eien und Schülern umlagert waren. Man kann
sich das Gerüchlein von Ölfarbe, von Ofen-
wärme, von halbnackten und bekleideten Men-
schen vorstellen. Es war ja ein riesig gemüt-
liches Zusammensein, Zusammen wetteifern.
Zeitweises Geplauder, Pfeifen, Zolenreißen,
Lachen wurde nur zwei- bis dreimal in der
Woche durch Totenstille unterbrochen, wenn
der „Alte" kam, der dann sehr eingehend kor-
rigierte. Es war auffallend, wie einige Anfänger
absolut keine Farbe sahen, sondern fast nur
schwarz imd weiß malten.
Es waren auch originelle Käuze dabei, in erster
Linie Georg Sauter, mit blutunterlaufenen Au-
gen, den der Professor fortjagen wollte, weil er
ihn für verrückt hielt, der dann aber durch
Gnade die Erlaubnis erhielt, zu hinterst auf
drei aufeinandergebeigten Kisten zu stehen, und
mit seinem wilden Pinsel zu fuchteln. Er
schmierte immer Zinnober irgendwohin, „weil
Rubens immer Zinnober anbrachte". Bei einer
Kompositionskonkurrenz malte er was ganz
Kurioses, und als ihn der Professor fragte, was
das darstelle, sagteer: „Ein Rätsel". Ein an-
dermal, als eine Aufgabe gestellt war „Gefan-
gen", zeichnete er eine leere Stube mit einem
Schatten am Boden und einer offenen Türe und
erklärte es so, das sei der Schatten des Gefan-
genen, und vor der offenen Türe wolle eben
der Gefängniswärter hereinkommen. Dieser
Sauter erzählte uns einmal an einem Fest, als
ihn schon die erste Maß Bier gesprächig ge-
macht hatte, daß er als Hirtenknabe ein Ma-
donnenbild in einer Kirche gesehen hätte und
darauf zu einem Anstreicher in die Lehre ge-
gangen sei. Da habe er aber nichts gelernt, son-
dern nur die Kinder hüten müssen und Prügel be-
kommen. Dann sei er nachts zum Fenster hinaus
entflohen und zu Fuß nach München gewandert,
wo ein Bekannterihm in der bittersten Not ge-
bolfen habe. Eines Tages habe er aber doch
nichts mehr zu essen gehabt und sei drei Tage
im Bett geblieben und nur zur Zeit der Mahl-
zeit spazieren gegangen, um die Hausfrau zu
täuschen. Es sei furchtbar gewesen. Wir Kolle-
gen wußten nichts davon und glaubten eben,
Sauter sei halb verrückt. Er war so aufgeregt
und eigensinnig, daß niemand mit ihm Freund-
schaft schloß. W as für eine Perle diese rabau-
zige Hülle umschloß, ahnte damals kein Mensch,
am wenigsten miser geadelter Professor.
*
Oft flogen wir aus, isaraufwärts, auch nach
Dachau, dem malerischen Dorf, das sich über
der Moosgegend auf einem Hügel erhebt, und
nach Schleißheim, wo das verlassene Königs-
schloß noch eine Menge Bilder beherbergt. Es
gab Landschaftsmaler, die den Reiz der flachen
Moosgegend über alles lobten. Ich fand sie nur
trostlos melancholisch und sehnte mich nach
wellenförmigem Gelände, weshalb ich das Tal
der Isar, besonders Großhessellohe und Grün-
wald allem vorzog. Dort war auch etwa Otto
Greiner mit uns, der die Gartenhäuschen, wo
wir unsere Maß Bier tranken, so reizend zu
zeichnen wußte, und Georg Lührig, ein Genie,
und sein Schatten W ohlgemuth. Lührig zeich-
nete wunderbar mit breitem Zimmermanns-
bleislift und wußte aus allem ein Bild zu ma-
chen, machte die figurenreichsten Komposi-
tionen, kurz er blendete geradezu mit seinem
Können, so daß W ieland sagte, Rubens sei ein
Schafskopf dagegen. . . . Damals gruppierte
sich um ihn ein Kreis von Verehrern, die mit
ihm zum Skizzieren auszogen und abends in
den Gasthäusern die in Rauchwolken malerisch
sich abhebenden Biertrinker abzeichneten. Be-
sonders in der Karnevalszeit fand sich viel glück-
licher Stoff für die Skizzenbücher : elegante oder
phantastische Kostüme, in den Nachtkaffees
Liebespärchen, die sich in den Ecken herum-
poussierten. Diese Skizzen waren mehr Übungen,
einen andern Zweck hatten sie kaum. Damals
zeichneten wir nett, anschaulich, tonig und
plastisch; es mußte hübsch aussehen. Später
skizziert man mehr zum Zweck des Festhaltens
eines Motivs, das man zum Bild zu brauchen
gedenkt; deshalb geht man mehr aufs wesent-
liche, kümmert sich nicht ums hübsche Aus-
sehen und zeigt die Blätter weniger gerne her.
denkt auch niemals an einen Verkauf. Und
doch wären das für einen Sammler gewiß
manchmal interessante Blätter und billig zu
haben. Wenn einer eine findige Nase hat,
könnte er gerade bei jungen talentvollen Leuten
Erstlingsversuche leicht erwerben und Für später
eine wertvolle Sammlung anlegen.
