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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Schmidkunz, Hans: Der Durst nach Linie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0207

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Seite 158. Illustr. kunstgewerbl. Zeitsc

keller & reiner, Kunst-Salon, Berlin. Eigene Ausführung.
Abbildung Nummer 1194.

maierei« sattsam bekannte »Durst nach Licht«, was uns zu
einem Verdrängen der Vorliebe für Striche, des kurz so zu
nennenden »linearen Interesses« durch eine Vorliebe für
flächenhaftes Darstellen geführt hat.

Im Näheren bekommt dieses flächenhafte Darstellen
speziell mit zwei Formenarten zu thun. Die eine ist die
»Silhouette« im weiteren Sinn, d.i. die streng als Fläche,
nicht mit eigentlichen »Konturen« dargestellte Fläche, die
sich scharf von einem an 1 lelligkeit und meist auch an Farbe
verschiedenen Hintergrund abhebt (bei Beschränkung auf
Schwarz und Weiss haben wir die Silhouette im engeren
Sinn oder den Schattenriss). Die andere Formenart ist einer
der berühmtesten und berüchtigtsten Schwerenöther der
modernen Malerei, der sogenannte »Klecks«, das kleine
Flächenstückchen, das eine bestimmte Farbenqualität oder
Lichtstufe trägt, und deren viele in ihrer eigenthümlichen
Zusammenfügung den beabsichtigten Gesammteindruck ergeben.
Mit diesen zwei Formenarten ist nun der Farbe und dem
Licht reifliche Gelegenheit zu mannigfacher Entfaltung
gegeben. Heutzutage finden wir kaum mehr eine Kunst-
ausstellung, die nicht, ob nun »modern« oder ältlich, eine
reiche Beispielsammlung für beides darbietet, wenngleich auf
secessionistischem Boden Silhouette und Klecks und die diesen
beiden zu dankende »dekorative« Wirkung ganz besonders
gedeihen. Die grossen gestaltvollen Flächen, die farbigen
Silhouetten sind vornehmlich den beiden in letzter Zeit
berühmt gewordenen selbständigen »Schulen«, denen von
Glasgow und von Worpswede eigen. Mit »Klecksen« wird
nun schon allenthalben so eifrig gemalt, dass die Erwähnung
einzelner Beispiele besser unterbleibt. Wohl aber ist noch
hervorzuheben, dass diese kleinen, farbigen Flächenstückchen
ein ausserordentlich passender Sitz für Reflexlichter sind; in
diesem Sinn Hesse sich das Reimwort »klexig—reflexig« für
eine ausgedehnte Menge gegenwärtiger Malereien als Kenn-
zeichnung verwenden.

hrift für Innen-Dekoration. Oktober-Heft.

Nachdem nun so mit Farbe und Licht die Fläche wieder
in ihre Rechte eingesetzt und der Missbrauch der Linie über-
wunden war, konnte eine Gegenwirkung, ein Heraufholen
der künstlerischen Werthe, die in der Linie als solcher stecken,
kaum ausbleiben. Das war kein Herumschwanken von Lag
zu Tag, das war ein — und zwar nicht einmal unterbrochenes
— Weiterentfalten dessen, was noch nicht alle seine Ver-
wendungen erschöpft hatte. Und jetzt war man der Farbe
sicher genug, dass ihr das Denken in Linien nichts mehr
schadete. War im Ueberwinden der Vorliebe für ein Dar-
stellen durch Striche das Karakteristischeste und für einseitige
Meinungen Aergerlichste ein Zeichnen ohne eigentliche
Konturen gewesen — in der Schwarzweisskunst auch durch
Schraffirungslinien, deren Enden allein die Grenzen der
Flächen wiedergeben sollten — und wurde damit manch
Wehegeschrei über ein angebliches Verachten der Zeichnung
überhaupt wachgerufen, so fand nun hinwider auch der
starke, wenngleich gegen früher weniger harte Umrissstrich
seine eigenthümliche Ausbildung. Die Plakatkunst war ein
ganz besonders günstiger Boden dafür. Auf ihm gedieh
auch eines der eigenartigsten Phänomene dieser Tendenz: die
doppelte Kontur, das Zeichnen von Flächen oder Körpern
mit zwei (unter Umständen auch mehreren) Umrissstrichen;
allerdings konnte hier das Paar paralleler Striche leicht in
ein ohne eigentliche Grenzstriche gezeichnetes oder gemaltes,
mehr minder breites Band übergehen, womit denn, genau
genommen, wieder die Pläche da war.

Auch in farblosen oder halbfarbigen Porträts und porträt-
ähnlichen Skizzen finden wir nun oft wieder ein Arbeiten,
das hauptsächlich durch Striche und zwar insbesondere durch
wenige, wirkungsreiche Striche sein Ziel erreichen will,
einigermassen ähnlich den von Holbein gezeichneten Köpfen.
Abgesehen von solcher Aehnlichkeit, möchten wir hier na-
mentlich auf französische Zeichner hinweisen, deren flotte
Strichführung ihren mehr oder weniger skizzenhaften Arbeiten
ein eigenthümliches Ansehen gibt: so J. F. Raffaülli. Auch
die getönten Zeichnungen von J. L. Forain gehören hierher.
Im Juni 1899 war eine Sammlung von ihnen im Kunstsalon
Schulte zu Berlin ausgestellt und zwar gleichzeitig mit einem
Album des verstorbenen L. Marold, in welchem hinwider
die mehr flächenhafte Zeichnung vertreten war. Dass die
äussere Ausstattung zahlreicher modern gehaltener Zeitschriften,
litterarischer nicht minder als künstlerischer, das Linienelement
ganz besonders pflegt, sehen wir fast bei jeder Gelegenheit.

Will man all diese linearen Erscheinungen näher ver-
folgen, so wird man namentlich gut thun, darauf zu achten,
ob die Striche mehr kurz oder mehr lang verlaufen — einiger-
massen analog dem litterarischen Stil der kurzen oder langen
Sätze. Eine gewisse »Grosszügigkeit« kann dem Führen
langer Striche immerhin innewohnen, wenngleich sie manchmal
auch nur einem phantastischen Forciren entsprungen sein
mögen. Schliesslich wird man neben der Vorliebe für linien-
artiges auch der für punktartiges Darstellen nachzuspüren haben.

In der eigentlichen Malerei treten all diese Verschieden-
heiten freilich nicht so scharf hervor wie in der farblosen
und halbfarbigen Zeichnung. Aber dennoch tragen in dieser
Beziehung auch die Gemälde von heute ein meist gut unter-
scheidbares, verschiedentliches Gepräge. Die derzeitigen
grossen Kunstausstellungen bieten durch ihre sonst bedauer-
liche Masse wenigstens Gelegenheit zu Vergleichen darin.
So besonders die Dresdener von 1899. Nur um Beispiele zu
nennen, sei hingewiesen auf den kurz sozusagen linearen
Karakter von Bildern wie des Karlsruhers Carlos Grethe
»Heimkehrende Werftarbeiter« oder von einer Baumstudie
des Müncheners Richard Kaiser; auch Liebermann's »Kinder-
 
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