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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Rosenberg, Adolf: Die grosse Berliner Kunstausstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0242

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Die Große Berliner Kunstausstellung. II.

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haben die Franzosen wohl nur wegen der Schwierigkeiten
dos Transports verzichtet. Von den großen Kunststücken
der monumentalen und dekorativen Plastik sehen wir
keines, dafür aber eine Fülle der kleinen Meisterwerke
der französischen Medailleure Chaplain, F. A. Heller,
Victor Peter und E. S. Vernicr (Roty ist leider nicht
vertreten), die sich längst nicht mehr auf Medaillen in
eigentlichem Sinne beschränken, sondern kleine Flach-
reliefs mit Brustbildern, Einzelfiguren und figurenreichen
Gruppen im Stile der Plaketten der italienischen Früh-
renaissance, nur noch viel feiner und mannigfaltiger
arbeiten, daneben auch Tischgeräte, Halter von Löffeln
und Gabeln im weitesten Sinne des Gebrauchs mit
figürlichen und ornamentalen Flachreliefs dekoriren,
die anscheinend in verlorener Form gegossen und dann
mit feinstem künstlerischen Gefühl zart nacheiselirt sind.
Die "Wiederbelebung und die Erweiterung dieser Art
alter Kunsttechnik ist wieder ein Zeugnis der unver-
sieglichen Lebenskraft französischer Kunst. Wenn man
immer noch zu unserer Entschuldigung sagt, dass diese
Lebenskraft sich aus dem Reichtum der Franzosen er-
klärt, und dass etwas ähnliches bei uns unmöglich ist,
so lehren die Einblicke in die neuesten Steuerergebnisse
in Deutschland, dass diese Entschuldigung hinfällig ist.
Wenn die strenge, hie und da wohl auch übertriebene
Finanzwirtschaft des Herrn Miquel in Preußen und
Deutschland etwas Gutes angestiftet hat, so ist es jeden-
falls die Feststellung der Thatsache, dass Deutschland
keineswegs ein armes Land ist, dass Deutschland viel-
mehr mindestens ebensoviel reiche Leute hat wie Frank-
reich, nur mit dem Unterschiede, dass die Reichen in
Deutschland für die Kunst unverhältnismäßig wenig und
die Reichen in Frankreich unverhältnismäßig viel dafür
thun.

Vielleicht tritt jetzt auch in Deutschland ein Um-
schwung ein, da noch in keinem Jahre so viele Kunst-
werke auf einer Berliner Ausstellung angekauft worden
sind, wie in diesem, und davon ist ein reichlicher Teil
auf die Franzosen gekommen, während die Engländer
und Schotten in der Gunst der Käufer merklich gesun-
ken sind. Es ist eine schwere Enttäuschung für jene
Fanfarenbläser, die vor fünf Jahren nach der ersten
Ankunft der schottischen Landschaftsmaler, der Boys of
Glasgow, im Münchener Glaspalast den ewigen Kunst-
irühling proklamirten. Wie schnell ist dieser Frühling
nach einem kurzen Sommer in einen verdrießlichen
Herbst und nun gar in einen Winter des Mißvergnü-
gens übergegangen! Wie schnell ist unser Publikum,
sind unsere Kunstliebhaber, die Bilder kaufen, aber
auch längere Zeit behalten wollen, nach den Schwarm-
flügen der schottischen Frühlingsschwalben von der
alten Wahrheit überzeugt worden, dass die Welt mit
wenig Witz regiert werden kann. In fünf Jahren hat
man eingesehen, dass die entzückende Naivetät der
Glasgower Boys in einer raffinirten Manierirtheit be-

steht, die immer dieselben Sonnenuntergänge und Mond-
aufgänge auf denselben „Landschaftsausschnitten" sich
abspielen läßt und dazu immer dasselbe koloristische
System der Mosaikpflasterung mit Farbenflecken benutzt,
die aus einiger Entfernung auf schwärmerisch gestimmte
Seelen und in Sturm und Drang gährende Gemüter
immer noch eine gewisse Wirkung ausüben, die sich
aber nur noch selten zum Kaufentsehluss steigert.
Einige Museen hinken auch noch nach, weil es zum
guten Ton gehört. Nach ein paar Jahren wird wieder
ein Geschichtsschreiber der modernen Malerei kommen,
der diese immergrünen Pflanzen für ein Herbarium reif
erklärt. Höher als die schottischen Landschaftsmaler
stehen immer noch die Porträtmaler. Aber wer Augen
hat zu sehen und wer sich über der maßlosen Auslands-
anbeterei noch einen klaren Blick für alle künst-
lerischen Erzeugnisse bewahrt hat, der wird bemerken,
dass selbst die hochgepriesenen Meister Guthrie und
Lavery in Frankreich und Deutschland Nachahmer ge-
funden haben, die ihnen die Leichtigkeit und Sicherheit
vollkommen abgelernt und dazu das Beste von ihrem
Eigenen hinzugethan haben. Nachdem nun die erste
Begeisterung abgekühlt worden ist, wird man wieder
gewahr, dass das eigentlich Nationale, das Eigenartige
und Unnachahmliche der britischen Malerei doch in den
Vertretern und Fortsetzern der alten Schule liegt. Die
Schotten sind dagegen international, und das läßt sich
nachahmen. Das Nationale ist dagegen ererbt und an-
gewachsen.

Leider haben die Vertreter der alten Schule sich
nur wenig um die Berliner Ausstellung bemüht. Sie
haben es offenbar nicht nötig, weil in England alles
Gute, ohne jeden Schulunterschied, schnell in feste Hände
übergeht. Die Porträtmalerei grossen und guten Stils,
der Stolz Altenglands, ist nur durch das in jedem Strich
von unverminderter Meisterschaft zeugende Bildnis des
Kardinals Newman von John Millais vertreten. Her-
komer, Shannon, Whistler fehlen. Einigen Ersatz bieten
die Landschafts-, Marine- und Genremaler, von den
ersteren besonders Robert Noble (ein Sommerabend, Mor-
gen am Flusse), Frank Walton, Henry Moore (Seestück
vor dem Sturm), John Buxlon Knight (eine Eichenallee:
die Kathedrale der Natur), Fred. G. Colman (ein Blick
auf Exeter vom Flusse aus), Alex. Br. Docharty, ein
Schotte zwar, aber ein echter Dichter, der in bezau-
bernden Lichtwirkungen schwelgt, und Walter Grane,
dessen frisch und klar gefärbte, vortrefflich gezeichnete
Aquarellen aus Brügge gesünder und anziehender wir-
ken als manche seiner gesucht naiven oder gesucht
mystischen Phantasiestücke und ornamentalen Erfind-
ungen, von den Genremalern James Sant, der etwa in der
Art von Bougthon malt, W. F. Yeames (von den Fran-
zosen gefangene, englische Seekadetten) und der berühmte
Radirer Ii. W. Macbeth, dessen in Öl gemalte Hirsch-
jagd im Nebel nicht nur ein Meisterwerk in der feinen
 
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