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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Schultze, Paul: Die dritte internationale Kunstausstellung der Secession in München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0240

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nommen, nie aufgehört, sie treten hier nur nicht alle
persönlich an die Bildfläche. Aber auch ein mo-
mentanes Verschwinden derselbsn brauchte keine
Befürchtungen aufkommen zu lassen; ganz sicher,
wenn die heutigen Ziele erreicht sind, werden auch
die Wegweiser wieder ihre Schatten über die Lande
werfen; so geschulte Soldaten kann man eine Zeit-
lang allein marschiren lassen. Die heutige Kunst-
bewegung kennzeichnet vor allem eines: ein gänz-
liches Verlassen der Wege, die man mit Plein air
bezeichnet hat. Es kommt einem vor, als sei das
ein erledigtes Schulpensum, das man nun gelernt, das
man schätzt, auch anwendet, aber eben nur, wo's zu-
fällig notwendig; es ist an sich kein Kennzeichen
mehr für künstlerische Bestrebungen. Das Reich
des Lichts und der Helligkeit ist erobert und man
hat es als eine der besten Provinzen dem Ganzen ein-
gereiht; die Arbeit von heute aber ist, sich in den
Vollbesitz der Farbe und des Helldunkels zu setzen,
dessen Darstellung man auf die denkbar höchste
Spitze der Vollendung treibt. Das bewirkt zum Teil
ein gewisses neues Zusammengehen mit den alten
Meistern. Aber kein Nachahmen; das Zusammen-
gehen ist rein äußerlicher Natur. Natürlich, die
Pleinairisten konnten von den alten Venezianern
direkt nichts lernen, aber sinnlos wäre es, wollte ein
Dunkelmaler an dem vorübergehen, was jene ge-
leistet und es sich nichl zu Nutze machen. Und so
drängt sich eine scheinbare Annäherung an die alten
Meister auf, die jedoch eben nur eine scheinbare ist,
während sie im Grunde als durchaus moderne Malerei
ihrem Ziele zuschreitet.

Als eines der schönsten Beispiele dafür kann
Samberger gelten. Es ist, als ob er eine Metamor-
phose durchgemacht hätte. Keine Spur mehr von
der unsympathischen, gemalten Phrase, wie sie
noch auf der Frühjahrsausstellung zu sehen war, das
ist wieder Natur, ,.gesehen durch ein Temperament1'
— man verzeihe den Gemeinplatz, aber es giebt
keinen knapperen Ausdruck und auch keinen besseren.
Seine vier Porträts werden von wenig andern der
ganzen Ausstellung erreicht. Das eine, Stucks Bild-
nis, übertrifft an schneidender Charakteristik und
Einfachheit der Mache das Lenbach'sche, giebt über-
dies Stuck wie er ist und nicht wie er sein könnte. An
diesen Bildern sieht man erst wieder, was München
an Simberger hat und man glaubt wieder daran,
dass in ihm „ein neuer Lenbach mit weniger Pikan-
terie und herberer Größe entstehe", wie Muther
einmal sagte.

Das Porträt, die Kunstübung, die nur bei intimer

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Fühlung mit der Natur Wert behält, ist zu allen
Zeiten für die Kunst eine Art uneinnehmbare Feste
gewesen; zu Zeiten aufsteigender Kunstpflege ein
Hinweis auf strengeres Naturstudium und damit ein
Abgehen von archaistischen Formen, in den ab-
steigenden Epochen eine Art Bollwerk, hinter dem
sich der Schatz des erworbenen Könnens vergangener
Zeit am längsten hielt. Nichts ist den Launen der
Mode weniger ausgesetzt, als das Bildnis und wie-
viele einstige Größen stehen heute einzig noch durch
dieses groß da, während ihr anderes Schaffen längst
verweht ist. Mir fällt da Piglhein ein, obgleich das
Gesagte bei ihn durchaus keine Vollgiltigkeit haben
kann; aus einem andern Grunde erwähne ich ihn.
Er selbst äußerte so gegen die letzte Zeit seines
Lebens, als er Präsident der Secession war, oft, dass
min eigentlich erst seine Zeit kommen, dass er sich
jetzt erst ganz in den Besitz der Mittel der Modernen
setzen müsste. Und heute hängt von seiner Hand
das Porträt der Frau Prof. Piglhein in der Aus-
stellung. Wer denkt vor diesem Meisterwerke noch
an den Stand des Könnens zu der Zeit als es wohl
entstand? Das ist alles so abgeklärt, so ohne alles
Suchen, so einfach — es ist schlichte Kunst, ein
Bild für alle Zeiten und es mag wohl einmal als ein
Idealporträt für den Ausgang des 19. Jahrhunderts
bezeichnet werden, wie uns einzelne Van Dyck
die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts oder die Mona
Lisa das frühe Florenz plastisch vor Augen führen.

Als Porträt ganz hervorragend ist auch Nauens
Herrenbildnis. Meisterhaft in der knappen Charak-
teristik und ungemein vornehm in der Anwendung
der Mittel, ist es wohl das Schönste, was Nauen je
geschaffen. Etwas glatter zwar, als Velazquez es
gemalt haben würde, — aber dagegen lässt sich
schließlich nichts sagen, in erster Linie ist das Bild
doch eben Porträt und als solches bedeutend. Es
ist höchst Uberflüssig, stets das tadelnd zu vermissen,
was ein Bild nicht hat, stets das Negative heraus-
zukehren und das Positive zu ignoriren. Allerdings
fassen gar Viele — und besonders die Leser —
das Nörgeln als das Kriterium einer guten Be-
sprechung auf.

Sonst ist die Ausstellung im allgemeinen nicht
reich an Porträts. Hervorzuheben wäre noch ein
Damenporträt von Linda Kögel in ihrer delikaten
geistvollen Mache und einer Auffassung, die jeder
Konvention glücklichst aus dem Wege geht. Ihre
Bilder haben meist etwas von einem Spiel mit der
Farbe, was oft sehr bestechend wirkt, aber nicht
immer auf die Dauer Stand hält. Noch stärker

Die dritte internationale Kunstausstellung der Secession München. T.
 
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