Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

DOI Artikel:
Wustmann, Rudolf: Zum Verständnis Klingers als Radierers und Malers
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0097

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang

1903/1004

Nr. 11. 8. Januar.

Die Kunstchronik erschein! als Beiblatt zur «Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

ZUM VERSTÄNDNIS KLINGERS ALS RADIERERS
UND MALERS

Unsre Abbildung ist die Wiedergabe einer gleich
großen, bis jetzt nicht veröffentlichten Federzeichnung
des jungen Klinger im Besitz der Leipziger Städtischen
Sammlungen. Mäßig geneigter Hang mit tiefem
Schnee bedeckt, das buschartige Bäumchen in Winter-
blöße und Dürre, vorn unten eine Szene aus der
Tierwelt: an einem Ha-
senaas, das ein kleiner
Raubvogel als seinen Be-
sitz angesehen hat, be-
gehrt soeben ein zweiter
teilzunehmen, der erste
guckt mit halb verwun-
derter, halb böser Kopf-
haltung auf den An-
kömmling, schon sträu-
ben sich seine Flügel-
federn, der andere rückt
halb hüpfend, halb auf
der Schneedecke vorwärts
schiebend, mit Flügeln,
die auch anfangen sich
zu sträuben, auf den
ersten los.

Das ist der Keim zu
dem pathetischsten von
Klingers Intermezzi, dem
Kentaurenkampf in der
Eisöde. Aus dem kleinen
harmlosen mitteldeut-
schen Schneelandschafts-
ausschnitt ist der erschüt-
ternde Anblick einer
düstern, ewig vereisten
und verschneiten, gro-
tesk gebildeten Hoch-
gebirgsöde geworden.
Von Baum und Strauch
träumt hier niemand
mehr, eisgepanzert ragt
der Berg hinten empor,
von wilden Nebel-

MAX KLINOER. FEDERZEICHNUNG. LEIPZIGER MUSEUM

fetzen umweht, die ungleiches Licht durchlassen
wie sie selbst ungleich beleuchtet sind, gespenstisch
schwarz setzt sich das Gebirge links hinten fort, im
Mittelgrund eine uralte, breite abschüssige Eis- und
Schneebahn, ganz links steil, tief abstürzend, rechts
durch ein paar schroff geschründete große Blöcke
vom Vordergrund getrennt, einem kleinen Schneefeld,
das links als Wächte über den Abgrund überhängt.
Hier vorn zwei Kentauern mitten in wütendem Kampfe

um die Nahrung, den
frisch getöteten Hasen,
den einer von ihnen er-
jagt hat und der andre,
von gleichem Hunger
gequält, ihm streitig
macht. So sind ent-
sprechend dem Ort auch
die Personen der Hand-
lung gesteigert und vor
allem in der Zeit der
spannendste Moment des
Dramas herausgearbeitet.
Denn die beiden haben
schon manchen wilden
Sprung und Stoß auf-
einander getan, der zer-
stampfte Schneeboden
zeigt es, beide kämpfen
mit letzter Kraft, jeden
Augenblick muß die
Wächte brechen und sie
in die Tiefe schmettern,
schon fliegt der Adler
fern empor, dem dies
alles hier zur Beute zu
fallen bestimmt ist.

Ich denke, wir haben
hier ein gutes Beispiel
dafür, wie das be-
obachtete Drama, auch
in kleinsten Verhält-
nissen, Klingers Phan-
tasie in Tätigkeit ver-
setzt, bis dem Radierer
eine im Milieu groß-
 
Annotationen