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sich das Gerüchlein von Ölfarbe, von Ofen-
wärme, von halbnackten und bekleideten Men-
schen vorstellen. Es war ja ein riesig gemüt-
liches Zusammensein, Zusammen wetteifern.
Zeitweises Geplauder, Pfeifen, Zolenreißen,
Lachen wurde nur zwei- bis dreimal in der
Woche durch Totenstille unterbrochen, wenn
der „Alte" kam, der dann sehr eingehend kor-
rigierte. Es war auffallend, wie einige Anfänger
absolut keine Farbe sahen, sondern fast nur
schwarz imd weiß malten.
Es waren auch originelle Käuze dabei, in erster
Linie Georg Sauter, mit blutunterlaufenen Au-
gen, den der Professor fortjagen wollte, weil er
ihn für verrückt hielt, der dann aber durch
Gnade die Erlaubnis erhielt, zu hinterst auf
drei aufeinandergebeigten Kisten zu stehen, und
mit seinem wilden Pinsel zu fuchteln. Er
schmierte immer Zinnober irgendwohin, „weil
Rubens immer Zinnober anbrachte". Bei einer
Kompositionskonkurrenz malte er was ganz
Kurioses, und als ihn der Professor fragte, was
das darstelle, sagteer: „Ein Rätsel". Ein an-
dermal, als eine Aufgabe gestellt war „Gefan-
gen", zeichnete er eine leere Stube mit einem
Schatten am Boden und einer offenen Türe und
erklärte es so, das sei der Schatten des Gefan-
genen, und vor der offenen Türe wolle eben
der Gefängniswärter hereinkommen. Dieser
Sauter erzählte uns einmal an einem Fest, als
ihn schon die erste Maß Bier gesprächig ge-
macht hatte, daß er als Hirtenknabe ein Ma-
donnenbild in einer Kirche gesehen hätte und
darauf zu einem Anstreicher in die Lehre ge-
gangen sei. Da habe er aber nichts gelernt, son-
dern nur die Kinder hüten müssen und Prügel be-
kommen. Dann sei er nachts zum Fenster hinaus
entflohen und zu Fuß nach München gewandert,
wo ein Bekannterihm in der bittersten Not ge-
bolfen habe. Eines Tages habe er aber doch
nichts mehr zu essen gehabt und sei drei Tage
im Bett geblieben und nur zur Zeit der Mahl-
zeit spazieren gegangen, um die Hausfrau zu
täuschen. Es sei furchtbar gewesen. Wir Kolle-
gen wußten nichts davon und glaubten eben,
Sauter sei halb verrückt. Er war so aufgeregt
und eigensinnig, daß niemand mit ihm Freund-
schaft schloß. W as für eine Perle diese rabau-
zige Hülle umschloß, ahnte damals kein Mensch,
am wenigsten miser geadelter Professor.
*
Oft flogen wir aus, isaraufwärts, auch nach
Dachau, dem malerischen Dorf, das sich über
der Moosgegend auf einem Hügel erhebt, und
nach Schleißheim, wo das verlassene Königs-
schloß noch eine Menge Bilder beherbergt. Es
gab Landschaftsmaler, die den Reiz der flachen
Moosgegend über alles lobten. Ich fand sie nur
trostlos melancholisch und sehnte mich nach
wellenförmigem Gelände, weshalb ich das Tal
der Isar, besonders Großhessellohe und Grün-
wald allem vorzog. Dort war auch etwa Otto
Greiner mit uns, der die Gartenhäuschen, wo
wir unsere Maß Bier tranken, so reizend zu
zeichnen wußte, und Georg Lührig, ein Genie,
und sein Schatten W ohlgemuth. Lührig zeich-
nete wunderbar mit breitem Zimmermanns-
bleislift und wußte aus allem ein Bild zu ma-
chen, machte die figurenreichsten Komposi-
tionen, kurz er blendete geradezu mit seinem
Können, so daß W ieland sagte, Rubens sei ein
Schafskopf dagegen. . . . Damals gruppierte
sich um ihn ein Kreis von Verehrern, die mit
ihm zum Skizzieren auszogen und abends in
den Gasthäusern die in Rauchwolken malerisch
sich abhebenden Biertrinker abzeichneten. Be-
sonders in der Karnevalszeit fand sich viel glück-
licher Stoff für die Skizzenbücher : elegante oder
phantastische Kostüme, in den Nachtkaffees
Liebespärchen, die sich in den Ecken herum-
poussierten. Diese Skizzen waren mehr Übungen,
einen andern Zweck hatten sie kaum. Damals
zeichneten wir nett, anschaulich, tonig und
plastisch; es mußte hübsch aussehen. Später
skizziert man mehr zum Zweck des Festhaltens
eines Motivs, das man zum Bild zu brauchen
gedenkt; deshalb geht man mehr aufs wesent-
liche, kümmert sich nicht ums hübsche Aus-
sehen und zeigt die Blätter weniger gerne her.
denkt auch niemals an einen Verkauf. Und
doch wären das für einen Sammler gewiß
manchmal interessante Blätter und billig zu
haben. Wenn einer eine findige Nase hat,
könnte er gerade bei jungen talentvollen Leuten
Erstlingsversuche leicht erwerben und Für später
eine wertvolle Sammlung anlegen.
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