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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

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Metzger, Max: Zur Reform des Möbelstils: Ein Mahnwort an die Möbelfabrikanten und Möbeltischler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0104

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Seite 82.

Illustr. kunstgewerbl.

Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Juni-Heft.

Nachahmung nur eine Durchgangsstation bilden sollte zur
Freiheit des Erfindens und Schaffens. Die Lehre muss dem
Können vorausgehen, das Können kann oft zur Freiheit des
Schaffens führen.

Wir haben ferner unser Kunstgewerbe bisher abgeschieden
von der hohen und freien Kunst. Es war der einzig richtige
Weg, um unsere stramme Schulung zu erreichen. Die einzelnen
Handwerkstechniken mussten geschult und vertieft werden,
die strenge Erziehung zu stilgemässem Schaffen war uns
durchaus nothwendig. Heute, nachdem wir tüchtig-geschulte
Kunsthandwerker haben, nachdem die Grundsätze des stil-
gemässen Schaffens uns in Fleisch und Blut übergegangen
sind, ist die scharfe Trennung beider Gebiete nicht mehr
nothwendig, vielleicht für die Dauer sogar gefährlich. Das
Reich der Kunst ist eines und dasselbe, es steht in ununter-
brochenem Zusammenhange vom unscheinbarsten Ornament
angefangen bis zum Galeriegemälde, bis zum reichge-
schmückten Monumentalbau.

Die bisherige Gebundenheit der sogenannten Kleinkunst
im Gegensatz zur Freiheit der hohen Kunst scheint sich auf-'
zulösen und zwar nicht am ersten aus sich selbst heraus, als
vielmehr durch die herabreichende Hülfe jener. Bedeutende
Bildhauer und Maler verlassen ihre vornehmen Ateliers und
halten Einkehr in den Werkstätten des Handwerks. Und
wie die Natur die Urquelle aller Kunst war und blieb, so
wird wiederum die hohe Kunst die Quelle der Anregung und
Begeisterung für die Kleinkunst werden.

Jetzt ist die Zeit auf dem Höhepunkte, jene Ideen, jene
Gesetze der Schönheit, nachdem sie geläutert aus dem Feuer
hervorgegangen, sich als fruchtbringend und richtig erwiesen
haben, wiederum in erneuter Form an's Licht zu bringen.

Aber eines darf niemals vergessen werden: ein gesundes
Kunstgewerbe kann nur aus einem solid gearteten Gewerbe
entstehen! Das dekorative Element spielt niemals die erste
Rolle. Brauchbarkeit, Zweckmässigkeit, Solidität sind die
ersten Bedingungen, die wir immer an unsere Gebrauchs-
gegenstände stellen müssen. In dieser Beziehung ist vieles
gesündigt worden und wird noch gesündigt von unseren
Meistern, die durchaus kunstgewerblich zu schaffen glauben,
wenn sie einen Gegenstand mit allem möglichen Aufputz
versehen und dabei nur zu häufig diese ersten Vorbeding-
ungen ausser acht lassen.

Es werden neuerdings die englischen und amerikanischen
Möbel so ausserordentlich gepriesen und uns als Vorbilder
aufgedrängt. Ja, wir gehen der Gefahr sogar entgegen, dass
die Ausstattungen wirklich vornehmer Leute nur noch von
jenseits des Ozeans bezogen werden. Mit welchem Rechte
sollen unsere deutschen Meister hinter diesen fremden zurück-
stehen? Haltet Einkehr, deutsche Handwerker! Lernet aus
dieser Gefahr, die Euch droht!

Die Amerikaner und Engländer verlangen zuerst Brauch-
barkeit, dann erst, wenn es überhaupt nöthig, Zierrath! Darin
liegt das ganze Geheimniss der Konkurrenzmacht jener
Nationen. Der Gegenstand muss brauchbar sein, solid und
einfach; schön kann er deswegen doch wirken.

Aus England und Amerika ist die Mode bei uns im-
portirt worden, viel echtes Material zu verwenden. Wir
können mit dieser Mode wohl zufrieden sein. Je mehr das
Publikum vom Scheinprunk und vom billigen Imitationswesen
entwöhnt wird, desto besser für den reellen Handwerker.
Die Zeiten scheinen zu kommen, in denen kein gebildeter
Mensch mehr für wenig Geld viel Augenverblendung ver-
langt. Dann werden die kaufkräftigen Leute die billigen
Schund- und Ramschbazare meiden und diese Stätten den
ungebildeten und mittellosen Massen überlassen.

