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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Bode, Wilhelm von: Das Ausscheiden der grossen Kunstsammler alten Stils und ihr Nachwuchs in den Vereinigten Staaten
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https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0322

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silbige junge Mann, das Ebenbild des Vaters
bis auf dessen furchtbare Nase, aber Kunst-
banause und auch sonst „indifferent", wie man
meinte, eröffnete feierlich die Ausstellung im
neuen Flügel des Museums und — schwieg
sich aus. Da kam der Krieg; plötzlich er-
wachte der „indifferente Mann" und entpuppte
sich als der Munitions- und Geldagent unserer
Feinde, als der brutalste unter allen soge-
nannten Neutralen ! Und während der fromme
Quäker Hunderte von Millionen durch dieses
Bluthandwerk gewinnt, verschachert er eine
Abteilung der Sammlungen seines Vaters nach
der andern.

Vor wenigen Wochen ist auch der reichste
Mann und der größte Kunstsammler von Phi-
ladelphia, P. A. B. Widener, im Alter von
82Jahren gestorben; er war vor wenigen Jah-
ren in Amerika in aller Munde, als sein Sohn
und sein Enkel gleichzeitig mit der „Ti-
tanic" untergingen. Er hat schon seit Jahr-
zehnten (anfangs sehr wenig glücklich) gesam-
melt und hatte lange den Plan, die Samm-
lung seiner Vaterstadt zu vermachen, wie es
noch heute die Absicht seines Landsmannes
John G. Johnson ist, der kunsthistorisch die
interessanteste Sammlung in Amerika besitzt.
Aber Widener hat einen Sohn, der ebenso be-
geistert ist für die Kunst, wie es sein Vater
war; er wird sich bei Lebzeiten schwerlich
davon trennen. Wideners Sammlungen sind
berühmt namentlich durch die prächtigen großen
Genueser Bildnisse van Dycks aus der Samm-
lung Cattaneo. Zwischen ihnen steht eine
Anzahl treffliche italienische Bronze- und Mar-
morbüsten. Ein eigener kleiner Raum ent-
hält die Gemälde von Rembrandt, ein volles
Dutzend, darunter die herrlichste Landschaft,
die sogenannte Mühle, die man törichterweise
einmal angezweifelt hat. Daneben gute und
zum Teil treffliche Bilder aller andern großen
Holländer, eine Reihe primitiver Italiener, treff-
liche englische Bildnisse des 18. Jahrhunderts.
Eigentümlicherweise enthält die Sammlung auch
eine Fälschung, die Kopie des schönen Bildes
von Frans Hals in der Sammlung Alphonse
Rothschild in Paris, die „Dame mit der Rose".
Und nicht viel besser sind die beiden Damen
der Familie Spilinbergo, die unter Tizians Na-
men gingen, bis kürzlich ein Brief von Tizian
veröffentlicht wurde, in dem dieser die Bilder
als geringe Arbeit eines Schülers geißelt. Aber
alles in allem ist die Sammlung doch ein stol-
zer Besitz!

Der jüngste dieser vier großen Rekord-
sammler, Henry C. Frick, ist heute noch der
leidenschaftlichste Sammler, namentlich für
alte Meister, und wird wohl den Rekord hal-

ten, da eine junge Kraft hinter ihm steht:
seine Tochter Miß Helen, eine begeisterte
Kunstfreundin, der zuliebe der Vater uner-
sättlich im Sammeln ist. Auch die Sammlung
Frick besitzt jetzt schon nahezu ein Dutzend
Bilder von Rembrandt, darunter das schönste und
größte Selbstporträt, den „Polnischen Reiter",
den kleinen „Titus", den „Kaufmann". Bild-
nisse, welche Fricks Porträts von Frans Sny-
ders und seiner Frau von van Dyck oder den
„Maler" von Frans Hals übertreffen, gibt es von
diesen Meistern nicht; und auf ähnlicher Höhe
stehen seine Bilder von Hobbema, Ruisdael,
Cuyp usw. Auch Velasquez und Tizian sind
mit je einem trefflichen Bildnis vertreten,
Vermeer sogar mit zwei Gemälden.

Die Reservetruppen unter den Sammlern
kommen diesen „big men" nach mancher Rich-
tung ziemlich gleich oder übertreffen sie noch.
So die berühmte Sammlung ostasiatischer Kunst
und von Whistlers Werken im Besitz Mr. Freers,
die Washington vermacht ist; die Sammlung
von Mrs. Gardner, die als Gardner-Museum
an die Stadt Boston gelangt, die Galerie
J. G. Johnson, die seiner Vaterstadt Phila-
delphia zugedacht ist, die dem Bostoner Mu-
seum vermachte Sammlung Quincy A. Shaw
mit ihren ausgezeichneten Quattrocento-Skulp-
turen und ihren unübertroffenen Werken der
Schule von Fontainebleau. Die Galerien von
Mrs. H. A. Havemeyer und Mrs. C. P. Huntington
in Neuyork, welche die von ihren Gatten an-
gelegten Sammlungen glänzend ausgebaut haben,
die Galerie von Mrs. Charles P. Taft in Cin-
cinnati stehen den obengenannten nahe oder
gleich. Was mit ihnen geschieht, ist noch un-
bekannt, doch wird sicher die eine oder andere
gleichfalls in öffentlichen Besitz übergehen.

Ob das mit einer Sammlung von ähnlicher
Qualität und großer Mannigfaltigkeit, mit der
Sammlung des vor wenigen Monaten verstor-
benen Sir William van Hörne geschehen ist,
ist bisher hier nicht bekannt geworden. Sir
William lebte in Kanada, in dem malerischen
Montreal; aber wie diese Stadt an der unmittel-
baren Grenze der Vereinigten Staaten ganz vom
Sternenbanner beherrscht wird, so war auch er
ein voller und echter Yankee, im guten Sinne!
Der Erbauer der Canadian-Pacific-Bahn, der
Gründer des Eisenbahn-, Tabaks- und Zucker-
bautrusts in Kuba, konnte er seine leiden-
schaftliche Lust am Sammeln nur im Fluge
befriedigen, wie er seine Freude am Malen nur
Nachts bei elektrischem Licht durch Land-
schaftsskizzen aus der Erinnerung zum Aus-
druck brachte. Seine Sammlung enthält fast
von allen amerikanischen Lieblingsmeistern:
von Rembrandt, Hals, P. de Hooch, Hobbema,

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