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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Rosenberg, Adolf: Die grosse Berliner Kunstausstellung, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0264

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Die Große Berliner Kunstausstellung. III.

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liehen nationalen Zug. Es ist auch kaum zwanzig
Jahre her, dass sieh polnische Künstler in der Welt
bekannt gemacht haben, aber nur solche aus Russisch-
Polen und aus dem österreichischen Anteil. In neuester
Zeit haben diese Künstler wenigstens auf großen Kunst-
ausstellungen die räumliche Einheit gefunden, die ihnen
die konfuse Staatskunst ihrer Vorfahren im politischen
Leben der Völker für immer geraubt hat. Die Erzeug-
nisse ihrer Kunst sind dagegen verschiedenartigen Ein-
flüssen unterworfen. Früher als der jetzige Centralpunkt
polnischen Kunstunterrichts, die Akademie in Krakau,
sind München und Paris die Bildungsstätten polnischer
Künstler gewesen, und sie sind es auch heute noch für die
Zöglinge der Krakauer Akademie, die sich in der Welt
umsehen wollen. Verhältnismäßig nur wenige nehmen
in Wien ihren Wohnsitz. Unter diesen befindet sich
aber gerade der größte Porträtmaler polnischer Natio-
nalität, einer, der in der vordersten Reihe der modernen
Bildnismaler überhaupt steht, Casimir PochwalsJci, seit
dem vorigen Jahre Professor an der Wiener Akademie. Ich
sage nicht zu viel, wenn ich ihn als einen der wenigen
Künstler der Neuzeit nenne, die mit Velazquez nicht
bloß äußerlich kokettiren, sondern ihn wirklich ver-
standen haben. Sein Bildnis eines vornehmen Wieners
scheint dem modernen Leben bereits entrückt, zur Ob-
jektivität des geschichtlichen Besitzes erhoben zu sein.
Neben Pochwalski spielen Adam von Badowski in War-
schau und Myrton Michalski in Paris trotz großer
koloristischer Fertigkeiten nur eine untergeordnete
Rolle. Eine besondere Leidenschaft haben die polnischen
Maler — es liegt im Blut, in der Natur des Landes
und in der geschichtlichen Überlieferung — für Jagden
im Winter, für Bären- und Eberjagden in der Einsam-
keit wilder Forsten. Und sie finden dafür auch einen
entsprechenden, wild-naturalistischen Ausdruck, wie man
aus solchen Jagdscenen von Juljan Falat in Berlin,
Michael Wywiorslä in München und Jan. Perdxynslci in
Warschau sieht. Dass neben dem kräftigen Naturalis-
mus auch Spiritualismus, Mysticismus und Nebelmalerei
bei den Polen gläubige Anfänger finden, ist ein Beweis
dafür, dass sie vollkommen auf der Höhe der Situation
stehen. Sie wissen alles und können alles, wie die
neuesten Münchener und die neuesten Franzosen; aber
das polnische Element liegt nur in der Wahl ihrer Stoffe,
nicht in ihrer Ausdrucksweise. Dasselbe gilt auch von
dem Bildhauer Wladislaus Marcinlwwslri in Berlin, dessen
in scharfem Profil gehaltene Reliefporträts in Marmor
von einer ungemein geistreichen Charakteristik und einer
meisterhaften Technik zeugen, die aber ihren französi-
schen oder florentinischen Ursprung nicht verleugnen
können.

Das Bild einer wirklich künstlerischen Einheit
würden dagegen die Bilder und Bildwerke der Italiener
und der mit ihnen in enger künstlerischer Gemeinschaft
lebenden Spanier, in einem Saale vereinigt, geboten haben.

Die kleinen Kabinettsstücke von Villegas, Gallegos, Vinie-
gra y Lasso, BenUiure y QU, G. A. Sartorio, Serra,
Michetti, Sindici, Simoni, Luigi Nono, Hermenegildo
Estevan u. a. — Landschaften, Kircheninterieurs mit Fi-
guren, humoristische Genrebilder, — die großen und
kleinen Landschaften von Petiti, die vom edelsten Geist
der Spätzeit der Antike durchdrungenen plastischen
Arbeiten von Mariano BenUiure, die von köstlichem
Humor erfüllte Bronzefigur des römischen Bürgers, der
unter seiner stolzen Toga eine gestohlene Ente zu ver-
bergen sucht, von Emilio Bisi und vor allen anderen
das unvergleichliche Meisterwerk Francisco de Pradilla's,
die Wallfahrt zum Heiligtum der Madonna zum guten
Rat in Genazzano, worin sich die höchste Kraft des
Genremalers mit der des Landschaftsmalers vereinigt
hat — wenn alle diese und andere Bilder der Italiener
und Spanier von feinsinniger. Hand zu einem Ganzen
zusammengefügt worden wären, würde eine sehr heilame
Reaktion gegen die großen Paradestücke der Franzosen
eingetreten sein.

Wie immer bei einem internationalen Wettstreit,
haben die braven Deutschen, die Gastgeber, das kürzeste
Los gezogen. Die Großen und Kleinen sind alle ver-
treten, einige sogar sehr gut. Aber es fehlt an dem
Feldherrn, der es verstanden hätte, diese Kräfte zu
konzentriren. Das Beispiel, das Moltke vor 25 Jahren
im Felde gegeben, wird bei dem friedlichen Wettstreit
der Kunst nicht nachgeahmt. Die Franzosen schlagen
vereint, die Deutschen marschiren zwar getrennt, kommen
aber nirgends zu einer gemeinsamen Kraftentfaltung. Nur
in dem zweiten der Mittelsäle ist ein Ansatz dazu ge-
macht worden, indem man dort mit zwei männlichen
Bildnissen (das eine ist Ernst Curtius) von Max Koner
und zwei männlichen Bildnissen und der sehr farbigen,
reich mit Figuren belebten Messe im Marienmonat in
Ste. Gudule in Brüssel von Hugo Vogel gewissermaßen
eine Dominante des Raumes geschaffen hat. Es liegt
vielleicht ein gutes Vorzeichen darin, da Vogel und
Koner, trotzdem dass sie in ihrer Kunst viel Gegen-
sätzliches haben, durch die Kraft ihrer Persönlichkeit
dazu berufen sind, im Berliner Kunstleben einmal eine
führende Rolle zu spielen. Dass dieses Kunstleben
keineswegs so unproduktiv ist, wie eine parteiische, für
gewisse Richtungen arbeitende Presse den Fernstehenden
glauben machen will, und dass sich gerade unter den
neu auftauchenden Talenten auch der Idealismus, freilich
ein durch und durch gesunder, von keiner krankhaften
Neigung angefressener, kräftig geltend macht, beweisen
zwei von wahrhaft klassischem Geist erfüllte und doch
in der malerischen Erscheinung durchaus moderne Bilder
voll zartester, poetischer Empfindung von Wilhelm
Müller-Schönefeld, einem Zögling der Berliner Akademie:
die Ankunft von Schatten in der Unterwelt auf der
Asphodeloswiese und eine Frühlingsidylle, ein auf einer
blumigen Wiese ruhendes nacktes Mädchen, eine blühende
 
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