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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0208

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Michelangelos Kruzifix entdeckt. Eine überaus
wichtige kunstgeschichtliche Entdeckung verkündigt soeben
der bekannte Heidelberger Kunstgelehrte Oeh. Hofrat Henry
Thode, er hat das berühmte Jugendwerk des Michelangelo,
den Kruzifixus, der allgemein als verloren galt, wieder auf-
gefunden. In Condivis Lebensbeschreibung Michelangelos,
die noch zu dessen Lebzeiten 1553 erschien, ist zu lesen:
»In dieser Zeit — das heißt zwischen 1492 und 1494 —
machte Michelangelo für den Prior von Santo Spirito einen
etwas unterlebensgroßen Kruzifixus aus Holz, den man
bis heute auf dem Hochaltar der Kirche sieht. Mit dem
Prior stand Michelangelo in vertrautem Verkehr, der Prior
erwies ihm viele Gefälligkeiten, er stellte ihm ein Zimmer
und — was für Michelangelo vom höchsten Werte war —
Leichen zum anatomischen Studium zur Verfügung. Das
war der Anfang zu derartigen Studien, die er fortsetzte,
so lange es ihm das Geschick vergönnte.« Vasari er-
wähnt diesen Kruzifixus ebenfalls in der zweiten Auflage
seiner Künstlerbiographien 1568; er kennt ihn aus eigener
Anschauung und sagt: »Ein Holzkruzifix von Buonarrotis
Hand, welcher bei den Künstlern im höchsten Ansehen
steht, hängt über dem Halbrund des Hochaltars in der
Heiligengeistkirche; obwohl er aus seiner frühesten Jugend
stammt, ist er doch in jeder Hinsicht schön und wunder-
bar; in seiner großartigen Linienführung zeugt er davon,
wie wunderbar die künstlerische Kraft dieses edlen Geistes
schon im Jünglingsalter erblüht war«. — In allen Lebens-
beschreibungen Michelangelos liest man seit dieser letzten
Erwähnung Vasaris, daß der berühmte Kruzifixus leider
verschollen sei. Henry Thode, dem neuesten Biographen
Michelangelos, ist das Glück beschieden gewesen, das be-
rühmte Werk wieder zu entdecken, und wo? — auf dem
Hochaltar der Heiligengeistkirche zu Florenz auf den hinteren
Chorschranken zwischen den Gestalten der Maria und des

Johannes aus der Zeit 1660. Thode gibt von der Auffindung
eine begeisterte Beschreibung in der »Frankfurter Zeitung«
er beschreibt das Werk also: »Während des 15. Jahr-
hunderts war die Schmerzensgestalt in wesentlich auf-
rechter und an den Holzstamm angelehnter Haltung mit
seitwärts gesenktem Haupte und in etwas gespreizter
Stellung der unteren Extremitäten wiedergegeben worden.
Hier hängt sie tief an den Armen herab, der zur Seite
geneigte Kopf senkt sich nach vorne, und in einer Gegen-
bewegung hierzu drängt sich unter dem Zwange des
Nagels seitwärts gedreht und in starker Knickung das
rechte Bein über das linke. Der Körper löst sich, im
Profil gesehen, in sehr bewegtem Umriß vom Stamme
los. An Stelle des traditionellen geknüpften sieht man ein
durch einen Strick gezogenes Lendentuch, das, mit hohem
plastischen Sinn drapiert, an der rechten Hüfte sich löst
und frei herabfällt«. — Wie richtunggebend dieses außer-
ordentliche Werk für die Darstellung des Kruzifixus in der
Florentiner Kunst geworden ist, das will Henry Thode
in einer besonderen illustrierten Abhandlung nachweisen.
Nachdem Thode das Werk erkannt hatte, ist es ihm auch
gelungen, einen urkundlichen Nachweis für die Richtigkeit
seiner Entdeckung zu erbringen. Im neunten Bande von
Richas Werk über die Kirchen zu Florenz vom Jahre
1759 steht Seite 55: »Im Kapitelsaale der Heiligengeist-
kirche befand sich der Kruzifixus Michelangelos. Man
will ihn im Chor der Kirche aufstellen, jetzt aber ist er
noch in der Sakristei«. Somit ergibt sich klar, daß das
berühmte Jugendwerk Michelangelos zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts, als die Kirche einen neuen Hochaltar von Gio-
vanni Caccini erhielt, von seinem alten Platze in den Kapitel-
saal gebracht wurde; von dort kam es in die Sakristei und von
da um 1759 auf die Schranken des Hochaltars. Erst Henry
Thode war es vorbehalten, es dort wieder zu entdecken.

Neuigkeit aus dem Verlage von E. A. Seemann in Leipzig

Girolamo Campagna:

Maria am Betpult.
Loggia di Oiocondo.
(Biermann, Verona.)

Als Band XXIII der Sammlung „Berühmte Kunst-
stätten" erscheint:

VERONA

Von GEORG BIERMANN

190 Seiten 8° mit 125 Abbildungen. Eleg. kart. 3 Mark

Man darf behaupten, daß das weite Feld der Veroneser
Kunst bisher in der Kunstgeschichte ziemlich brach
gelegen hat, so daß die Kunstgeschichte von Verona zu
schreiben eine zwar interessante aber auch schwierige
Aufgabe war. Der Verfasser hat dieselbe jedoch, wiewohl
er mehr als in einem Punkte einem gänzlich Uner-
forschten gegenüber stand, glücklich gelöst.

Inhalt: Neues von Max Klinger. Von Paul Schumann. — Londoner Brief. Von O. von Schleinitz. — Kunstberichte aus Paris. Von Louise M. Richter.

— Katalog der Gemäldegalerie des Städelschen Kunstinstituts. — C. W. Müller f; Gedächtnisfeier für Preller. — Dr. W. Schmidt tri
den Ruhestand getreten. — Rom, Archäologisches Institut. — Courbets Steinklopfer in Dresden. — Berlin, ».Große« Kunstausstellung;
St. Louis, Sonderausstellung deutscher Künstler; Berlin, Kunstausstellung der Sezession. — Das sog. Grab des Drusus; Wereschtschagins
künstlerischer Nachlaß; Michelangelos Kruzifix entdeckt. — Anzeigen.

Herausgeber und verantwortliche Redaktion: E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13
Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h., Leipzig
 
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