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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0121

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 14. 5. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein 8t Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

PARISER BRIEF

Der Cercle der Rue Volney hat seinen alljährlichen
Salon eröffnet, und die Matadoren der offiziellen und
mondänen Kunst zeigen da wieder ihre hübschen
Sächelchen, die den Arbeiten früherer Jahre so ähn-
lich sind, daß man kein Wort darüber zu verlieren
braucht. Nur Bouguereau verdient Erwähnung, weil
sein diesjähriges junges Mädchen nicht ganz so über-
zuckert und porzellanen wie sonst, dafür aber auch
schlechter gezeichnet ist; Bonnat mag genannt werden,
weil er in seinem spanischen Studienköpfchen die
roten, gelben, blauen und grünen Farben mit einer
solchen Brutalität und Geschmacklosigkeit neben-
einander setzt, wie man sie selbst bei diesem massivsten
und plumpsten aller französischen Maler nicht ge-
wohnt ist; sonst können wir mit Stillschweigen über
die Porträts von Jules Lefebvre, Carolus-Duran,
Gabriel Ferrier, Lauth, Weerts, Rixens und Flameng
weggehen, und selbst Ferdinand Humbert bedarf
keiner besonderen Erwähnung, da seine beiden dies-
jährigen Porträts genau so aussehen wie alle frühern
Arbeiten von ihm und uns wie ganz alte Bekannte
anmuten. Auch das, was zu erwähnen wäre, kann
mit kurzen Andeutungen besprochen werden. Tony
Robert Fleury, ein alter Herr von 67 Jahren, der
früher Historienbilder wie sein Vater und wie Dela-
roche malte und verschwenderisch mit dem Asphalt
wirtschaftete, hat sich seit einigen Jahren ganz von
seinem früheren Handwerk abgewandt und malt jetzt
entzückende kleine Bildchen, junge Mädchen am
Fenster beim Sticken oder bei sonst einer häuslichen
Hantierung, hell und freundlich wie etwa ein lieber
alter Vermeer. Leandre hat ein gutes schneidiges
Porträt eines Husarenoffiziers ausgestellt, Abel Faivre
eine an Rubens erinnernde saftige Schönheit inmitten
eines blumigen Gartens, Jean Veber eines seiner be-
liebten Bilderrätsel unter dem Titel La Terreur«,
wo die Republik in Gestalt eines robusten nackten
Weibes trunken auf das Land gefallen ist, Kirchen,
Häuser und Menschen erdrückt und die Einwohner
zur Flucht nötigt. Als neu und interessant nenne
ich noch: Adolph Giraldon, der zwar schon im
vorigen Jahre im Champ de Mars ausgestellt hat, in
dem dortigen Ozean der Malerei aber spurlos unter-
gegangen ist, während er sich hier unter den 231

Bildern mit seinen stillen und einsamen, in gedämpften
Tönen wiedergegebenen Dorfansichten angenehm dem
Auge des Besuchers empfiehlt. Das gleiche gilt von
Hugues de Beaumont, ebenfalls einem Gaste des
Champ de Mars, der mir dort entgangen ist, und
dessen Rokokointerieurs, weiß lackierte Täfelung, Türen
und Fensterrahmen, seegrüne Seidentapeten, etwas
rosa auf den Sesseln und Kanapees, einen überaus
anheimelnden und wohltuenden Eindruck machen.
Auf keiner Ausstellung ist mir bisher Delamarre de
Monchaux begegnet, der sich mit einer holländischen
Straße und einem Kanal sehr vorteilhaft einführt:
hohe Treppengiebel, rote Ziegeldächer, grüne Fenster-
laden, keine Menschen, alles atmet Ruhe und Behagen
— neulich war bei Bernheim ein vor vierzig Jahren
gemaltes holländisches Bild von Claude Monet zu
sehen, das einen ähnlichen Gegenstand in ähnlicher
Weise wiedergab. Von der Skulptur darf man in
diesen Ausstellungen eigentlich garnicht reden. Die
allerbanalsten und spießbürgerlich beliebtesten Sachen
werden einzig hier gezeigt: Denys Puech, Stanislas
Lami, Ringel d'Illzach — die Namen genügen.

Bei Durand Ruel stellt ein bisher in Paris ganz
unbekannter Lyoner Maler Namens Jacques Martin
einige vierzig große und kleine Arbeiten aus, zumeist
Frucht- und Blumenstücke, denen menschliche Figuren
gewissermaßen nur als Staffage beigegeben sind.
Diese Gemälde bekunden ein außerordentliches deko-
ratives Talent, an die Venezianer und von den Neuern
an Makart erinnernd, und es ist sehr zu bedauern,
daß dieser Künstler alt geworden ist, ohne jemals
einen größeren dekorativen Auftrag erhalten zu haben.
Auch einige Landschaften zeigt Martin, die in dem
sichern Festhalten der Lichterscheinungen an die
Impressionisten erinnern, vor den in den letzten
zwanzig Jahren entstandenen impressionistischen Bil-
dern aber das voraus haben, daß sie nicht auf Luft
und Perspektive verzichten, sondern in diesen Vor-
zügen den Landschaften Manets und den vor dreißig
und vierzig Jahren gemalten Bildern Monets gleich-
kommen. Besonders eine Gartenszene mit einer früh-
stückenden Gesellschaft an einem Tische im Vorder-
grunde ist ein geradezu vollkommenes Meisterwerk
dieser Art, wo Menschen, Bänke, Stühle und Bäume
ganz von Luft umgeben sind, und wo die Perspektive
täuschend zurückgellt bis in die tiefsten Tiefen, —
 
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