I
Dr. GEORG HIRTH, f 28. März
wandte sich Hirth chemisch-medizinischen Studien
zu, aber sein Interesse an dem Gedeihen der bil-
denden Künste und besonders an der Vormacht-
stellung Münchens im deutschen Kunstleben er-
lahmte nicht. Und so geschieht sein Ausscheiden
aus dem Münchner Kunstleben nicht ohne nach-
haltige Wirkung, die Lücke, die sein Tod reißt,
wird für das Münchner Kunstleben und für die
Münchner Künstlerschaft stets empfindbar sein.
Franz Marc f. Im März fiel im Westen der
Münchner Maler Franz Marc, dessen Persön-
lichkeit für die Entwicklungsgeschichte der deut-
schen Malerei insoferne Bedeutung hat, als er einer
der begeisterten, aber irregeleiteten und aussichts-
losen Vorkämpfer für eine neudeutsche Monumen-
talmalerei war, einer der bewußten, allzu be-
wußten Theoretiker eines „neuen Stils". Franz
Marc, der in der Mitte der dreißiger Jahre
stand, war der Sohn eines bekannten Münchener
Malers konservativster Richtung; seine eigene
Kunst indessen entfernte sich bald weit von all
dem, was konservativ ist und was man an Aka-
demien lernen kann. Im Jahre 1909 trat Franz
Marc mit einer umfangreichen Kollektion vor die
Münchener Kunstfreunde (Ausstellung in Brakls
Moderner Kunsthandlung). Akte, Landschaften
und Tierstücke wiesen einen eigenwilligen Zug auf,
der auf die Reformation der farbigen Wirkung hin-
zielte. Richard Hamann meint gelegentlich Franz
Marcs, den er mit Pechstein zusammen nennt,
sein Ziel sei gewesen, „die Farbe selbständig zu
machen, indem die Flächen wieder nur Gedanken
an Figuren enthalten und zu selbständigen Farb-
trägern werden". Die Farbe, die Marc namentlich
in seinen späteren Gemälden in die Erscheinung
treten ließ, erinnert in ihrer Wirkung an altertüm-
liches Hüttenglas von höchster Transparenz, sie
sehreit, ist grell und plakatmäßig-breit hingestri-
chen. Im Spätjahr 1910 war Marcs Entwicklung
nach diesem Ziel hin insofern an einer entschei-
denden Wendung angelangt, als er durch die ge-
meinsam mit Kandinsky betätigte Gründung der
Künstlervereinigung „Der blaue Reiter" sich das
Podium für eine von äußeren Hemmungen und
Jurysprüchen völlig unabhängige Propagierung sei-
ner künstlerischen Ideen zu schaffen vermocht
hatte. Was Marc im Rahmen dieser Vereinigung
zeigte, das waren weniger Bilder schlechthin als
gemalte Programme und Prophezeiungen — und
da Marc eine Natur des Widerspruchs war, so
mußte ihn jeder Protest gegen die Malerei dieser
Art nur zu einer schärferen Zuspitzung und Ueber-
spitzung der Erscheinungsform seines künstle-
rischen Glaubensbekenntnisses aufstacheln. Was
Marc fehlte, das war die schöne Unbefangenheit,
das sorglose Spiel der Kräfte, das felsenfeste Ver-
trauen in die Empfindung. Er spintisierte zu
viel, stellte alles auf Theorien, war voreinge-
nommen und verfiel in Manier. Daß er es ehr-
lich meinte — wie sein gleichfalls in diesem
Krieg gefallener Freund und Schüler august
macke —, steht außer Zweifel; der Spott, mit dem
seine Kunst verfolgt wurde, war unverdient, es
war nur Bedauern am Platze, daß in ihm eine
hochbegabte Persönlichkeit sich in unfruchtbaren
Experimenten selbst zerstörte. g.j.w.
