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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Die Pariser Salons von 1895
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535

Die Pariser Salons von 1895.

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Kavallerie zum Angriff zu führen pflegte, um durch den
Anblick seines mit langen Haaren dicht bewachsenen
Körpers den Feind zu erschrecken. Leider macht auf
dem Bilde der seltsame Stratege einen mehr lächerlichen
als schrecklichen Eindruck, während die technische Aus-
führung beide Eigenschaften vereint aufweist.

Erfahrene Tamtamschläger wissen aber, dass nichts
so effektvoll ist wie rieselndes Blut. Daher malt Simons
einen frisch ausgeweideten Ochsen im Schlachthause in
Lebensgröße. Wie lassen sich da ganze Ladungen von
Karmin, Krapplack und Zinnoberrot auf die Leinwand
pressen, und mit Kadmium und Neapelgelb für die Fett-
partien mit grellen TJltramarintönen für die Sehnen und
Hautpartien kontrastiren. Wenn dann noch im Vorder-
grund ein riesiger Metzgerhund auf den blutüberströmten
Fliesen steht und mit blutiger Schnauze den abgehäuteten
Ochsenkopf beleckt, dessen tiefrote leere Augenhöhlen so
gräulich uns anstarren, dann ist gewiss der Zweck erreicht.

Und doch scheint Veber ihn noch zu übertrumpfen.
Denn er malt eine Schar jener unglücklichen Krüppel,
die in orientalischen Städten das Mitleid des Passanten
ansprechen, indem sie ihren halbnackten gelähmten Körper
auf einem kleinen Karren binden und mit den Händen
sich auf dem Pflaster vorwärts schieben. Man denke,
dass ein halbes Dutzend dieser Elenden auf einem Platze
sich zusammenfindet, dass sie eines Geldbeutels ansichtig
werden, den ein Passant verlor und dem einige Gold-
stücke entrollen, und dass um diese sich ein wüster,
blutiger Kampf entspinnt, mit Fäusten, Nägeln und
Zähnen ausgefochten, so wütend, dass das Blut der
Kämpfer als ein kleiner Bach im Kinnstein fließt und
die Krüppel besudelt. Das ist Veber's Meisterwerk.

Aber die Krone dieser blutrünstigen Werke bleibt
doch die „Elisabeth Bathory" von E. Csok obgleich
auf dem Bilde kein Blut fließt, sondern nur erstarrt.
Um 1600 muss, nach den Kostümen zu urteilen, diese
Perle zarter Weiblichkeit in Ungarn gelebt haben. Ihr
Lieblingsspiel war es, im strengen Winter gefangene
junge Ehebrecherinnen zunächst tagelang hungern zu
lassen , dann die entkräfteten durch alte WTeiber nackt
auf den Schlosshof führen und dort so lange mit eis-
kaltem Wasser begießen zu lassen, bis sie zu Eisklumpen
gefroren. Vielleicht entschuldigt sich Csok damit, dass
die Darstellung dieser nackten Körper, von denen einzelne,
gefrorene völlig blauweiß und blaugrün, andere in den
Übergangsstadien zu dieser Färbung gegeben sind, ihn
malerisch interessirt hätten. Mir scheint, es war einfach
die Spekulation auf jene blasirte grausame Wollust, die
dem durch Auskosten aller Genüsse erschlafften Kokotten-
geschmack gewisser Pariser Kreise entspricht. In gleichem
Geiste ist Brito's gemarterte Hexe, in ähnlichem Sinne
verschiedene Hospitalscenen, Schlachtenbilder u. dergl.
mehr geschaffen, die dem lieben Publikum im Verein mit
einer imposanten Keilie lüstern gemalter halbnackter
Weiber und Knaben dargeboten werden.

Da die ältere Generation und ihr Gefolge malerisch
nichts neues zu sagen hat, so gerät sie eben unter dem
Zwange des Sensationsbedürfnisses auf diese Abwege,
oder sie spekulirt auf den Chauvinismus, indem sie die
Jeanne dArc in allen Lebenslagen oder russische Bojaren
und Kosaken malt, wohl auch durch die vielvertretenen
Walkürenbilder der Wagner-Schwärmerei huldigt.

Unter den alten, wohlbekannten Meistern verdient
nur Detaille einen Applaus, denn er hat in seinem Keiter-
bildnis des Prinzen von Wales bewiesen, dass man auch
ohne Impressionismus heute noch neue Bahnen einschlagen
kann. Das riesige, derb gemalte Bild zeigt den zur
Parade reitenden Fürsten in so ungezwungener Haltung,
lässt die in der Ferne anrückenden schottischen Garden
von der Sonne so interessant gestreift werden, dass
unsere Berliner Schablonenparademaler daran sich wohl
ein Beispiel nehmen könnten. Roybet — der große
Roybet — malt eine Familie in holländischem Kostüm,
2/5 Velasquez, Franz Hals, das übrige diverse Alt-
meister. Bouguercau's Öldruckbilder sinken allmählich
noch unter das Niveau von Paul Thumann. Munkaosy's
Kreuzigung ist erbarmungswürdig schlecht. Blau-
schwarzer Tintenhintergrund, fest wie eine Blechwand,
davor in grellem Grün, Kot, Blau die Gewänder, welche
er an einigen Gliederpuppen schlecht drapirt hat. —
Sic transit gloria. —

Erfreulich und ansehnlich ist immer noch die Aus-
stellung der Bildhauer im alten Salon. Gewiss, ihnen
wird es in dieser Zeit, da die Maler täglich neue tech-
nische Ideen produziren, unendlich schwer, Schritt zu
halten. Es fehlt nicht an Versuchen, die ihrerseits zur Auf-
frischung und natürlichen Gestaltung der Monumental-
kunst beitragen. Aber die größten Erfolge erzielen in
der Plastik immer noch diejenigen, welche eine edlere
Stilisirung festhalten. Meunier ist meines Erinnerns
bis jetzt der einzige, der mit vollem Erfolge darüber
hinausging und etwa den Standpunkt von PHermitte
(zu dessen guter Zeit) in der Malerei erreichte.

Den Haupterfolg hat offenbar P. Dubois mit seiner
„Jungfrau von Orleans" und einen wohlverdienten Erfolg.
Es war nicht leicht, in diesem Keiterbildnis über Fremiet's
famose Bronze auf dem Pyramidenplatz hinauszugehen.
Die gläubige Begeisterung der gewappnetenBauerntochter,
die auf derbem Klepper daherreitet, hatte Fremiet bereits
angedeutet. Er hatte statt eines antikisirenden Ideal-
bildes eine historisch getreue Darstellung angestrebt,
und diese in knapper, geschlossener Form gegeben. Aber
freilich, an Stelle monumentaler Größe war bei Fremiet
eine etwas kleinliche, genrehafte Darstellung getreten.
Er war mehr dem Mädchen vom Lande und der Helden-
jungfrau, als der gottbegeisterten Seherin heiliger Visionen
gerecht geworden. Dubois vollendet erst, was Fremiet
begonnen. Seine Jeanne dArc ist ein hoch aufgeschossenes,
äußerst zart gebautes Wesen, der Typus jener nervösen,
hysterischen Visionärin, den Zola in Bernadette, der
 
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