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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Die Pariser Salons von 1895
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Die Pariser Salons von 1895.

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wordenen Kunst, als jene kühnen, wenn auch oft tollen
und wahnwitzigen Farbenvirtuosen vom Marsfeld, deren
Ausstellung wenigstens dem malerisch empfindenden
Auge vieles Überraschende bietet.

Im Publikum freilich ist das Bewusstsein noch sehr
gering, dass gerade hier unter den ganz Modernen in-
mitten aller Verirrungen und Übertreibungen so manches
echte Kunstwerk der letzten Jahre geboren wurde. Wie
wenige empfinden es, dass viele jener sauberen, öl-
glänzenden, wohl gezeichneten Bilder der Bouguereau,
Henner, Bonnat an dem Grundfehler leiden, dass sie
nicht Gestalten von Licht und Luft umflossen darstellen,
sondern gemalte Wachsfiguren in geschlossenem, lieht -
losem Baume!

Wer die Errungenschaft der neueren Malerei leb-
haft empfinden will, der vergleiche in den Pracht-
räumen des neuerbauten Hotel de ville oder im Pantheon
die Wand- und Deckenbilder der Puvis de Chavannes
oder Henry Martin mit den Nachbarbildern der Bonnat u. a.
Nur die Modernen fügen sich in ihrer klaren, lichten
Tönung dem Steintone der Architektur belebend ein, nur
sie gehen mit ihren aufgelösten und belichteten Schatten-
partien, harmonisch zusammen mit den Mitteltönen und
Lichtern des Bildes. Bonnat's brutale Asphaltschatten
verwachsen niemals zu einer Einheit mit den blühenden
Farbenflächen seiner Gewänder, seines Fleisches, und in
sich unharmonisch, vermögen sie nur durch mächtige, die
Architektureinheit störende Umrahmungen zusammen-
gehalten zu werden. So können sie niemals sich dekorativ
einem Bauwerk unterordnen.

Das Hauptbild des Marsfeldes, Puvis de Chavannes'
„Musen, den Lichtgenius begrüßend", wird in seiner
strengen Stilisirung nach Form und Farbe nur unter
obigem Gesichtspunkte zu begreifen sein. Diese neun
Musen sind schmächtige, weißgekleidete Gestalten, die
in eigentümlich steifem Schwünge sich zu dem Licht-
genius emporheben. Silberhell ist über ihnen der Himmel,
silberbelichtet unter ihnen die Erde und nur die tief-
blaue See, die als ein ununterbrochenes großes, ruhiges
Band dazwischen ausgespannt ist, giebt mit ihrem
nervös fein gestimmten Blau der großen Fläche Leben
und Farbe.

Henry Martin's so viel verspottete Pointillebilder,
die mit ihren zerpflückten, in Flecken ungemischt neben
einander getüpfelten Farben demjenigen lächerlich er-
scheinen mögen, der sie in der Ausstellung unmittelbar
vor Augen hat, können ebenso nur gewürdigt werden,
wenn man ihnen in den Deckenzwickeln des Hotel de
ville z. B. wieder begegnet, wo sie nun so zart und
luftig, und wiederum so körperlich die Gestalten er-
scheinen lassen. Man findet übrigens seine neuesten Ar-
beiten nicht auf dem Marsfeld, sondern im Industrie-
palast. Der dritte der großen Dekorateure, vielleicht
der meistverspottete von ihnen, ist Besnard. Sein Ziel
ist, gegenüber den kühlen, ruhigen Tönen der Puvis und

H. Martin, brillante, blumenfarbige Effekte auch im vollen
Pleinair festzuhalten. Betrachten wir seine Studien aus
Algier im Marsfeldsalon, z. B. den Pferdemarkt. Da ist
ein Schimmel von ausgesprochen grasgrüner Farbe mit
wasserblauen Mitteltönen und gelbem Licht, ein Fuchs
mit mattrosa Schatten und gelbbraunem Lichte, und alles
das noch übertönt von der Flut violetter und orange-
farbener Wolken des Himmels und dem zinnoberroten
Fez eines Eingeborenen. Aber wie abgetönt erscheint
diese Farbenmasse auf größere Entfernung, wie ver-
schwinden die scheinbaren Unwahrheiten und lassen die
Glut der Farben zur Wirksamkeit kommen auch ohne
die früher für unvermeidlich gehaltene Asphaltfolie der
alten Meister und der Koloristen aus der Mitte unseres
Jahrhunderts.

So mancher moderne Kritiker, der mit billigen
Scherzen über Martin's Punktirmanier und Besnard's
grüne Pferde sein Publikum regalirt, würde vielleicht
anderer Meinung werden, wenn er diese Arbeiten nicht
nur in Ausstellungen aus einer Nähe, für die sie nicht
berechnet sind, betrachtete, und wenn er sich bei den,
auf solche Tonwirkung hin studirten Arbeiten gegen-
wärtig hielte, welche Zwecke der Maler gerade ,mit dieser
Lösung seines Problems verfolgt.

Die große, pastose Technik der genannten Maler
wird aber unanwendbar da werden, wo dekorative
Wirkung auf große Entfernung nicht vorauszusetzen
ist, insbesondere beim Porträt. So sehen wir auch bei
den Meistern dieses Genre's eine veränderte Technik
auftreten. Carriere z. B. sucht in seinem riesigen Bilde,
das uns die oberen Bänge eines großen Theaters vor-
führt, durch weiche, höchst vertriebene Töne, in denen
jede feste Kontur, jedes begrenzte Auftragen von Details,
wie etwa der Lippen, Augen etc., vermieden ist, die
letzte Konsequenz aus dem zu ziehen, was Lionardo
und Correggio theoretisch schon erkannt haben. Er
leugnet die Existenz von Konturen und geht in dieser
Leugnung soweit, dass alles bei ihm verschwommen, wie
von Schleiern überwoben, sich giebt. Und doch sehen
wir durch diesen Schleier hindurch deutlich jeden Zug,
beobachten die Spannung und Aufregung, in der sich die
Zuschauer befinden. Dabei kommt in seinem Theater-
bilde mittelst jener Technik die dunstige Luft, das
matte Licht des verdunkelten Zuschauerraums, dieses
Hineintauchen ganzer Menschenmassen in die Nacht der
hinteren Sitzreihen vortrefflich zum Ausdruck.

In unmittelbarer Nähe davon finden wir eine pracht-
volle Arbeit des genialen Zorn, der ein Meister ist in
wuchtiger, schwungvoller Handhabung des Pinsels. Sein
„Effet de nuit" stellt eine Halbweltsdame dar, die um
ein Uhr des Nachts, da die Boulevardkaffees zuschließen
und ihren lebenden Inhalt der Straße zu überliefern
pflegen, in den Schatten eines der Bäume heraustritt.
Noch glänzen hinter ihr die Scheiben des Bestaurants
in warmgelbem Lichte, so dass ihr roter Mantel und
 
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