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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

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Schulze-Köln, Otto: Architekt Hermann Kirchmayr
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https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0030

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Seite 16.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Januar-Heft.

ARdliTE^T Hermann kirömayr.

Um keinen der historischen Stile hat die Wahrnehmung künstlerischer In-
teressen zu so erbitterten Kämpfen geführt, als um die angebliche Berech-
tigung oder Nichtberechtigung des gothischen Stils. Immer wieder finden sich
Kunst- und Kulturhistoriker, Architekten, Bildhauer und Maler, ja selbst Laien,
die die gothische Formensprache ihrer gesetzmässigen Strenge und Klarheit, ihrer
logischen Anwendung, ja nicht zuletzt ihrer ausdrucksvollen Feinheiten und
poetischen Reize wegen über Alles schätzen. Man darf wohl den Grund dieser
Bevorzugung und gesteigerten "Würdigung weniger in der überreich geförderten
kunsthistorischen Erkenntniss als in jener erst seit den letzten Jahren erkannten
und gegebenen und nunmehr fest umrissenen Definition der Wesenheit des
Begriffes »Stil« nach Zweck, Material, Technik, Aufbau, Ausdruck und
Benutzung, also in den Grundelementen der Entstehung und Bildung eines
Kunstgegenstandes erblicken. Durch fast vier Jahrhunderte herrscht die gothische
Formensprache ganz ununterbrochen; in der Früh-, Blüthe- und Spät-Gothik
kommt dieser angeblich »barbarische« Stil zu keinem Ausleben, zu keinem Hin-

Abtheilung der Technischen Hochschule zu München, deren künstlerisches
Ergebniss der Künstler selbst jedoch nicht hoch anschlägt, da der damalige
Abtheilungschef Oberbaurath von Neureuther die Tendenz hochhielt: »Studium
nach der Natur verroht den Geschmack« (!). Eine kurze Praxis am Königlichen
Schlossbau Herrenchiemsee brachte den Künstler dann ganz in die kunstgewerb-
liche Strömung und zwar zu Gunsten des Interieurs und des Möbels. Kirchmayr
begann seine künstlerischen Streifen durch Süddeutschland und Tirol, deren
Kirchen, Schlösser, Burgen, Klöster und Bauernstuben aufnehmend in Zeichnungen
und Aquarellen, die von bisher nie gekannter Karakteristik und Wahrheit,
poetischem Reiz und seltener technischer Beherrschung durchströmt sind. Viele
dieser wunderbaren Blätter sind veröffentlicht, viele in Privatbesitz übergegangen,
darunter ein ganzes Werk: eine Monographie über das Schloss Velthurns in
den Besitz des Fürsten von Liechtenstein. Hier in Velthurns, wo Kirchmayr
mehrfach Winter und Sommer allein zubrachte, kam er durch seinen intimen
Verkehr mit der Natur zu der Erkenntniss 'der in dieser ruhenden Schönheiten
und Formenwerthe. »Nicht das ewige Nachahmen der Alten war bildend für
mich, sondern die wahrhaft ,gothische' Flora Süd-Tirols gab mir Anregung und
Vorbild, um, unabhängig von der Bewegung da ,draussen' mir in einiger Zeit

Abbildung Nummer 760. Schlafzimmer-Möbel mit Flachschnitzerci im Karakter der Tiroler Gothik. Entwurf von W. Kimbel jr., München.

welken — immer wieder treiben aus ihm neue Triebe und neue Blüthen, so
im 17., 18. und im 19. Jahrhundert. Allein unser Jahrhundert kennt drei
solcher Nachblüthen — zu Anfang, Mitte und Ende — und die letzte, der
wir uns jetzt erfreuen, verspricht die reichste Ernte abzuwerfen.

Architekt Hermann Kirchmayr, nicht nur ein Kenner, sondern auch ein
Könner, ein wahrer Künstler in dem Verstehen und Neugestalten, im Neu-
beleben gothischer Kunstformen, dem wir die unvergleichlichen Original-Beiträge
dieses Heftes verdanken, zählt zu den Allerbesten jener Modernen, die sich
absichtslos für die Schaffung eines sogenannten »neuen« Stils in stiller Arbeit
aufopfern. Fern vom Tagesgeschrei nach dem Allerneusten, dem Auffälligsten
und Aufdringlichsten lebt der Künstler in Klausen in Süd-Tirol, also umgeben
von und in engster Fühlung mit den herrlichsten Kleinkunst-Denkmälern aus
der Blüthezeit deutscher Gothik, die zum Theil schon von den ersten Wehen
der Frührenaissance berührt sind. Keiner hat wohl mit so echter warmer Hin-
gabe das Wesen jener am wenigsten entstellten und umgemodelten, oder gar
»verbesserten« Original-Werke in ihrer heimatlichen Eigenart und Ursprünglichkeit
zu erforschen versucht als Hermann Kirchmayr, der auch in der Flora Süd-
Tirols heute noch das sieht, was vor vier bezw. fünf Jahrhunderten die damaligen
Künstler darin sahen: »eine wirkliche gothische Flora« (des Künstlers eigene
Worte). Kirchmayr ist 1857 zu Kufstein geboren. Nach der üblichen Vor-
bereitung machte er während 10 Semestern seine Studien an der Hochbau-

meinen Platz unter den ,Neuen' zu sichern«. So äussert sich der Künstler und
er fügt hinzu: »Wenn ich mit ,alten'Verbindlichkeiten (an die Kunst vergangener
Zeit) ganz fertig bin — so will ich ganz in der jetzigen Bewegung mitarbeiten!«
In diesem freimüthigen schlichten Geständniss, in diesem bescheidenen Zurück-
stehen einer wahren und echt persönlichen Künsüernatur spricht sich wiederum
eine so starke selbsterkennende Eigenwerthung aus, dass man sagen darf: einem
Künstler, dem es gelang, in alte Kunstwerke sich mit so seelischer Vertiefung
hineinzuleben, ohne sein persönliches Ich dabei sklavisch unterzuordnen, werden
sich alle Pulsschläge seiner Zeit, das lebendige Leben des Zeitkarakters offen-
baren , um eben diesem schöpferisch Ausdruck geben zu können! Schon heute
zählt Kirchmayr zu den Meistern der profanen Innen-Architektur, die in der
Raumgestaltung von innen nach aussen zunächst wirklichen Lebensansprüchen
an Zweckleistung wie Schmuckäusserung die grösste Berechtigung zuerkennen.
Ein Künstler, der dem gerecht zu werden vermag, zählt unstreitig zu jenen
Besten der »Modernen« in der deutschen Künstlergruppe, die ohne irgendwelche
Konzessionen an das Gesuchte, Bizarre, an sich Zeitfremde — heimatlich schaffen.
— So dürfen wir von Kirchmayr noch manche bedeutsame Schöpfungen erwarten,
steht doch — menschlichem Ermessen nach — dem Künstler noch eine lange Spanne
Zeit bevor, der Erfüllung seiner persönlichen Kunstäusserung zu leben! Um das zu
erreichen, dazu möge ihm dauernde Gesundheit werden! — Wir werden weitere
Arbeiten Kirchmayr's in unseren Zeitschriften veröffentlichen. o. Seh. — K.
 
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