten Entwickelung
loslösen, bleibt der Mensch und der mensch-
liche Körper. Allein die Darstellung des mensch-
lichen Körpers kann die Grundlage einer ge-
sunden Stilbildung geben. . . . Das Studium
und die Darstellung des Nackten sind das A
und das £2 jeden Stils ... Es kann für jeden,
der der höchsten Aufgabe der Kunst, den
menschlichen Körper zu bilden, aufrichtig
gegenübertritt, keine Frage sein, daß der ganze
unverhüllte Körper ohne Lappen, ohne Fetzen
die wichtigste Vorbedingung einer künstle-
rischen Körperentwickelung ist."

An diese Sätze aus der Schrift, in der Max
Klinger mit so vielTemperament, Kenntnis und
Scharfsinn seine Kunstauffassung darlegt und
verteidigt, wurden wir lebhaft erinnert, als
wir das neue Werk durchblätterten, das der
Künstler soeben im Verlag der Galerie Ernst
Arnold veröffentlicht hat: Zwanzig Zeichnungen
zu Bildern, Plastiken und Stichen in mehrfarbiger
originalgetreuer Wiedergabe. Der Satz von der
Notwendigkeit des Studiums ist für Klinger keine
hergebrachte leere Redensart. Er hat die Natur,
den menschlichen Körper, stets mit Eifer, ja
mit wahrer Inbrunst studiert und kennt ihn
in- und auswendig. Jedes seiner großen Werke,
die Gemälde wie die Skulpturen, ist durch
Studien und Zeichnungen auf das sorgfältigste
vorbereitet, und was das für Zeichnungen sind,
was für wahrhaft bewunderungswürdige Kunst-
werke sich in diesen Studien verbergen, die
doch nur Mittel zum Zweck sein sollen, das
ersieht man aus diesen zwanzig Zeichnungen,
die an Kunst der Wiedergabe wohl das Höchste
darstellen, was die vervielfältigende Technik
je geleistet hat. Nicht bloß Laien und Kunst-
freunde, sondern der Meister selbst ist schon
gelegentlich getäuscht worden, indem er die
Nachbildung für die Urzeichnung hielt. Der
Künstler hat selbst die Herstellung jedes der
zwanzig Blätter in Licht- und Steindruck über-
wacht und nicht geruht, bis alles und jedes
bis auf die kleinste Kleinigkeit vollendet war.
Ein wahrer Triumph der nachbildenden Kunst!

Wir tun hier einen Blick in die Werkstatt
des Künstlers. Die großen bekannten Werke
Max Klingers werden vor unseren Augen auf

ihren Vorstufen lebendig, und auch Vorstudien
zu noch unvollendeten Werken treten uns ent-
gegen. Da sehen wir z. B. die Studie zum
Homer für das große Wandgemälde in der Aula
der Universität zu Leipzig, dann vier Studien
zu den Wandgemälden im Treppenhause des
Leipziger Museums, die leider auf der Stufe
von Entwürfen stehengeblieben sind, männliche
Rückenakte zum Kampf in der Brahmsphanta-
sie, weibliche Akte zu einer Zimmerdekoration,
zu einem Meerfries, zu einer marmornen Ge-
wandfigur usw. Eine prächtige Beleuchtungs-
studie erinnert uns an den Klingerschen Satz:
„Ein ruhender menschlicher Körper, an dem
das Licht in irgendeinem Sinne hingleitet und
keinerlei Gemütsbewegung ausgedrückt sein
soll, ist — vollendet gemalt — schon ein Bild."
Ja — auch schon, wenn er so vollendet ge-
zeichnet ist, wie dieser. Und bei den pracht-
vollen Gewandstudien wird uns die Wahrheit
von Klingers Satz offenbar, daß über allem Sicht-
baren der Zauber individuellen Lebens ruhe.
Soweit sind sie entfernt von jedem Schema
„klassischen" Faltenwurfes, so reizvoll sind sie
T in dem zufälligen und doch durchaus begrün-
deten Fall des sich anschmiegenden und ver-
drückenden Stoffes.

Kurzum — der Kenner findet in diesen Blät-
tern immer neuen Anlaß zum künstlerischen
Genießen nach verschiedenen Seiten. Noch sei
bemerkt, daß der Künstler jedes einzelne Blatt
handschriftlich als zu dem Werke Studien ge-
hörig bezeichnet hat, daß ferner das Titelblatt
eine Originalradierung aufweist, darstellend
ein Weib in blühender Jugendschönheit am
Meeresstrand, das sich selbst bewundernd be-
trachtet. Der Vorzugsausgabe aber — Nr. 1—50
zu 500 M. — wird auch noch eine Original-
radierung „Meereszug" beigegeben, die aus-
schließlich für diese gedruckt und sonst nicht
im Handel zu haben ist. Die zauberische An-
ziehungskraft des Meeres ist hier symbolisch
dargestellt durch ein prangendes Weib, das
im Vordergrund über die Wogen dahinschreitet,
während dahinter über eine langhinziehende
Meereswelle eine Reihe Männer voll Staunen
und Sehnsucht auf das unerreichbare Meeres-
wunder hinschauen. Eine ganz eigenartige
Vision tritt uns in diesem Blatte entgegen,
ein echter Klinger! Ist im übrigen das neue
Werk Max Klingers ganz anderer Art, als was
er uns in seinen Folgen von Radierungen bisher
geboten hat, so ist es doch in seiner Art so
vollendet, daß es sicherlich bei allen Freunden
des Künstlers vollen Anklang finden wird.

Paul Schumann

148
 
Annotationen