Die Anforderungen der Engländer und Amerikaner an
ihren Hausrath, die von Geschmack zeugende Vorliebe für
echtes Material bringen es mit sich, dass für den dekorativen
Aufputz gewisse Grenzen gezogen werden. Ihren Bestrebungen
verdanken wir eine grössere Einfachheit im Ausschmücken
bei allem Aufwand, die Erzielung guter, solider Tischler-
arbeit, die Bevorzugung gediegener Metallbeschläge unter
Ausschliessung der gangbaren Fabrikwaare. Der immer
mehr zum Durchbruch kommende Sinn für Zweckschönheit
befreit uns von einer entarteten, der freien Entwickelung
schädlichen Stilmeierei.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die endlose Nach-
ahmung der historischen Stile uns vielfach zum Greuel ge-
worden ist. Die Benutzung der Vorbilder wurde vielfach
gröblich missverstanden, das Entlehnen geschah in plumper
Weise und Hess zum grössten Theil moderne Bedürfnisse
und moderne Anforderungen ausser acht. Das heutige
Menschengeschlecht ist ein anders geartetes als dasjenige der
Zeiten gothischer Stilblüthe, als dasjenige der Renaissance,
der moderne Mensch lebt in anderen Gewohnheiten, Sitten
und Anschauungen als der Barock- und Rokoko - Mensch.
Nach unseren ureigenen Bedürfnissen und Eigenarten behan-
delt zu werden, dürfen wir aber wohl verlangen.

Der grosse Eindruck, den die englischen Möbel mit ihren
einfachen Linien und dem bewussten Verzicht auf alles über-
flüssige Schnitz- und Drechslerwerk, mit ihren zweckdienlichen
Konstruktionen, die vor allen Dingen auch auf die noth-
wendigen Staubbefreiungs- und Scheuersorgen der Hausfrau
Bedacht nehmen, bei uns hervorriefen, war ein zu deutliches
Zeichen der Reaktion, als dass wir uns der Erkenntniss der
bestehenden Mängel verschliessen dürfen.

Schon finden einfache, geschmackvolle Arbeiten An-
erkennung bei uns in Deutschland, schon fangen die Bestre-
bungen, das fürchterliche Talmi zu verdrängen, auch bei uns
an Boden zu gewinnen. Echte Schnitzereien mag in Zukunft
nur der verlangen, der sie sich leisten kann; unechter Prunk,
schlecht nachgeahmte Dekoration wird in nicht mehr unab-
sehbarer Zeit von keinem Gebildeten verlangt werden. Die
Bildung gewinnt aber in neuester Zeit auch mehr und mehr
nach der künstlerischen Seite. Unsere Wohnräume werden
deshalb nicht kahler werden. Das Verdrängen des unsoliden
billigen und unkünstlerischen Luxus wird eine wahrhaft künst-
lerische Vertiefung des vereinfachten Interieurs mit sich bringen.

Wer durch meine Worte hiervon nicht zu überzeugen
ist, der mag sich die Abbildungen der neueren Wohnräume
ansehen. Der ganze Schmuck liegt oft nur in den wohl-
getroffenen Verhältnissen, in dem leichten, gefälligen Aufbau,
in der Wirkung weicher, vornehmer Linienzüge. Dem Karakter
des Holzes wird Rechnung getragen durch graziöse, wohl-
durchdachte Konstruktion, alle seine Eigenschaften finden
Verwerthung, nichts, was ihm schlecht zusteht, wird ihm
abgezwungen. Ich weiss leider nur zu gut, wie schwer, ja
fast unmöglich es ist, unsere alten Meister davon zu überzeugen,
dass auch ein vornehmes prunkendes Möbel ohne Säulen-
bildungen, Muschelaufsätze, Konsolen, Hängezapfen u. s. w.
zu machen ist. Eine mächtige Unruhe entstand z. B. in einer
Tischlermeister-Versammlung vor einiger Zeit, als ein Freund
von mir gegen die Uebertragung der Architektur auf die
Möbel sprach. Noch grösser war der Unmuth gegen den
Direktor einer Tischlerfachschule, der durchaus die unver-
standenen Architekturformen aus den zeichnerisch zu behan-
delnden Objekten entfernt haben wollte.

Unsere so lange bewahrte Vorliebe für die Renaissance,
verbunden mit der Nachahmung der alten Muster, hat uns
die Uebernahme der künstlerischen Glieder und Architektur-
 
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