Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

DOI Artikel:
Wolf, August: Erste internationale Kunstausstellung in Venedig, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0251

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
489

Erste internationale Kunstausstellung in Venedig.

490

Geistesstörung belauschen können. Von rührender Schön-
heit ist die Gruppe eines Geistlichen und bitterlich Wei-
nenden, den er tröstet. Sie gehen eben an einem laut-
Predigenden vorüber. Es würde zu weit führen, dem
Einzelnen in dem Bilde weiter nachzugehen, welches von
feinster Beobachtung zeigt. Ergreifend ist auch ein
kleines Bild von Payetla. Eine Frau weint um den
Leichnam ihrer Kuh, die ihr alles war. In dumpfem
Schmerze steht der Bauer dabei. Die Stimmung des
dunklen Stalles ist vortrefflich. Im zweiten Saale
triumphirt unter den Landschaften besonders Ciardi
durch zwei prächtige Bilder. Das eine ist ein Herbst-
morgen. Große Flächen bebauter Wiesen und Felder.
Im Hintergrunde geht eben die Sonne zwischen ruhigen
Wölkchen auf und zittert das Licht über aller Natur.
Einzelne halbentlaubte Bäume, da und dort. Alles
wundervoll gegeben. Das zweite Bild in später Abend-
stimmung lässt uns in ein weites Hochgebirgsthal hinein-
schauen, in dessen Vordergrund ein Dorf mit seinen
Holzhäusern sich ausbreitet; sein schlanker Kirchturm
löst sich fein von dem in Abendschatten getauchten
Hintergrunde. In den Hütten wird zu Abend gekocht, ein
Licht ist in einer der ersten Hütten bereits angesteckt und
blitzt durchs Dunkel. — Ein hübsches Bild von Delleani
stellt Senner und Sennerinnen dar, welche von den
Matten hinabsteigen. — Ein zweites Bild, eine frische
Weinlese, erfreut durch seine ungemein klare Stimmung
und prächtigen Vortrag.

Von wahrhaft ergreifender Schönheit und Wahrheit
ist ..das Meer" von Belloni. Ohne jeden Vordergrund
festen Landes sehen wir die Majestät der ewigen
Wiederkehr der Wogen, verfolgen sie bis zum äußer-
sten Horizonte. Auch dieses schöne Bild sowie eines
der vorgenannten ist bereits angekauft. S. Maj. der König
von Italien, sowie mehrere mit Glücksgütern gesegneten
Private, haben bereits fleißige Auswahl getroffen. —

Es muss jedem Freunde Venezianischer Malerei auf-
fallen, dass er bis jetzt einige der hervorragendsten der
hiesigen Maler unter den im Katalog verzeichneten nicht
gefunden hat. Auch in den zwei folgenden Sälen der
Italiener wird er vergeblich nach ihnen, die vielleicht
seine Lieblinge sind, suchen. Lancerotto, ohne dessen
frische, oft etwas gar zu kecke Darstellung Venezianischen
Lebens Venedigs Malerei kaum zu denken ist, wurde mit
einem trefflichen Bilde zurückgewiesen, und Bordignon,
ein liebenswürdiger, tüchtiger und in Deutschland wohl-
bekannter Künstler, erfuhr dasselbe Schicksal mit dem
originellen Innern einer Küche, in welcher vene-
zianische Bauernkinder ihr ärmliches Mahl bereiten. Dem
kecken, rühmlich bekannten Aquarellisten Prosdocimi,
der die Lagune vortrefflich wiederzugeben weiß und
dessen stolze große Veduten rühmlich bekannt sind,
dessen Kunst aus Venedig nicht weg zu denken ist, wurde
ausgeschlossen. Mehr als alles andere aber befremdet
die Abwesenheit des edlen Luigi Nemo. Er wurde

während der Arbeit an einem großen Bilde krank und
wollte, da er dies Bild nicht beendigen konnte, ein vor
zwei Jahren an das Triestiner Museum verkauftes „Ave
Maria" ausstellen, nachdem er sicher geworden, dass
man dies gestatte, obgleich das Bild 24 Stunden damals
in Venedigs Permanenter Ausstellung (welche niemand
besucht) ausgestellt war. — Er ließ das Bild aus Triost
kommen, und — wurde ebenfalls abgewiesen! — Das
Bild wurde später in der Akademie ausgestellt, woselbst
der König und die Königin sich an dessen ergreifender
Schönheit erfreuten und den bescheidenen Künstler auf
alle Weise auszeichneten. Das Bild stellt eine junge
Mutter dar, welche, ihr kleines Kind im Arme, das Stein-
bild einer am Wege aufgestellten Madonna berührend,
tief ergriffen, stehend betet. Technik, Gefühlsinnigkeit
des Ausdrucks und Schönheit der Farbe machen das
Ganze zu einem wahren, echten Kunstwerke, wie denn
gewiss niemand dem Luigi Nono die erste Stelle unter
den italienischen Figurenmalern streitig machen wird. —
Welches auch die Gründe sein mochten, es war ein
großes Unrecht, die genannten Künstler, die unsere ersten
sind, durch allzustrenge Ablehnungen zu beleidigen.

Außer dem früher angeführten Bilde von Tito,
„Fortuna", ziehen folgende Bilder des dritten Saales
die Aufmerksamkeit auf sich: Bergamaskische Voralpen
von Carcano. Wir befinden uns auf hohem Bergesgipfel,
auf blühender Wiese, deren reiche Doldenblumen in un-
zähliger Fülle prächtig gemalt sind und blicken in eine
weite Ebene hinunter, einen wahren Garten Gottes.
Es ist über dieses Bild unendliche Freude und Glück aus-
gegossen. In einem zweiten größeren Bilde ist mehr die
rauhe Majestät des Hochgebirges gegeben. — Mario de
Maria hat zwei seiner stets originellen kleinen Bilder
ausgestellt. Das eine ein Venezianischer Palast bei
Mondschein, das zweite fast in der Weise A. Böcklins.
An einer langen Kirchhofmauer, die üppig überwuchert
und von überhängenden Bäumen beschattet ist, schwimmt
ein Kahn, welchem eine ganze Reihe Skelette nach-
schwimmen und ihn zu erreichen suchen. Ein Schalks-
narr, der sich über die Mauer beugt, schaut diesem
Getreibe zu. Das Gespenstige des Ganzen ist wundervoll
dargestellt. — Schöne Waldlichtung von Gignons. — Unter
den vom König angekauften Bildern ist zu nennen das
große Marinebild von Fragiacomo. Zwei große Fischer-
barken ans Chioggia begegnen sich am frühen Morgen
auf See und begrüßen sich. Das Zittern des Lichtes
über der unendlichen Wasserfläche ist wunderbar richtig
gegeben. Fragiacomo hat vielleicht in diesem Bilde
alle seine früheren Leistungen noch übertroffen. Er,
der uns früher gerne durch dämmerige Stimmungsbilder,
Mondaufgänge u. s. w. erfreute, geht nun mit unend-
lichem Ernste den volleren Lichteffekten nach. — A.
Vizzotto zeigt uns Venedig im Kegen. Uber eine Brücke
herab kommen allerlei Leute, vom Regen triefend. — Eine
ganze Wand dieses Saales nimmt ein großes Bild des
 
Annotationen