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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Ehrenberg, Hermann: Die Wiederherstellung des Hochschlosses der Deutsch-Ordensritter zu Marienburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0120

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Die Wiederherstellung des Hochschlosses der Deutsch-Ordensritter zu Marienburg.

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oft genug ist ja dieser Bau mit seinen unbeschreiblich
schönen Pfeilersälen als die bedeutendste Leistung
mittelalterlicher Profangotik in zahllosen Büchern l)
und Aufsätzen gefeiert und gepriesen worden. Einen
feineren künstlerischen Reiz gewährt aber das Hoch-
schloss, das Haus des Marienburger Conventes der
Ordensritter, der trutzige, riesenhohe, viereckige Bau,
welcher sich gegenüber der offenen Südseite des
Mittelschlosses erhebt. Wenn er bisher in weiteren
Kreisen nicht gebührend geschätzt wurde, so dürfen
wir uns nicht allzusehr wundern; denn überaus traurig
war der Eindruck, welchen er bis vor kurzem darbot.
Gerade das Hochschloss war am schwersten von
Schicksalsschlägen heimgesucht worden, barbarisch
hatten hier Freund und Feind gehaust, die Gewölbe
waren vielfach kurz und klein geschlagen, Getreide-
böden waren eingezogen, die Dächer verfallen und
Vorbauten und Anbauten ganz verschwunden. Jetzt
hat sich das Verhältnis von Grund aus geändert,
und was das Erfreulichste dabei ist, die Wiederher-
stellungsarbeiten haben sich, wie ich früher des
näheren berichtet habe, auf der gesichertsten Grund-
lage vollzogen; mit fast mathematischer Genauigkeit
hat an der Hand der im Bauschutt noch vorgefundenen
zahlreichen Gewölberippen, Pfeilerkapitäle, Schluss-
steine u. s. w. und sorgfältiger sonstiger technischen
und historischen Untersuchungen der Wiederaufbau
erfolgen können. Eine wunderbare Bestätigung der
Richtigkeit der von Steinbrecht gewonnenen Ergeb-
nisse haben nun seit meinem letzten Berichte die alten
amtlichen handschriftlichen Beschreibungen gebracht,
deren Entdeckung im königlichen Staatsarchive zu
Königsberg mir vergönnt war2). Die polnischen Be-
hörden, an welche das Schloss in der zweiten Hälfte

1) Sie beruhen mit Ausnahme des von Steinbreeht ver-
f'assten, aber nur sehr knapp gehaltenen Führers durchweg
auf älteren Anschauungen und sind meist entwertet. — Wer
sich im allgemeinen über Ordensbaukunst im 13. Jahrhundert
unterrichten will, sei auf Steinbrecht: Preußen zur Zeit der
Landmeister, Berlin, 1888, verwiesen. Über die Ordensbau-
kunst im 14. Jahrhundert steht eine ähnliche Arbeit noch aus.

2) Eine literarische Verwertung des Fundes war mir per-
sönlich nicht möglich, da ich damals auf längere Zeit dienstlich
nach Italien gesandt wurde, die Wichtigkeit der Schriftstücke
aber mir einen Aufschub nicht zuzulassen schien. Es wurde
desshalb der Apotheker Sembrzycki, der des Polnischen voll-
ständig mächtig ist, mit der Anfertigung von Abschriften
und Übersetzungen betraut, welche alsbald in das Archiv
der Marienburg übergingen. Einen Auszug aus ihnen hat
Herr Sembrzycki in der Altpreußischen Monatsschrift Königs-
berg, Jahrgang 1889 und 1890, veröffentlicht; leider sind die
beiden Aufsätze für kunstgeschichtliche Zwecke unzulänglich,
auch enthalten sie einige Irrtümer, es sind beispielsweise nicht
bloß drei, sondern erheblich mehr Inventare gefunden.

des 15. Jahrhunderts durch verräterische Abtrünnig-
keit zahlreicher Ordensunterthanen gefallen war, haben
Mauerwerk und Einrichtung nicht gerade sehr sorg-
lich gehütet und vor Verfall geschützt, aber sie haben
doch im Jahr 1565, also zu einer Zeit, wo nach-
weislich die Marienburg im wesentlichen noch unver-
ändert war, und ebenso weiterhin nach verschiedenen
Zwischenräumen durch eigens dazu ernannte Kom-
missarien genaue Inventare aufstellen lassen, welche
in trockenem, nüchternem Tone die einzelnen Bau-
teile, Zimmer und Ausstattungsgegenstände ohne jede
Rücksicht auf ihren künstlerischen Wert aufzählen.
Wegen der fremden schwierigen Sprache früher
völlig unbekannt und unbeachtet geblieben, geben
sie uns gerade wegen ihrer geschäftlichen Lang-
weiligkeit die wertvollsten, objektiv wichtigsten Auf-
schlüsse. Und nicht nur Bestätigungen haben sie
uns gebracht, sondern sie haben auch weitere Finger-
zeige gegeben und auf Dinge aufmerksam gemacht,
die vielleicht ohne sie unberücksichtigt, oder jedenfalls
unerklärt geblieben wären. Wir werden das sofort
gewahr, wenn wir uns vom Mittelschloss her dem
Hochschlosse nähern. Hinter einem tiefen Graben
erhebt sich die hohe, wehrhafte Zwingermauer, welche
parallel dem Schlosse läuft und den Parcham, den
schmalen Raum vor dem Hochschloss, schirmt; auf
ihrer rechten Seite (also vor der Nordwestecke des
Schlosses) wird sie belebt durch eine Gebäudegruppe,
wie sie phantastischer und origineller nicht gedacht
werden kann, von deren einstigem Vorhandensein
man aber keine Ahnung mehr hatte. Wohl hatte
man Fundamente und Maueransätze bemerkt, aber
sie hatten zu wenig Anhalt geboten, um Schlüsse
ziehen zu können, bis endlich durch die Inventare
volles Licht auf sie geworfen wurde. Ganz über-
raschend erwies sich auch hier, wie überall, die Uber-
einstimmung zwischen dem geschriebenen Worte und
der bauteehnischen Untersuchung, und mit voller
Sicherheit konnte auch hier an den Ausbau gegangen
werden. Überschreitet man jetzt an der bezeichneten
Stelle die Zugbrücke, welche über den Graben ge-
führt ist, so tritt man durch ein kräftiges Thor in
einen schmalen, oben offenen Gang, der schräg auf
das Hauptportal des Hochschlosses zuführt und durch
1 Seitenwände mit spitzbogigen Nischen gegen den
Parcham abgegrenzt ist; bei seinem Beginne erhebt
sich links ein Türmchen, welches als Beobach-
tungsposten diente und als besondere Merkwürdigkeit
im Inneren zwei Wendeltreppen neben einander auf-
weist, von denen die eine in den Festungsgraben und
die andere in die Festungsmauer selbst hineinführt;
 
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