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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Wolf, August: Erste internationale Kunstausstellung in Venedig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0255

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Erste internationale Kunstausstellung in Venedig.

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dergrund eine Menge wundervoll großer Narzissen.
Sir John Millais hat sich mit seinem „Vogelkenner"
eingestellt (von 1885). Dies hier vielbewunderte Bild ist
allbekannt und kann der Beschreibung entraten. Von
dem vortrefflichen Whistler sehen wir ein junges, in Weiß
gekleidetes Mädchen, die sich an einen Kamin lehnt, über
welchem ein Spiegel ihren Kopf wiedergiebt (1864).
,/. Alexander erregt Aufsehen durch zwei lebensgroße,
sehr sonderbare Porträts in ganzer Figur, in der be-
kannten unendlich breiten Weise zusammengestrichen
und von absichtlich absonderlicher Anordnung im Eaume.
Das eine Mal eine Dame in Schwarz mit Hut vor einem
Spiegel; fast vom Eücken gesehen, auch die zweite, in
violettgrauem Kleide, den Kopf nach uns gewendet. —
Es folgen nun die räumlich größten Bilder der eng-
lischen Abteilung. Von W. Hunt: „Maimorgen auf der
Magdalenenkirche", von unendlich peinlichem Eindruck
alle diese zum Singen aufgesperrten Mäuler und die ver-
himmelt emporgerichteten Augen der auf gothischem
Domturme in die rosigen Wölkchen hinaussingenden
Kleriker. Diesem sog. Prae-Eafaeliten steht noch A.
Hughes dreiteiliges Gemälde nach: Viola d'amore. Sir
Fr. Leighton ist vertreten durch eine Andromeda, die aber
trotz fein gestimmter Farbe und des vielen Feuers, welches
der Drache ausspeit, nicht recht erwärmen kann.

Die Hauptwand der Ausstellung nimmt dann das
große Bild von Burne-Jones ein: „Die Braut vom
Libanon". Dieser hochinteressante, oft überaus liebens-
würdige Künstler spricht in diesem außerordentlich fein
behandelten Bilde so vollkommen die Sprache des Sandro
Botticelli, dass es fast unmöglich ist, ihn selbst zu finden.
Wie immer alles Einzelne wundervoll und jeder Strich
interessant (von 1891). Nebenan „Das Bad der Venus",
von W. Richmond. Trotz Schönheit der Zeichnung und
Empfindung abstoßend durch seinen verbleichten, ins
Eigelbe gehenden Ton und die völlige Wirkungslosigkeit der
Modellirung. Von E. Jl. Hughes muss noch eine unge-
mein anziehende Aquarelle genannt werden. Der Gegen-
stand, einer Fabel entnommen, zeigt ein junges nacktes
Mädchen, die sich von einer Schlange umwunden, in einer
Schale voll Milch gebadet hat. Der feine englische
Typus des anmutigen Köpfchens, das Märchenhafte des
schönen Gartenhintergrundes, all das wirkt bei der
zartesten Behandlung, dem Gegenstande entsprechend,
bezaubernd. Dagegen ist schrecklich abstoßend von dem-
selben Künstler eine zwischen Gestrüpp halb versteckte
Leiche mit gebrochenen oifenen Augen. Der ganze
englische Saal mit seinen Prae-Kafaeliten interessirt
das hiesige Publikum als etwas völlig fremdes Neues, wenn
auch ihm Unverständliches, in ganz besonderem Grade.

Betreten wir nun den letzten der Säle: Franzosen und
Spanier! Hier tummelt sich das venezianische Publikum
am liebsten; das ist Fleisch von seinem Fleisch und ihm
vollkommen verständlich und genießbar. Der Saal wird
beherrscht durch das große, allgemein bekannte Bild von

/. Villegas: „Krönung der Dogaressa Foscari". Das
historisch Klare wird durch das ungemein Festliche des
Ganzen ersetzt und erfreut die Besucher stets von Neuem.
Von desselben Künstlers Hand ist das große Porträt
eines Jagdliebhabers, seinen Hund zur Seite.

Von Jose Benlliure sehen wir: „Eine Klostersuppe"
und in einem zweiten Bilde einen alten betenden Bettler
dargestellt, von B. Tusquets den „Besuch der Braut-
leute", eines jener spanischen Bilder von feinster Durch-
führung des kleinsten peinlichen Details, aber dabei von
großer farbiger brillanter Wirkung, voller Kraft und
Lebhaftigkeit des Ausdrucks, bei Anwendung des schönen
Nationalkostüms. Von S. Barbudo eine Dame, während
der Genesung besucht. Alles von vornehmster Wirkung.
A. Jimenex, mit einem „Namenstage", so wie auch
andere Spanier, wären noch zu nennen. Doch wenden
wir uns zu den Franzosen, welche, wenn auch hier zu-
letzt besucht, gewiss nicht die letzten sind. Vor allem
fällt das prachtvolle Porträt eines jungen kleinen Men-
schen auf, in schwarzem, meisterlich behandeltem Sammet,
die Cigarette im Mund, die Mandoline spielend, von
Garolüs Dur an, so wie dessen weiblicher Akt, vom
Rücken gesehen, von brillanter saftigster Behandlung voll
Frische und Kraft der Farbe. Von erschreckender
Wirkung auf die an solche noch nicht Gewöhnten sind
zwei Farbexperimente von P. Besnard, „eine Vision"
d. h. eine Nackte, umgeben von Blumen, und ein Frauen-
porträt. Beide in der bekannten, für den, der das zum
erstenmale sieht, unbegreiflich schreienden Farben-
wirkung. Ferner das „Bildnis in Bot" von E. Duez,
ebenfalls ein Farbenproblem. Eine junge Dame, auf
das Sopha hingegossen, welches ebenso wie ihr Kleid
rot, von weiteren roten Gegenständen umgeben.

Bonnat ist durch das Porträt des A. Mezieres ver-
treten, dessen grotesker Ausdruck meisterhaft gegeben
ist. Großer Bewunderung erfreut sich die Madonna,
welche, weiß gekleidet, mit dem Kinde an der Brust
durch einen Laubgang schreitet, von Dagnan-Bouveret.
Große Ruhe und seliger Friede über die Gestalt aus-
gegossen. — Zwei Zeichnungen von Puvis de Ghavannes
wurden der Ausstellung anvertraut, von welchen die
eine: „Madonna tröstet die weinende Magdalena" großes
Interesse erregt. — Unter dem wenigen Landschaftlichen
ist hervorzuheben die Darstellung des Mondaufganges über
S. Moriz an der Loire. Der stürmische Fluss braust
durch das gewaltige Felsenthal uns entgegen. Ein Kahn
sucht um einen großen Felsblock herumzukommen, der
mitten in den Wogen den Weg versperrt; von E. Noirot.
Mit Nennung dieser großen Landschaft möchten die be-
deutendsten Gemälde der Ausstellung genannt sein. Noch
ist unter den Radirungen das Bedeutendste hervorzu-
heben, sowie einiges von den hervorragendsten Arbeiten
der spärlich vertretenen Plastik zu nennen.

(Fortsetzung folgt.)

A. WOLF.
 
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