REES. Ernst Isselmann f. Der Tod Isselmanns
bedeutet für die rheinische Malerei einen schwe-
ren Verlust. In Rees, einer kleinen Stadt am Nieder-
rhein, wo er lange Jahre einsam und zurückge-
zogen lebte, erwarb er in schwerem Ringen mit
den künstlerischen Problemen die Fähigkeit, das
Wesen der niederrheinischen Landschaft zu erfas-
sen und zu gestalten. Ein Stück der niederrheini-
schen Natur gewann in den Landschaften Issel-
manns sinnliches Leben. Nachdem er in seinen
niederrheinischen Arbeiten die Uebereinstimmung
des Stimmungsgehaltes der Landschaft und der
Kunstform erreicht hatte, drängte es ihn zur Lö-
sung neuer künstlerischer Fragen. Ein kurzer Auf-
enthalt in Berlin wies ihm neue Wege, ohne seine
Eigenart zu verwischen. Ein straffer Aufbau und
eine größere Geschlossenheit der Wirkung aus
einer bewußten Formvereinfachung, aus einer ge-
drängten Sammlung ausdrucksstarker Bewegung
wird ihm zu eigen. Die Formzusammenfassung ist
jetzt durch Betonung des Flächencharakters ver-
stärkt. Eine malerische Aufteilung der Fläche
durch betonte Farbeinheiten und durch die rhyth-
mische Verknüpfung der Einzeldinge steigert das
Eigenleben der Farbe zu höchstem Ausdruck stets
so, daß die vereinfachten Formen, die Bäume,
Menschen, Häuser, die bewegten Körper, die Wel-
len des Wassers, die Leiber der Badenden mit den
Formen und Farben der Natur in inniger Bezie-
hung bleiben, ohne daß dabei die Uebersetzung der
Wirklichkeitsformen in reine dekorative Linien-
züge und abgeleitete Formeneinheiten erstrebt wird.
Diese Durchgeistigung der Darstellungsmittel
und die seelische Vertiefung des Ausdrucks ver-
wertete Isselmann in seinen letzten niederrheini-
schen Landschaften ebenso wie in Industriebildern
und Bildnissen. Sie sind größer in dem Formzu-
sammenschluß, stärker in der vereinheitlichenden
Massenwirkung. Sie sind ausdruckstiefer in der
Liniensprache und kraftvoller in der farbigen Ge-
staltung. Glut und Leuchtkraft der Farbe ist ge-
steigert; die Ausdrucksgestaltung nur aus dem Not-
wendigen, der Wesenheit der Dinge, geschaffen. l.
GESTORBEN in Berlin die Gattin und Schüle-
rin von Prof. Wilhelm Trübner: alice trcb-
ner, geb. Auerbach, 1875 in Bradford in England
geboren. Sie war eine talentvolle Stilleben- und
Landschaftsmalerin, die, trotzdem sie aus der Schule
ihres Gatten hervorgegangen war, doch in jeder
Hinsicht ihre künstlerische Selbständigkeit und
Eigenart jederzeit zu wahren wußte. k.
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Dr. GEORG HIRTH, f 28. März
wandte sich Hirth chemisch-medizinischen Studien
zu, aber sein Interesse an dem Gedeihen der bil-
denden Künste und besonders an der Vormacht-
stellung Münchens im deutschen Kunstleben er-
lahmte nicht. Und so geschieht sein Ausscheiden
aus dem Münchner Kunstleben nicht ohne nach-
haltige Wirkung, die Lücke, die sein Tod reißt,
wird für das Münchner Kunstleben und für die
Münchner Künstlerschaft stets empfindbar sein.
Franz Marc f. Im März fiel im Westen der
Münchner Maler Franz Marc, dessen Persön-
lichkeit für die Entwicklungsgeschichte der deut-
schen Malerei insoferne Bedeutung hat, als er einer
der begeisterten, aber irregeleiteten und aussichts-
losen Vorkämpfer für eine neudeutsche Monumen-
talmalerei war, einer der bewußten, allzu be-
wußten Theoretiker eines „neuen Stils". Franz
Marc, der in der Mitte der dreißiger Jahre
stand, war der Sohn eines bekannten Münchener
Malers konservativster Richtung; seine eigene
Kunst indessen entfernte sich bald weit von all
dem, was konservativ ist und was man an Aka-
demien lernen kann. Im Jahre 1909 trat Franz
Marc mit einer umfangreichen Kollektion vor die
Münchener Kunstfreunde (Ausstellung in Brakls
Moderner Kunsthandlung). Akte, Landschaften
und Tierstücke wiesen einen eigenwilligen Zug auf,
der auf die Reformation der farbigen Wirkung hin-
zielte. Richard Hamann meint gelegentlich Franz
Marcs, den er mit Pechstein zusammen nennt,
sein Ziel sei gewesen, „die Farbe selbständig zu
machen, indem die Flächen wieder nur Gedanken
an Figuren enthalten und zu selbständigen Farb-
