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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Vierter Tag für die Denkmalpflege in Erfurt: Fortsetzung
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Vierter Tag für Denkmalpflege in Erfurt

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die stets geschlossenen, stets abwechselnden, intimen
und eingerahmten Bilder der Stolz und die Schönheit
unserer alten Orte. Diese dem neuzeitlichen Verkehr
zu ^schließen, ohne die alte Eigenart zu zerstören,
»st eine schwierige Aufgabe, deren völlige Lösung
überhaupt nicht möglich ist, da es sich eben um grund-
sätzlich entgegenstehende Ziele handelt. Die Lösung
besteht in Kompromissen und zwar oft in Kom-
promissen von besonderem Reiz, wenn die künst-
lerische Gestaltungskraft die Herrschaft über die prak-
tische Aufgabe gewinnt.

Geh. Baurat Stübben kennzeichnet dies durch
folgende treffende Beispiele:

Von einer gekrümmten Straße ist eine neue Seiten-
straße abzuzweigen. Legt man die Abzweigung an
eine konkave Stelle der Straßenwandung, so entsteht
ei" Loch; legt man sie an eine konvexe Stelle, so
ist die Lücke nicht allein weniger bemerkbar, sondern
kann bei guter Gestaltung der Linien das Straßenbild
wirksam bereichern.

Ein alter Straßenzug zeigt, weil zu verschiedenen
Zeiten entstanden, oft stark gegeneinander versetzte
Richtungen an den Kreuzungsstellen. Das Straßen-
bild ist dadurch in schöner Weise geschlossen. Für
den durchgehenden Verkehr ist die Versetzung lästig,
unter Umständen, z. B. bei Durchführung von Straßen-
bahnen, unhaltbar. Dem Verkehrsbedürfnis kann man
abhelfen durch vollständige, schräge Abschneidung
der vortretenden Blockecken; diese vielverbreitete Art
der Richtungsverbesserung zerstört aber das Schluß-
bild der Straßenstrecke. Erweitert man statt dessen
die Fläche der von der einen in die andere Richtung
überleitenden Kreuzungsstelle unter Erhaltung recht-
winkliger oder annähernd rechtwinkliger Blockecken,
so hilft man dem Verkehr, ohne die Geschlossenheit
des Straßenbildes zu zerstören.

Ein altes Stadttor im Mauerring bildet einen
malerischen Straßenschluß, sperrt aber die Verkehrs-
linie. Dem Verkehr kann geholfen werden, indem
man das Tor niederlegt; das ist in der Regel eine
Barbarei. Auch dadurch, daß man das Tor mittels
beiderseitigen Abbruches der anschließenden Stadt-
mauer freilegt, um nicht bloß durch das Tor, sondern
auch neben demselben verkehren zu können, kann
man die Verkehrsaufgabe lösen. Aber das Tor ver-
liert durch die Ablösung von der Stadtmauer einen
Teil seines Wesens und die durch den Mauerabbruch
entstandenen Lücken beeinträchtigen die Geschlossen-
heit des Straßenbildes. — Noch empfindlicher wird
die Beeinträchtigung, wenn etwa das Tor in Gebäude-
gruppen eingebaut ist und beiderseits freigestellt
werden soll, wie es beispielsweise für den Weißen
Turm und den Lauferschlagturm in Nürnberg in Frage
kam. Dort ist schließlich die vorzügliche, allerdings
viel Kunstübung und Geldaufwand bedingende Lösung
gefunden worden, daß die genannten Tortürme nicht
abzubrechen und nicht freizustellen, sondern inner-
halb der Gebäudewand zu erhalten sind, während

die
und

an die Türme anstoßenden Baulichkeiten erneuert
'm Erdgeschoß mit Durchgängen und Durch-

fahrten in dem für den Verkehr erforderlichen Maße
versehen werden.

In Köln haben wir das Severinstor nicht bloß
erhalten und wiederhergestellt, sondern auch ein an-
stoßendes Stück Stadtmauer nebst einem kleinen Teil
des mit Bäumen bestandenen Walles stehen lassen
und so wenigstens an einer Seite des Torturmes das
geschlossene Bild geschont.

Aus München ist Ihnen der Abschluß des Marien-
platzes durch das alte Rathaus, trotz seiner zahlreichen
Verkehrsdurchbrechungen, bekannt. Und so könnte
man noch viele, viele Beispiele anführen. —

Am meisten leidet durch die Anbringung von
Straßenöffnungen die Geschlossenheit alter Plätze.
In Brüssel hatte man neben dem Rathause ein Haus,
das Haus l'Etoile, abgebrochen, um die dort auf den
Marktplatz mündende, sehr enge Straße zu verbreitern.
Die Lücke war für die sonst so herrliche Umrahmung
des bekannten Platzes unerträglich. Der Bürger-
meister Buls ließ deshalb das Haus wieder aufbauen,
wandelte aber dessen Erdgeschoß in eine Durchgangs-
halle um. In Rom war eine breite Verkehrsstraße
vom neuen Justizgebäude zur Piazza Navona geplant;
die Ausführung würde in den geschlossenen Rahmen
dieses aus einem antiken Zirkus entstandenen Platzes
eine unheilbare Bresche gelegt haben. Buls war es,
dem es durch einen Vortrag vor der römischen Stadt-
verwaltung gelang, das Unheil abzuwenden: die ge-
dachte neue Verkehrsstraße wird sich vor Erreichung
der Piazza Navona in das Straßennetz verteilen.

Diese Beispiele zeigen, daß auch ohne Verletzung
offenkundiger Verkehrsinteressen im Sinne der Denk-
malpflege, dies Wort im weiteren Sinne genommen,
verfahren werden kann, wenn nur mit Aufmerksam-
keit und Empfindung eine künstlerische Lösung der
gestellten praktischen Aufgabe gesucht wird. Wir
dürfen deshalb ohne Zagen die Forderung aussprechen,
daß die Geschlossenheit alter Straßen- und Platz-
wandungen auch bei Festlegung der für den Verkehr
erforderlichen Erbreiterungen, Richtungsverbesserungen
und Durchbrechungen nach Möglichkeit zu schonen ist.

6. Die sogenannte Freilegung eines Bauwerks, be-
ziehungsweise die Vorbereitung der Freilegung durch
Fluchtlinienfestsetzung kann hervorgehen aus dem
Verkehrsbedürfnis und aus ästhetischer Absicht. In
beiden Fällen ist vor der Festsetzung sorgfältig zu
prüfen, ob das Gesamtbild des Bauwerks und seiner
Umgebung durch die beabsichtigte Freilegung ge-
hoben oder beeinträchtigt werden wird. Muß die
Beeinträchtigung befürchtet werden, so ist, wenn
Verkehrsinteressen maßgebend sind, nach Möglich-
keit dem Verkehr eine andere Richtung anzuweisen.
Handelt es sich dagegen vorwiegend um ästhetische
Absichten, um sogenannte Verschönerungen, so ist
eine schädigende Freilegung erst recht zu unterlassen
und, soweit nötig, die Verbesserung der Umgebung
des Bauwerks in anderer Weise anzustreben (Bei-
spiele: Löwen, Köln, Darmstadt, Stralsund).

Verkehrsfreilegungen lassen sich nicht so leicht
von der Hand weisen. Zu fordern aber ist, daß die
Fernwirkung des Bauwerkes nicht durch eine allzu-
lange offene Sehlinie benachteiligt wird, daß die Punkte
 
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