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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

DOI Artikel:
Ebe, Georg: Das Historische Erbe der Architektur und die "Moderne", [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0134

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Juni-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeits

chrift für Innen-Dekoration.

Seite 99

Abbildung Nr. 1118. Aus der Villa Fritzsche. Kneipzimmer-Thür.
Ausführung von Tischlermeister Arnemann in Leipzig.

Für den Nachweis der Gesetzlichkeit in der Flucht der
Erscheinungen, wie wir sie von einer begründeten kunst-
geschichtlichen Darstellung fordern dürfen, ist es nöthig, die
eigentlich schöpferischen Elemente von der unendlichen Breite
der nachtretenden Kopien zu sondern. Es ist dies keine
leichte Aufgabe, denn fast in allen Epochen sind die wirk-
lichen Schöpfungsbauten, an denen der Ursprung der Typen-
bildung unzweifelhaft nachzuweisen wäre, zu Grunde gegangen,
und man ist gezwungen, Schlüsse aus Nachbildungen zu
ziehen, an denen das Neue bereits umgeändert und in seiner
ersten Form unkenntlich geworden ist. — Nebenbei bemerkt
ist der Begriff der Schöpfungsbauten, das heisst solcher, an
denen zuerst eine bestimmte Raumkombination oder eine
besondere Lösung für den Aussenbau zum Vorschein kommt,
von Martens in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts in
die Kunstgeschichte eingeführt worden. — Da jede Neu-
schöpfung durch ein Vorangegangenes vorbereitet wird und
auf ein Nachfolgendes deutet, so ergibt sich aus diesem Ver-
hältniss die Anerkenntniss einer als unpersönlich aufzufassenden
Gesetzlichkeit, mit welcher die individuelle Freiheit der ein-
zelnen Künstlerpersönlichkeit in einen schroffen, fast unlös-
baren Gegensatz geräth. Und doch erscheint jedes Kunst-
werk als ein Ausfluss des freien, unbeschränkten Wollens;
ebenso ist es stets nur die Schöpferkraft des Einzelnen, in
dem der prometheisch zündende Geistesfunke des Erfinders
aufblitzt, gewesen, welche die Gebilde aus dem Chaos hervor-
gerufen und mit der zum Herzen gehenden Wärme des

Gefühls ausgestattet hat. Jedenfalls war zu allen Zeiten, in
den älteren nur weniger deutlich erkennbar als heute, der
Individualismus die mächtigste Triebfeder für alle Umgestal-
tungen auf dem Felde der Kunst. Die Kenntniss unserer
selbst lehrt uns, dass der Lebende und Wirkende neben
seinem eigenen Ich Vorwelt und Mitwelt vergisst, und so
wird es immer gewesen sein. Aber dennoch kann Niemand
aus seiner Zeit heraus, auch dem grössten Genie ist es nicht
gegeben, diese Schranke zu überschreiten; zugleich ergibt
sich das Kreisen vieler Mitstrebender um eine besonders
glänzend hervortretende Persönlichkeit, weshalb wir schon
längst gewohnt sind, für zeitlich ferner liegende Epochen die
Vielheit der Individuen aus unserer Beobachtung zu verlieren
und alles Geschaffene an einige grosse Künstlernamen zu
heften. In dem oben Gesagten liegt jedoch wieder der Hin-
weis auf eine vorwaltende Gesetzlichkeit. Aus der Zusammen-
stellung der Leistungen eines Volkes in dem Zeitabschnitt
zwischen der beginnenden und vollendeten Entwickelung
ergibt sich, indem das Verwandte gruppirt und das Abge-
leitete auf das Ursprüngliche und Einfache zurückgeführt
wird, das Stilbild einer nationalen Epoche, welches das Gesetz-
mässige mit den Aeusserungen einer freien Willkür verbindet.
Wären die Kunstgebilde nur von der letzteren ohne gesetz-
liche Normen gestaltet, so könnte es nur eine bunte Mannig-
faltigkeit ohne Ordnung, also nicht das, was wir einen Stil
nennen, geben. Die in einer Epoche nationaler Kunstübung
zur Geltung kommenden ästhetischen Gesetze sind allerdings
in demselben Sinne konventionell wie die Gesetze des Guten
und Rechten, die von einer Mehrheit den Menschen zur

Abbildung Nummer 1119. Beschlag im Kneip - Zimmer,
Ausführung von" Schlossermeister~KAYSER in Leipzig.
 
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