trägern werden". Die Farbe, die Marc namentlich
in seinen späteren Gemälden in die Erscheinung
treten ließ, erinnert in ihrer Wirkung an altertüm-
liches Hüttenglas von höchster Transparenz, sie
sehreit, ist grell und plakatmäßig-breit hingestri-
chen. Im Spätjahr 1910 war Marcs Entwicklung
nach diesem Ziel hin insofern an einer entschei-
denden Wendung angelangt, als er durch die ge-
meinsam mit Kandinsky betätigte Gründung der
Künstlervereinigung „Der blaue Reiter" sich das
Podium für eine von äußeren Hemmungen und
Jurysprüchen völlig unabhängige Propagierung sei-
ner künstlerischen Ideen zu schaffen vermocht
hatte. Was Marc im Rahmen dieser Vereinigung
zeigte, das waren weniger Bilder schlechthin als
gemalte Programme und Prophezeiungen — und
da Marc eine Natur des Widerspruchs war, so
mußte ihn jeder Protest gegen die Malerei dieser
Art nur zu einer schärferen Zuspitzung und Ueber-
spitzung der Erscheinungsform seines künstle-
rischen Glaubensbekenntnisses aufstacheln. Was
Marc fehlte, das war die schöne Unbefangenheit,
das sorglose Spiel der Kräfte, das felsenfeste Ver-
trauen in die Empfindung. Er spintisierte zu
viel, stellte alles auf Theorien, war voreinge-
nommen und verfiel in Manier. Daß er es ehr-
lich meinte — wie sein gleichfalls in diesem
Krieg gefallener Freund und Schüler august
macke —, steht außer Zweifel; der Spott, mit dem
seine Kunst verfolgt wurde, war unverdient, es
war nur Bedauern am Platze, daß in ihm eine
hochbegabte Persönlichkeit sich in unfruchtbaren
Experimenten selbst zerstörte. g.j.w.
REES. Ernst Isselmann f. Der Tod Isselmanns
bedeutet für die rheinische Malerei einen schwe-
ren Verlust. In Rees, einer kleinen Stadt am Nieder-
rhein, wo er lange Jahre einsam und zurückge-
zogen lebte, erwarb er in schwerem Ringen mit
den künstlerischen Problemen die Fähigkeit, das
Wesen der niederrheinischen Landschaft zu erfas-
sen und zu gestalten. Ein Stück der niederrheini-
schen Natur gewann in den Landschaften Issel-
manns sinnliches Leben. Nachdem er in seinen
niederrheinischen Arbeiten die Uebereinstimmung
des Stimmungsgehaltes der Landschaft und der
Kunstform erreicht hatte, drängte es ihn zur Lö-
sung neuer künstlerischer Fragen. Ein kurzer Auf-
enthalt in Berlin wies ihm neue Wege, ohne seine
Eigenart zu verwischen. Ein straffer Aufbau und
eine größere Geschlossenheit der Wirkung aus
einer bewußten Formvereinfachung, aus einer ge-
drängten Sammlung ausdrucksstarker Bewegung
wird ihm zu eigen. Die Formzusammenfassung ist
jetzt durch Betonung des Flächencharakters ver-
stärkt. Eine malerische Aufteilung der Fläche
durch betonte Farbeinheiten und durch die rhyth-
mische Verknüpfung der Einzeldinge steigert das
Eigenleben der Farbe zu höchstem Ausdruck stets
so, daß die vereinfachten Formen, die Bäume,
Menschen, Häuser, die bewegten Körper, die Wel-
len des Wassers, die Leiber der Badenden mit den
Formen und Farben der Natur in inniger Bezie-
hung bleiben, ohne daß dabei die Uebersetzung der
Wirklichkeitsformen in reine dekorative Linien-
züge und abgeleitete Formeneinheiten erstrebt wird.
Diese Durchgeistigung der Darstellungsmittel
und die seelische Vertiefung des Ausdrucks ver-
wertete Isselmann in seinen letzten niederrheini-
schen Landschaften ebenso wie in Industriebildern
und Bildnissen. Sie sind größer in dem Formzu-
sammenschluß, stärker in der vereinheitlichenden
Massenwirkung. Sie sind ausdruckstiefer in der
Liniensprache und kraftvoller in der farbigen Ge-
staltung. Glut und Leuchtkraft der Farbe ist ge-
steigert; die Ausdrucksgestaltung nur aus dem Not-
wendigen, der Wesenheit der Dinge, geschaffen. l.
GESTORBEN in Berlin die Gattin und Schüle-
rin von Prof. Wilhelm Trübner: alice trcb-
ner, geb. Auerbach, 1875 in Bradford in England
geboren. Sie war eine talentvolle Stilleben- und
Landschaftsmalerin, die, trotzdem sie aus der Schule
ihres Gatten hervorgegangen war, doch in jeder
Hinsicht ihre künstlerische Selbständigkeit und
Eigenart jederzeit zu wahren wußte. k.
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