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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Ulmann, H.: Ein wiedergefundener Botticelli
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0152

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Ein wiedergefundener Botticelli.

292

neuesten Inventar der nicht ausgestellten Kunstschätze
des Palazzo Pitti beschrieben steht und auch An-
fang dieses Jahrhunderts gestochen ist!

Der Gegenstand der Darstellung ist nicht klar.
Zwar liegt es nahe, hei der weiblichen Gestalt an
Athena zu denken, da die sie in so reichem Maße
schmückenden Zweige dem ihr heiligen Baume ent-
sprossen sind und Schild und Hellebarde auf ein kriege-
risches Handwerk ihrer Trägerin schließen lassen.
Aber die Verbindung der Pallas mit einem Kentaur
ist doch ungewöhnlich und lässt sich, soweit ich habe
sehen können, sonst nirgends nachweisen. Man
müsste eben für die Darstellung eine symbolische
Deutung suchen: Triumph der Klugheit über die rohe
Kraft — und zwar in diesem bestimmten Falle,
Triumph der weisen Macht Lorenzo's il Magnifico
über die brutale Gewaltthätigkeit seiner Widersacher.
Dass das Bild für Lorenzo gemalt ist, beweist das
häufige Vorkommen seiner Devise darauf. Pallas
Athena war außerdem seine erwählte Schutzgöttin.
Ihr Bild trug Lorenzo bei dem von ihm veranstalteten
Tournier im Jahre 1468 auf Banner und als Helm-
zier, wie Luigi Pulci in der darauf gedichteten Fest-
beschreibung erzählt:

Poi per ciraier la sua fatale Idea

Nel campo azzuro pur d'oro vestita

La lancia in man di Marte e'l premio havea.

Als Minerva erscheint auch Simonetta in der
Giostra des Polizian dem Giuliano im Traume, wo
sie Amor an den Olivenbaum fesselt und ihm die
Flügel beschneidet und die Pfeile zerbricht. Zu
Minerva lässt der Dichter den Giuliano beten, ehe
er sich zum Kampfe wappnet. Die Kentauren wer-
den häufig in der Kunst als Sinnbild roher, ge-
waltthätiger Kraft dargestellt und in einem italie-
nischen Holzschnitt von 1495 ist der Kampf des
Herkules mit dem Kentauren in einem gleich sym-
bolischen Sinn aufgefasst, den wir soeben unserem
Bilde untergelegt haben. Auch Polizian (Giostra I,
32) beschreibt die Wildheit der Kentauren.

Vasari erzählt nun, Botticelli habe für Lorenzo
il Magnifico eine Athena gemalt. Da er sie jedoch
ausdrücklich als „una Pallade su una impresa di
bronconi che buttavano fuoco" beschreibt, d. h. als
eine Pallas allein, die über einigen brennenden
Asten stand — dem von Polizian erfundenen Liebes-
wappen Giuliano's und späterhin auch Piero's, des
Sohnes Lorenzo's il Magnifico — so können wir unsere
Darstellung damit nicht identificiren. Vermutlich
beziehen sich auf jene bei Vasari erwähnte Athena
eine Zeichnung Botticelli's in den Uffizien und ein da-

nach angefertigter Arazzo im Besitze des Comte de
Baudreuil, wo Pallas dargestellt ist, den Helm in
der einen und einen Ölzweig in der anderen Hand.
Von einer Pallas von Sandro Botticelli ist auch im
Inventar der Mediceischen Kunstschätze die Rede.
Aber der Kopist, der in dem ersten Decennium des
sechzehnten Jahrhunderts das beim Tode Lorenzo's
aufgenommene Inventar abschrieb — diese Abschrift
befindet sich noch heute auf dem florentischen Ar-
chiv — ist wohl schon im Original gerade bei diesem
Bilde auf Schwierigkeiten im Ausdruck gestoßen,
die ihm unverständlich blieben, denn das, was er
in der Abschrift darüber mitteilt, ist so korrupt,
dass wir auch daraus für die Identificirung des zum
Vorschein gekommenen Bildes keinen Anhaltspunkt
gewinnen.

Der Typus der Pallas auf unserem Gemälde ist
der gleiche, den die Madonnen und Göttinnen auf
Sandro's Werken aus den achtziger Jahren zeigen.
Die Behandlung ist etwas breit und dekorativ wie
auf der „Geburt der Venus", der unser Bild zeitlich
auch am nächsten steht. Vielleicht gehörte es mit
dieser zusammen zu einem dekorativen Zwecken
dienenden Cyklus von großen Leinwandbildern in
einer der Villen Lorenzo's il Magnifico. Es stammt
somit aus der besten und reifsten Zeit Sandro's. Der
Kentaur gleicht denselben Fabelwesen auf einigen
Zeichnungen zum Inferno im Dante-Codex im Ber-
liner Kupferstichkabinet, die Bildung von Mensch
und Ross wirkt überzeugend und ist glücklich dar-
gestellt. Koloristische Wirkung und Trefflichkeit der
Zeichnung halten sich bei diesem Bilde auf gleicher
Höhe, und es ist nur zu wünschen, dass es nun auch
für immer aus seinem unwürdigen Versteck in die
Öffentlichkeit des Museums hinaustreten möge. War-
um gerade dieses Juwel der Quattrocentokunst seiner
Zeit ausgesondert und nicht der Galerie des Palazzo
Pitti einverleibt wurde, der es doch nur zum größten
Schmuck gereichen konnte, wird wohl ewig ein
Rätsel menschlichen Unverstandes bleiben. Dass es
aber so lange Jahre hindurch gänzlich vernachlässigt
und unbeachtet dem Untergange preisgegeben bleiben
konnte, beweist leider wieder einmal, dass trotz der
großen in Italien jetzt gemachten Anstrengungen
doch von gewisser Seite der Pflege der nationalen
Kunstwerke noch nicht die Sorgfalt und das Ver-
ständnis zugewandt werden, die zu ihrer Erhaltung
nötig sind. Möge dieser unerwartete Fund dazu bei-
tragen, die Aufmerksamkeit der Säumigen zu schärfen!

H. ULMANN.
 
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