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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Schultze, Paul: Die Frühjahrsausstellung der Secession München 1895
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0176

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Die Frühjahrsausstellung der Secession München 1895.

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Generation interessirte, waren die äußerlichen Zu-
thaten, die wie ein Unkraut das eigentlich künst-
lerische überwucherten und erstickten; die Anekdote,
die komischen Typen, die hübschen jungen Mädchen,
die ihre Reize mehr oder minder enthüllten, die
vaterländische Begeisterung und Gott weiß was. —
Es sei ferne von uns, diese Vorwürfe prinzipiell von
der Darstellung ausschließen zu wollen, und wenn
es geschah, so geschah es in der Notwendigkeit, das
Unkraut mit Stumpf und Stiel auszurotten, um die
Pflanze zu retten; es wird wiederkommen; nur musste
man sich einmal sehr ernstlich klar machen, dass
das nicht die Kunst, sondern Zuthaten seien, welche
mitklingen, wie beim Lied die Worte. Aber es kann
auch recht gut Lieder ohne Worte geben. — Das
eigentlich künstlerische Element ist dem Publikum
und sovielen Männern von der Feder, die jenem im
Grunde so fern, so fern stehen, — noch nicht auf-
gegangen. Man mache doch einmal den Versuch,
in eine moderne Ausstellung unvermerkt einen ge-
eigneten Velazquez einzuschmuggeln, all die Braven
werden auf den Leim kriechen und ihr entrüstetes
„welche Schmiererei, welch schmutzige Farbe" rufen.
Thatsächlich sind ja die Modernsten den alten Meistern
näher verwandt, als die meisten Maler-Koryphäen der
vergangenen Jahrzehnte.

Was nun die gegenwärtige Frühjahrsausstellung
m München anbetrifft, so ist sie vielleicht für die
Bestätigung dieser Behauptungen weniger geeignet.
Zunächst ist sie eine Ausstellung von fast nur
München er Künstlern und bietet kein Weltbild. In
sechs Wochen folgt ihr die große Saisonausstellung,
in der die Münchener mit der Elite der europäischen
und amerikanischen Kunst in Wettstreit treten
sollen. Es ist klar, dass man da sein Pulver nicht
vorzeitig verschießt, sondern nur das ins Treffen
führt, was in der Sommerausstellung nicht am Platze
wäre oder das wenige, was nach auswärts gehen
soll. Aus alledem erklärt sich der Charakter der
Frühjahrsausstellung, der wohl auch in Zukunft der-
selbe bleiben wird, da kein Grund vorhanden ist, dass
die Faktoren sich ändern.

Aus rein äußerlichen Gründen also sind die
Mehrzahl der Bilder Studien. Man sehe nicht so ver-
achtend auf das Wort herab und gebrauche den Ge-
meinplatz: die moderne Kunst bietet Studien für
Bilder. Erstens kennt die moderne Kunst ebenso
gut den Unterschied zwischen Studie und Bild, wie
die unmoderne Kunst; zweitens ist eine Studie nicht
gleichbedeutend mit Skizze und bietet mehr von der
beliebten „Ausführung" als das Bild; gar manche

Studie eines alten Meisters segelt mit vollem Recht
in der Kunstgeschichte als „Kunstwerk;" und zuletzt
sollte es das Publikum nur dankbarst begrüssen,
wenn ihm durch Schaustellung dieser Entwürfe und
Studien ein Einblick in die Werkstätte der Kunst
vergönnt wird.

Man muss das Wort auch nicht so auffassen,
als käme man in eine Ausstellung von Leinwand-
fetzen aus dem Malkasten. Gewiss sind gar viele
der Bilder vor der Natur entstanden, aber ihre ver-
vältnismäßige Größe deutet auf die Gründlichkeit des
Studiums. Da sind gar manche Perlen, die nur
durch etwas mehr Vertiefung, etwas mehr Zusammen-
fassen und Verzichtleistung auf überflüssige Details
zum vollwertigen Kunstwerk würden; aber wir sind
dankbar, die Arbeit in diesem Zustande zu sehen, um
sie vielleicht in der nächsten Ausstellung im abge-
klärten Zustande desto besser zu verstehen.

Von all dem Gebotenen fällt wieder der quanti-
tative und qualitative Hauptanteil auf die Landschaft,
was keinen wunder nehmen kann, der überhaupt die
Entwicklung der modernen Kunst versteht, die von
der Basis der Farbe ausgeht. Ich sagte vorhin schon,
dass die Ausstellung nicht in besonderer Weise ge-
eignet sei, eine Wandlung in der Kunst wahr-
zunehmen. Trotzdem kann sie das bestätigen, was
sich einem schon seit Jahren gebieterisch aufdrängte:
eine Rückkehr zu den Stoff kreisen, die auch in
früheren Zeiten als die Hauptträger der Poesie
galten. Um das neu zu erwerben, was verloren ge-
gangen schien: höchste künstlerische Ausdrucksmittel,
hatte man sich an den schwierigsten Problemen ver-
sucht; um seine künstlerische Kraft zu beweisen,
hatte man sich gerade der sterilsten und sprödesten
Vorwürfe bemächtigt und ihnen eine Sprache abge-
rungen. Nun hatte man gezeigt, dass es nicht das
was ist, sondern dass wie; es ist ein Zeichen für die
Sicherheit des Könnens, dass man heute wieder Ge-
biete betritt und sich ihrer bemächtigt, deren bloßes
Citiren früher allein für Kunst galt.

So ein Charakteristikum für die Kunst von heute
ist das intime Erfassen der Vedute. Poetzelsberger'x
großes Verdienst wird es bleiben, bei uns die Bresche
gelegt zu haben, in die ihm heute viele gefolgt sind.
Warum sollten sie auch nicht? Ein Blick ins
träumende Thal braucht zur Festnagehmg im Bild
nicht weniger Qualitäten, als das Weideland Hollands.
Im Gegenteil; lag dabei stets das grade übliche Re-
zept nahe, so verlangt jener Vorwurf viel mehr das
volle Einsetzen der Individualität, um nicht seichter
Sentimentalität zu verfallen.
 
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