Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

DOI Artikel:
Schmidkunz, Hans: Der Durst nach Linie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0208

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Oktober-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 159.

Spielplatz« gehört hierher. Allerdings überwiegt jetzt in der nicht versäumenden Kunstgewerbe-Arbeiten Hans Sebastian

Malerei das »Flächige« bei weitem das »Lineare«, und wir Schmid's (München) ungern vermissen.

müssen wieder zu weniger farbigen Arbeiten wandern, um Der Durst nach Linie in den dekorativen Künsten wei-

für dieses zahlreichere Beispiele zu finden. Aber schon sind testen Sinnes ist natürlich auch ein Durst nach freier, lebens-
unter den Oelmalereien manche mit weniger satten Farben ! voll bewegter Linie im Gegensatz zu der starren, primitiven

wirkenden Gemälde Ferdinand Hodler's ob ihrer grosszügigen Geometrie einer absterbenden Kunstepoche. Am wenigsten

linearen Anlage zu erwähnen; so die »Eurythmie« im Wiener Befriedigung hat diese seine Richtung bislang in einer

Künstlerhaus 1899 — weniger die »Lebensmüden« in der
Berliner Sezession 1899. Dass alle diese Ausstellungen in
der Fülle ihrer Schwarzweisskunst auch reichliche Beispiele
eines stark strichartigen Arbeitens bringen, lässt sich voraus-
sehen: aus Dresden seien Radirungen von Richard Müller
erwähnt (obschon andere seiner Radirungen hinwider mehr
flächenhaft gehalten sind), aus Wien von J. M. Swan-London
»gestreifte« Tigerzeichnungen.

Kunstart gefunden, die zu allernächst berufen wäre, den
Geschmack für eine naturgemässe Entwickelung der anhän-
genden Künste in den breitesten Volksschichten zu erwecken:
wir meinen die Kunst des Städtebaues, die Kunst des Grup-
pirens der Baublöcke, des Führens der Strassen, des Um-
grenzens und Bedeckens der Plätze, des Aufstellens von
Denkmälern u. dgl. Hier haben die gerade Linie und die
Verschwendung von Flächen lange genug gewaltet, dass die

Wie der Durst nach Dekorativem den »Durst nach Farbe« seit etwa zehn Jahren vorhandene und immer noch kaum
weckte und dekorative Aufgaben diesen Durst befriedigen beachtete Reformbewegung auf diesem Gebiet nun ebenfalls
halfen, so bietet nun das erstarkte dekorative Interesse nach in das Interesse für unsere neue Kunst eingeschlossen werden
anderer Richtung auch dem »Durst nach Linie« Nahrung, könnte. Hier wird der Sinn für Karakter in den städtischen
All das so viel Entsetzen bereitende Liniengewirre der neuen Linienzügen, auch wenn nicht durchaus »krumm« gebaut werden
»symbolistischen« und anderen Stilweisen wird verständlicher muss, sich vor allem in der Richtung auszubilden haben, dass er
und sympathischer, wenn man in ihm zunächst dekorative Hauptzüge und Nebenzüge herausarbeitet, nicht eine Strasse
Interessen sieht. Auch Gustav Klimt's verschnörkeltes und wie die andere gleich breit, gleich gerichtet, überhaupt gleich
mit einem schneidigen Motiv versehenes Gemälde »Die nackte angelegt sein lässt, sondern für Hauptverkehrsadern, für Ver-
Wahrheit« in der vierten Wiener Sezessions- Ausstellung kehrsstrassen und für Wohnstrassen — oder welche Typen man
dürfte in diesem Sinn aufzufassen sein. Innerhalb der rein i immer unterscheiden mag — verschiedene Karaktere prägt.

dekorativen Kunst sind die Leistungen dieser »Vereinigung
bildender Künstler Oesterreichs« vielleicht das entschiedenste
Zeugniss für den »Durst nach Linie«: in ihrer Zeitschrift

Endlich kann der Durst nach Linie und seine reichere
Befriedigung auch noch den Werth haben, dass das kunst-
beurtheilende Publikum, gerade entgegengesetzt der seiner-

»Ver Sacrum« beinahe bis zur Karrikatur entfaltet, in den zeitigen Begünstigung des inhaltlichen Interesses durch eine

linienstarre Darstellung, immer mehr auf ein Vorstellen,
Geniessen und Beurtheilen der Darstellungsformen hinge-
lenkt wird, wenn eine kraftvolle, weitfahrende Linienfüh-
rung sein Auge zwingt, solchen Darstellungsmitteln hin-
gebend nachzugehen. — Es dürfte eine dankbare und
gewiss zu interessanten Vergleichen führende Beschäftigung
sein, den »Durst nach Linie« bei Künstlern wie van de Velde,
H. Christiansen, O. Eckmann u. a. auf sein individuelles
Gepräge hin zu untersuchen. — Hans Schmidkdnz.

Saaldekorationen ihrer vierten Ausstellung zu einem sehr
beachtenswerthen Künstlerthum entwickelt. Diese einfachen
grossen Linienzüge des »Grauen Saales« von Josef Hoffmann
und einigermassen auch der übrigen Säle sind jedenfalls eine
Bereicherung der Kunstgeschichte, die nicht mehr rückgängig
gemacht werden kann und noch reicher Weiterbildung fähig ist.

Dazu nun das Kunstgewerbe. Auch ihm ist ein Antheil
an der Befriedigung des Farbendurstes zu danken: es hat
das Weiss und das Allerweltsbraun überwunden, und es hat
gelernt, im Wirken durch farbige Flächen fast mit der
Malerei zu wetteifern. In seiner reichen Vertretung auf der
Dresdnerin von 1899 macht sich diese kunstgewerbliche Art
in hervorragender Weise durch die »Deutsche Stube« des
Architekten Hermann Billing aus Karlsruhe geltend. Sonst
aber hatte schon das ungefähr erste Hervortreten der neuen
Epoche des Kunstgewerbes zu München 1897 einen Triumph
der selbständigen Linienführung bedeutet, und die kunst-
gewerblichen Kämmerchen der 1899er Ausstellungen in Wien
und in Dresden lassen nun die grossen Linien sich nach
Herzenslust in Schränken und Stühlen, Tischen und Teppichen
tummeln : nicht um sie herum, als Zierrath, sondern als we-
sentliche Bestandtheile ihres Aufbaus. Und zwar sind es
nicht die vielen einförmigen Spreizen der englischen Möbel,
sondern die meist wenigen grossen, wenngleich einheitlichen
Züge deutscher Möbelformen; und es ist weder das Geschnörkel
des Rokoko und des Neu-Rokoko noch auch der starre rechte
Winkel des Empire und des Biedermaierstiles, sondern die
mässig, kraftvoll und doch phantasiereich, obgleich manchmal
bis ins unmotivirt Phantastische geschlungene, am ehesten
schlangenförmige Linie. In diesem Sinn bedürfen die Möbel
des Münchener Malers Hans E. v. Berlepsch wohl nicht erst
einer Beschreibung; auch die üppige Linienwelt all jener
Wand-Teppiche u.dgl. ist bereits gut bekannt; Kenner werden
auf den Ausstellungen die ebenfalls an grossen Linien-
zügen reichen und doch die Wirkung der farbigen Flächen Abbildung Nr. 1195. keller & reiner, Berlin. Eigene Ausführung.
 
Annotationen