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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0178
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dieses Augenblicks empfinde. — Der Oberamt-
männin Stimme rief die Gerührten zurück in die
gewöhnliche Welt; die gute Frau war in Verzweif-
lung, da der Tisch besorgt werden sollte und Marie
nicht zu finden war.
Der Obcramtmann richtete sich in all seiner Würde
empor, und nahm mit einer Hand seine Tochter, mit
der andern Herrn Maier. So trat er auf das
Gesellschaftszimmer zu. Die Verlobten waren zwar
wenig gestimmt, nach der Feier dieses Augenblicks
in die Sphäre eines Gesellschaftszimmers zu treten,
aber der Obcramtmann ließ kein Zögern zu; er
wußte, was er that.
Ehe sie sich besinnen konnten, stellte er sie der
erstaunten Gesellschaft als Brautpaar vor. Man
wunderte sich, man gratulirte mit mitleidig gcring-
schätzcnden Mienen; aber man gratulirte doch. Die
Verlobung war unwiderruflich erklärt und alle Ein-
wendungen abgeschnitten, welche die Frau Oberamt-
männin dagegen vorbringen konnte, daß die Schwe-
ster der künftigen Frau von Auen mit einem Dorf-
schultheißen sich verbinde. —
Die plötzlichen nnvermuthctcn Gefühle, die ihn
so völlig überwältigten, hatten dem Oberamtmann
den muthvollcn Entschluß zu einem Schritte gegeben,
der nach dem gewöhnlichen Laus der Dinge erst
nach langen Debatten, Kriegslisten, Bitten und ge-
duldigem Harren erreicht werden konnte. Nun aber
hatte er das Glück der Verlobten wenigstens ge-
sichert, mochten über sein eigenes Haupt auch her-
nach die Stürme sich entladen.
Die Oberamtmännin war im ersten Augenblick
von llebcrraschung und Erstaunen so gelähmt, daß
sie nicht zu Worten kommen und kaum in ihren
Blick die nöthige, vernichtende Kraft legen konnte.
Endlich äußerte der Finanzrath grämlich, man habe
bei allen rührenden Sccnen dieses Tages doch noch
seine irdische Natur bcibehaltcu und sollte über den
Bedürfnissen des Gemüths die des Leibes nicht ganz
vergessen.
Die Oberamtmännin kannte ihren Onkel, sie
wußte, daß er ein gutmüthiger Mann war und
Vieles vergeben konnte, nur nicht eine Vernachläs-
sigung an der Tafel. Sie ging, um die wenigen,
von diesem creignißvollen Tage nicht gänzlich ver-
nichteten Geisteskräfte zur Erfüllung der unumgäng-
lichen häuslichen Pflichten noch auszurasfcn, denn
auf Marien's Hülfe mußte sie verzichten in diesem

Augenblicke, wo dieselbe die Gratulation der Gäste
annahm. Vor deren Augen wollte sie ein Familicn-
zerwürfniß nicht bloßstellen. Auch der Augenblick
hat seine Rechte und Sorgen; so heftig auch die
Oberamtmännin dieser ohne alle Rücksicht und Ueber-
legung geschlossenen Verlobung zürnen mochte —
eine Pastete kommt im Hause eines württembcrgischen
Obcramtmanns nicht täglich auf den Tisch, und
die Oberamtmännin selbst hatte ihre Fähigkeiten nicht
im Gebiete der Kochkunst vorzugsweise entwickelt.
Marie aber hatte die Verlegenheit der Mutter
geahnt, und so bald sie immer konnte, entzog sie
sich der Gesellschaft, um zu ihren alten Pflichten
znrückzukehren. Sie kam eben noch zu rechter Zeit,
als die Obcramtmännin mit verzweifelten Mienen
die Pastete betrachtete, die sich aus der Umhüllung
nicht anders als im Zustande eines völligen Ver-
falls schien schälen lassen zu wollen. Marie legte
Hand an und vollbrachte das Werk, ohne daß auch
das kuustgeübtcstc Auge nur einen Riß hätte ent-
decken können. Es gibt Augenblicke im Leben, worin
die überströmenden Gefühle auch von den festesten
Grundsätzen sich nicht mehr Halt gebieten lassen.
Die Oberamtmännin fühlte dieß im Anblick der
glücklich losgcschälten Pastete.
Sic hätte jczt gegen Marie die strenge Miene
nicht beibehaltcn können, wenn auch ihre gauzc,
lang behauptete Autorität im Hause auf dem Spiel
gestanden wäre.
Marie aber ersah die Sonncngunst des Augen-
blicks nnd sprach von ihrem Verlöbniß. Sie könne
nicht ganz glücklich sein, so lange die Mutter sich
nicht damit zufrieden erkläre, versicherte sie; wohl
wisse sic, daß die Mutter cs immer gut mit ihr
gemeint habe, darum werde dieselbe auch einer Ver-
bindung nicht zürnen, in der sic gewiß sei, ihr Glück
zu finden.
Marie hatte recht; die Oberamtmännin hatte
cs im Grunde nie übel mit ihr gemeint, wie cs ge-
wiß weniger übelwollende Stiefmütter gibt, als
man behaupten will; sie wissen nur den rechten
Weg im Gutmcincn nicht zu finden.
Marien's herzlicher Erklärung konnte die Ober-
amtmännin das Gemüth nicht ganz verschließen.
„Wenn cs doch so sein soll, in Gottes Namen,"
sagte sic zögernd; „ich weiß wohl, ich bin immer-
zu nachgiebig gewesen und mag dadurch selbst diesen
Ausgang verschuldet haben!"
 
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