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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Poellnitz, ... von: Einiges über Haus und Strasse der Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0045

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Seite 26.

Illustr. kunstgewerbl.

Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Februar-Heft.

bedeutend, dass diese Methode entschieden nicht empfehlens- tikalen aufbaut, denn damit liesse sich eine grössere Freiheit
werth erscheint. Sehr viel glücklicher ist die Anlage der j verbinden. Ein gleicher Rhythmus, ein gleiches Gesetz auf-

Hauptstrassen von Paris (z. B. Avenue de l'opera, Rue de

Abbildung Nr. 1011. Wilhelm Michael—München. Wasch-Tisch.

steigender Linien musste also die künstlerisch zu einander
gehörigen Häusermassen beherrschen, um sie ästhetisch zu-
sammenzubringen und in ihrer Gesammtheit wirken zu lassen.
Oft schon zeigen die neuesten Waarenhäuser durchgehende
Pfeiler vom Boden bis zum Dach, und das entspricht ent-
schieden dem inneren konstruktiven Wesen dieser Bauten
am besten. Nicht die von Fensteröffnungen durchbrochenen
Mauern, sondern das Pfeilerhaus, dessen ganze Vorderwand
in Glas aufgelöst, sich dem einströmenden Lichte öffnet, bildet
bei hohen tiefgehenden Bauten allein das zweckentsprechende
Grundschema. Hier ist es sinnlos, durch Mauerflächen wirken
zu wollen; nein, wir mussten sogar die Pfeiler mit ihrer Breit-
seite senkrecht stellen zur Fassadenflucht wie beim gothischen
Dom, wollen wir das Prinzip auf -die Spitze treiben. Denken
wir uns ein Strassenbild so nach dem Entwürfe eines Geistes
durchgeführt, so würden wir vor einer überwältigenden Ein-
heit und Grösse der Anlage stehen; wir würden eine Wirkung
der eines gothischen Domes vergleichbar zu bewundern haben.

Stellen wir uns die weiteren Konsequenzen dieses Systems
vor. Ob die Pfeiler frei über dem Dach enden, sodass das
Haus gewissermassen in ihrem Gerippe aufgehängt erscheint,
oder ob ihre emporschiessende Kraft durch vermittelnde
Horizontalglieder gebrochen und gebeugt wird unter dem
auf lastenden Dache, wird dem Gesammtbild einen sehr ver-
schiedenen Karakter aufprägen. Ebenso wichtig ist die Ein-
heit in der Farbenzusammenstellung, der in der Hauptsache
wohl durch das landläufige Material die Wege gewiesen sein
werden. Auf diese Punkte muss sich also das Allgemein-
projekt erstrecken und hier den einzelnen in sich geschlossenen
Strassenbildern gewisse Gesetze auferlegen, aber darüber
hinaus wird eine unendlich grössere Freiheit bestehen können,
als bei dem Pariser System; ja, eine gewisse Freiheit wird
hier nöthig, um die Eintönigkeit zu vermeiden. Zwischen
den Pfeilern wird man Erker, Balkons und Loggien nach
Belieben anordnen dürfen; man wird bei Wohnhäusern viel-
leicht oft erkerartige Ausbauten durch viele Stockwerke vor-

Rivoli u. a.), bei denen wenige
grosse Horizontallinien durch
die nur gering vortretenden
Gesimse mit aufliegenden Bal-
kons bezeichnet sind, wogegen
die durch Pilaster betonte Ver-
tikalrichtung gar nicht zur
Geltung kommt. Durch Gleich-
heit des Materials wird Einheit
der Farbe erzielt, und so ver-
eint sich hier alles zu einem
so harmonischen, so vornehmen
und so grandiosen Strassenbild,
wie die Welt wohl kaum ein
zweites bieten mag. Für dieses
System der Strassenanlage ist
Paris entschieden mustergültig,
aber hier ist die straffste Ord-
nung nöthig; es muss Haus
für Haus genau nach dem
Schema errichet sein; ein Erker
genügt alles zu zerreissen—jede
Individualität ist ausgeschlossen.

Für uns wäre vielleicht
ein System geeigneter, das sich

auf einer Betonung der Ver- Abbildung Nummer 1012. Entwurf von c. r. ashbee—London. Kabinet.
 
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