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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Wolf, Georg Jacob: Thomas Theodor Heines Gemälde
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inneren Anregungen und den Mut zu neuen
Mitteln der Karikatur gab, hängt damit nur
mittelbar zusammen.

Die symbolische Zuspitzung und die emi-
nent scharfe Prägung der künstlerischen Dar-
stellung beherrschen Heines ganzes Werk: am
sinnfälligsten seine „Gebrauchsgraphik" (den
Buchschmuck, die Plakate) und seine Plastik
(„Teufel" und „Engel"), aber man verspürt sie
auch in seinen raumkünstlerischen Schöpfun-
gen, in diesen biedermeierlichen Möbeln, die
immer ein wenig ironisch anmuten, und in
seinen Gemälden: da freilich am schwächsten,
am wenigsten in die Augen springend, mehr
in Untertönen und aus Stimmungen hervor-
schimmernd. Denn Heine hält es mit der ästhe-
tischen Reinlichkeit und weiß, daß sich der
Maler nicht das gleiche erlauben darf, was
dem Zeichner zusteht, der bei der wirklich-
keitsfremden Beschaffenheit des Umrisses ge-
wissermaßen in einer Zeichensprache sich
äußern kann. Daher sind auch jene Bilder
Heines, die seinen Zeichnungen formell nahe-
stehen („Vor Sonnenaufgang", „Die Blume des
Bösen", „Die Exekution", „Der Drachentöter",
„Die Vestalin", „Der Blumentag"), doch in
ihrem Wesen irgendwie unzeichnerisch, sie
sind innerlich mehr als nur in die Farbe über-
setzte Zeichnungen, irgend etwas in ihrem
Charakter drängte zum malerischen Ausdruck
und das Illustrative des Stoffes ist meistens
überwunden: es herrscht die Stimmung, nicht
die novellistische oder humoristische Pointe.

Th. Th. Heine hat nicht viel gemalt, obwohl
er seine künstlerische Laufbahn als Maler be-
gann. Mit 16 Jahren — er ist am 28. Februar
1867 in Leipzig geboren —war er zu Janssen,
auf die Düsseldorfer Akademie gegangen, wo
es, wie Meier-Gräfe sagt, nach Gips zeichnen
hieß, bis man schwarz wurde. Kurze Zeit ver-
suchte es Heine an der Münchner Akademie,
aber das Malen im Ton und die starke Thea-
tralik, die damals an diesem Institut regierten,
sagten ihm nicht zu, darum kehrte er nach
Düsseldorf zurück. Trotzdem lockte München
bald aufs neue. Es war nun die Zeit gekommen,
wo dort der Pleinairismus siegreichen Einzug
hielt, Piglhein, Zügel, Herterich und Stuck ihre
ersten hellen Bilder malten und sich die „Se-
cession" in ihren Keimen entwickelte. So kam
Heine im Jahre 1889 ein zweites Mal und stürzte
sich in die Hell- und Lichtmalerei. Er zog
— beinahe möchte man sagen: natürlich —
nach Dachau, aber er hielt sich von den
Dachauer Künstlerkreisen fern. Dort draußen
entstanden jene etwas ruppig gemalten, in ihrer
hellen Farbigkeit ganz dem Charakter des
Münchner Frühsecessionismus gemäßen Land-

schaften: ein Blick auf das hochgebaute Dachau
über ein Kornfeld hinweg, mit einem Feldweg,
der nach älterem Landschafterrezept in das
Bild hineinführt und die perspektivische Tiefe
bewirkt (Abb. S. 290), eine Sandgrube unter
siedend heißem Sommerhimmel, die Holz-
hacker am verschneiten Waldsaume, ein paar
Moorhütten in einer Torfgegend (Abb. S. 293),
wo die tiefvioletten bis saftbraunen Farben
des aufgerissenen Erdbodens den Koloristen
reizen mochten, ein Stück Landstraße mit
hohen Bäumen, ein Sumpf im Walde und
solcher Motive mehr, die in der Dachauer
Gegend sich verschwenderisch zudrängen.
Mehrere dieser Gemälde findet man heute in
der Galerie Knorr in München, andere sind
noch im Besitz des Künstlers, aber er hat sie
weggestellt und läßt sich nicht gern herbei,
sie zu zeigen. Das ist einleuchtend, denn Heine
hat sich von dieser Richtung, die ihn 1890
und 1891 umfangen hielt, gänzlich abgewandt.
Ob an dieser Abkehr äußere Umstände
hauptsächlich beteiligt waren, ob besonders
Heines beginnende Illustratorentätigkeit bei
den „Fliegenden Blättern" dabei mitwirkte,
läßt sich schwer sagen. Auf alle Fälle ent-
stand schon um 1890 ein Gemälde, das den
neuen Weg, den Heine zu beschreiten vor-
hatte, ahnen ließ. Dieses Bild mit seinen ganz
bewußten symbolischen Einschlägen heißt „Vor
Sonnenaufgang" und stellt einen tendenziösen
Gruß an Gerhart Hauptmann und den Ideen-
kreis der jungen Weltenstürmer in Berlin dar.
Meier-Gräfe hat es in seiner „Entwicklungs-
geschichte der modernen Kunst" eingehend
beschrieben; er hat, nachdem er den architek-
tonischen Aufbau und die Stimmung gebührend
anerkannt, gelegentlich dieses Bildes die Be-
merkung gemacht, Heines Malerqualitäten
hätten nie genügt, aus ihm den großen Künstler
zu machen... Ich habe mir auf diese Be-
merkung hin Heines Bild, das sich gegenwärtig
im Münchner Kunsthandel befindet, nochmals
angesehen und komme doch zu einem anderen
Schluß. Jetzt, fünfundzwanzig Jahre nach sei-
nem Entstehen, ist das Gemälde wunderschön
zusammengewachsen. Ein apartes Grüngrau
beherrscht den Gesamteindruck, das Rot von
Himmel, Feuer und Blut empfinde ich nicht
„verdächtig" und nicht als „Literatur", sondern
es scheint mir unbedingt zu der farbigen
Komposition zu gehören. Vor allem aber gehen
die beabsichtigte Stimmung und ihr malerischer
Ausdruck wundervoll einig, und es ist schon der
ganze Heine darinnen, der Heine der symbo-
lischen Satire oder des satirischen Symbolis-
mus, also in höherem Grade der Heine des
„Simplicissimus" als der Heine der Gemälde.

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