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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Strzygowski, Josef: Klingers Brahmsphantasie in öffentlicher Vorführung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0236

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KLINGERS BRAHMSPHANTASIE IN ÖFFENTLICHER

VORFÜHRUNG

Von Josef Strzygovski

Klinger hat die Brahmsphantasie 1894 voll-
endet. Sie war, seit einige Titelzeichnun-
gen des jungen Meisters das Mißfallen von
Brahms erregt hatten, im Eifer des Wunsches
entstanden, in einer vollwertigen Schöpfung zu
zeigen, wie tief gerade die Musik von Brahms
auf den durch seine radierten Zyklen bereits
aller Welt bekannten Künstler gewirkt hatte.
In den arbeitsreichen römischen Jahren 1889
bis 1893 unter dem Einflüsse des klassischen
Milieus zu Ende geführt, wurden die Proben
zu Neujahr 1894 an Brahms gesandt, im Ok-
tober des gleichen Jahres folgte die fertige Aus-
gabe in Albumformat. Klinger hat also mit der
Brahmsphantasie, Opus XII, bestehend aus
41 Stichen, Steinzeichnungen und Radierungen,
Brahms und den Kunstfreunden ein Buch in
die Hand gegeben, in dem er zeigen wollte,
wie sich musikalischer Ausdruck in bildliche
Form umsetzen ließe. Dabei ist zu scheiden
zwischen Liedern und reiner Musik. Bei den
Liedern war mit dem Wort des Dichters zu
rechnen, von dem ja der Musiker selbst aus-
gegangen war, und das der musikalischen
Stimmung von vornherein eine bestimmte
gegenständliche Unterlage bot. Es lag gerade
bei ihnen die Gefahr nahe, daß der Zeichner
mehr den gegebenen Text illustrierte, nicht
über diesen hinaus zum seelischen Gehalt der
Musik emporstieg, um so mehr als Klinger
Menschengestalten gab, nicht einfach ausdrucks-
volle Linien oder Farben; selbst die Land-
schaft blieb begleitend im Hintergrunde. Klin-
ger läßt die Menschen vor sich hinträumen oder
sich in Sehnsucht verzehren, handeln und rin-
gen, leiden und vergehen. Aber die Lieder sind
bei Klinger schon dadurch zurückgedrängt, daß
sie nur von Randleisten begleitet erscheinen.
Die eigentliche Gestaltungskraft lebt sich in den
Vollbildern aus, denen jede dichterische oder
unmittelbar musikalische Unterlage fehlt. Sie
seien hier kurz vorgeführt.

Das Titelblatt des ganzen Werkes „Akkorde",
das zu diesen Vollbildern gehört, zeigt im
Hintergrunde mächtige Felsberge; sie ver-
schwinden in Nebel und Wolken. Ganz vorn
links eine felsige Bucht mit Tempel oder
Mausoleum, ein Segelboot darauf zuschießend.
Rechts schiebt sich ganz unvermittelt ein Holz-
balkon vor; auf ihm der Klavierspieler, ganz
verloren in den Ernst seiner Musik. Eine

Frau vor verschlossenem Vorhange bereitet
für ihn eine neue Welt, die ein Triton und
Nereiden symbolisch in Form einer großen Harfe
heranzerren. Das zweite Vollblatt „Evokation"
zeigt diese Harfe groß aufgerichtet inmitten
des Balkons. Vorhang und Hülle des Weibes
sind gefallen. Der gereifte Spieler steht ganz
im Banne der nackten Wahrheit, jener Frauen-
gestalt, die, ihre Arme hoch emporhebend, sich
anschickt, den Sturm der Leidenschaften aus
dem Instrumente zu zaubern. Man sieht im
Hintergrunde geisterhaft ein Chaos kämpfender
Gestalten aufziehen. Die Herrlichkeit der viel-
gestaltigen Natur ist verschwunden, geblieben
ist nur das rastlos wogende Meer. Diese beiden
Blätter wirken gegensätzlich im Sinne einer
idealistisch-jugendlichen und pessimistisch ge-
reiften Lebensanschauung. Sie schließen den
Zyklus der fünf Lieder ein, die Klinger zu-
sammenfassend, wie er in dem Begleitbriefe
an Brahms bemerkt, „Alte Liebe" hätte nennen
können. Sein Gedanke war, „ein weiches, nur
zu weiches Zurückdenken an Vergangenes,
Verlorenes" anschaulich zu machen und mit
dem letzten Liede „Kein Haus, keine Heimat",
das einer bildlichen Beigabe entbehrt, auf ein
kräftiges, energisches Selbstaufraffen: „Welt,
fragst du nach mir nicht, was frag ich nach
dir", hinüberzuleiten, wie es von der Stimmung
am Anfange des zweiten Teiles gefordert wird.

In diesem zweiten Teil handelt es sich bei
Klinger um sieben Blätter, in denen die Tra-
gödie des die Menschen gegen die Willkür der
Macht schützenden Prometheus erzählt wird:
1. Titanenkampf, 2. Unterliegen (in einem
prachtvollen Nachtbilde), 3. Rettung der Men-
schen durch den Raub des Lichtes, 4. Blüte
der Kultur, in einem Freudenfest gegeben,
5. Entführung des Prometheus zu peinvoller
Strafe. Die Menschen, ihres Schützers beraubt,
bringen 6. Opfer dar und sinken zu hündisch
demütigen Sklaven herab. Endlich 7. der befreite
Prometheus. Diese in Vollbildern ausgeführten
Radierungen, die jeder musikalischen Beigabe
entbehren, sind mit dem Schicksalsliede, einer
Komposition für Chor und Orchester nach der
Dichtung von Hölderlin, in eine Einheit zu-
sammengezogen. Der furchtbare Sturz, der die
in dem Liede „Kein Haus, keine Heimat" kühn
herausfordernd auftretende Menschheit trifft,
führt zu dem schwer lastenden Fluche, wie

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