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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Vierter Tag für die Denkmalpflege in Erfurt: Fortsetzung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0036

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Vierter Tag für Denkmalpfege in Erfurt

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für die Beobachtung aus der Nähe nicht verloren
gehen, daß endlich die Abmessungen der freien und
bebauten Umgebung nicht über den Maßstab des
Bauwerks hinausgehen. Wird einer dieser drei Punkte
offenkundig verletzt, so muß verlangt werden, daß
dem Verkehr, soweit es möglich ist, eine Richtung
angewiesen werde, die zu dem Bauwerk nicht in
Konflikt tritt. Das zierliche Rathaus zu Löwen z. B.
ist durch die in gerader Linie auf den Bau zielende
Bahnhofstraße arg bloßgestellt worden, was leicht zu
vermeiden war.

Bei einer Freilegung zur Verschönerung sollten
die drei genannten Gesichtspunkte erst recht beachtet
werden. Die Freilegung an sich ist nichts Schönes.
Sie kann geboten oder erwünscht sein, wenn ein wert-
volles Bauwerk eingekapselt oder verhüllt ist von wert-
losen oder nichtssagenden Baulichkeiten. Es kann
aber auch sein, daß gerade die innige Verbindung
und enge Umrahmung des Bauwerks mit den Häusern
und Häuschen einer alten Stadt teils künstlerisch oder
geschichtlich von großer Bedeutung ist. Die Frei-
legung im letzteren Falle ist ein großer Fehler, der
nicht immer vermieden wurde.

In Köln steht neben dem Chor und dem mächtigen
Vierungsturm von Groß-St. Martin eine Gruppe ziem-
lich verwahrloster Giebelhäuschen, die trotz ihres Zu-
standes in ihrer Eigenart und in der Unterordnung
ihres Maßstabes unter die Bauformen der Kirche als
unentbehrliche Teile des malerischen Gesamtbildes
erscheinen. Da der Verkehr hier stark beengt ist,
hat Stübben vorgeschlagen, sie in ähnlicher Form in
etwas zurückliegender Linie wieder aufzubauen.

In Darmstadt war die Stadtkirche in sehr einge-
engter Weise unschön umbaut; man hat deshalb zwar
die Freilegung geplant, aber zugleich durch Wieder-
aufbau neuer, der Örtlichkeit angepaßter Baulichkeiten
die Nachteile der zuweit gehenden Bloßstellung der
Kirche umgangen und ein schönes Gesamtbild erzeugt.
Die Freilcgung der Nikolaikirche in Stralsund erscheint
als eine schwer zu rechtfertigende Änderung im Straßen-
bild, die man vielleicht einmal bereuen wird.

Im allgemeinen darf man wohl von Freilegungen
zur angeblichen Verschönerung wenn nicht warnen,
so doch zu großer Vorsicht raten. Wird die Ver-
besserung der Umgebung eines Bauwerkes als not-
wendig oder dringend erwünscht erkannt, so genügt
in der Regel die bloße Freilegung, d. h. die Schaffung
erweiterter Platzflächen um das Bauwerk nicht; sondern
außer der Niederlegung störender Gebäude wird zu-
gleich die Aufführung geeigneter Neubauten und die
Umgebung baulich so auszugestalten sein, daß sie dem
Hauptwerk sich unterordnet, mit ihm gute Gesamt-
bilder erzeugt, und die erwünschten Betrachtungs-
abstände freiläßt, ohne durch übertriebene leere Räume
das Bauwerk zu isolieren und das Stadtbild zu beein-
trächtigen. (Anhaltender allgemeiner Beifall.)

An zweiter Stelle sprach, ebenfalls von leb-
haftem Beifalle gelohnt, zu dem Gegenstande Geh.
Oberbaurat Professor Karl Hofmann - Darmstadt.
Wir haben in Deutschland das Glück, im ländlichen
Haus Vorbilder des häuslichen Schaffens unserer

Väter zu haben, nach denen man in England und
Amerika ganz vergeblich sucht. In alten Städtchen
und kleineren Ortschaften findet man die prächtigsten
alten Stadtbilder. In unserer Zeit aber werden sie
erbarmungslos hingeopfert, und deutlich kann man
oft sehen, wo am gleichen Orte der Charakter auf-
hört und die Charakterlosigkeit beginnt.

Woran liegt die Verballhornung unserer alten
schönen Stadt- und Dorfbilder? Sie liegt nicht allein
am Bau häßlicher Einzelhäuser, sondern auch an der
Festlegung neuer Baufluchtlinien. Wir wissen, daß
es auf die Gesamtgruppierung ankommt, in welche
die verschiedenen Baukörper gebracht werden. Wie
kommt es, daß wir mit den Baufluchtlinien auf solche
Abwege gekommen sind? Es rührt von mißverständ-
licher Auffassung moderner Begriffe wie Durchbruch,
Geradlegung, Verbreiterung durch künstlerisch unge-
bildete Beamte, Handwerker u. s. w. her. In einem
Städtchen Hessens war vor einiger Zeit ein neuer
Bebauungsplan aufgestellt worden, durch den nicht
weniger als 78 alte Häuser angeschnitten wurden;
die Straßen sollten darnach um J/2—m verbreitert
werden; eine Brauerei wurde um 2 m beschnitten.
Es stellte sich heraus, daß die Gemeinde das gar
nicht gewollt hatte, daß aber das Kreisamt verordnet
hatte, die Gemeinde solle endlich der Bauordnung
gemäß Ordnung schaffen, Fluchtlinien aufstellen u. s. w.
Natürlich wurde der Unsinn verhindert. Als die
Hauptsünder stellte Geh. Oberbaurat Hofmann die
Oeometer hin, Leute, mit denen inbezug auf künst-
lerische Forderungen gar nichts anzufangen sei. Gegen
ihr Geschäftsgebaren müsse mit allen Mitteln ange-
kämpft werden. In allen Bundesstaaten sei es leider
so, daß bei einem neuen Bebauungsplane die Kataster-
nummern die erste Rolle spielten, erst zu allerletzt
würden die Architekten gefragt. Dabei sei es aber
doch das allerwichtigste, sich erst ein Bild vom Auf-
bau zu machen, ehe man an Festlegung von Bau-
linien gehe; denn jede Stadt ist ein Kunstgebilde,
1 dessen Wirkung wesentlich vom Aufbau abhängt,
nicht bloß vom Lageplan. In Hessen müssen des-
halb alle gewünschten Straßenkorrekturen sofort durch
perspektivische Straßenbilder belegt werden. Ferner
werden in Hessen sämtliche Verwaltungs- und Bau-
beamte nach Darmstadt befohlen, um dort Vorträge
über künstlerische Straßenanlagen mit anzuhören. Daß
Bebauungspläne durch Geometer aufgestellt werden,
ist schlechtweg verboten. Sie werden durch Hoch-
bauer aufgestellt. Den älteren Bauinspektoren, die
nicht mehr umlernen können, werden jüngere Hilfs-
kräfte beigegeben, auch dürfen tüchtige Privatarchi-
tekten zur Mithilfe herangezogen werden. Ferner ist
verordnet worden, daß jeder Veränderungsplan erst
in Bleistiftzeichnung dem Ministerium eingereicht
werden muß, ehe der Gemeinderat beschließen darf.
Der Referent des Ministeriums aber verständigt sich
an Ort und Stelle mit dem Gemeinderat. Der Redner
meinte schließlich, bei dem Anblick der meisten Be-
bauungspläne in Deutschland könne einem das Herz
bluten, und es sei geradezu unverständlich, daß der-
artige chinesische Zustände in Deutschland noch
 
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