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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Peltzer, A.: Heidelberger Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0253

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Heidelberger Brief

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üppigster, protziger Luxus vorgetäuscht worden, wie
wir nicht annehmen wollen und dürfen, daß er dem
Geschmack des Kurfürsten und seiner Besucher ent-
sprochen habe. Für wen alles das? Doch nur für
die Fremden, welchen gezeigt werden soll, »wie es
in der deutschen Renaissance ausgesehen hat«, oder
vielmehr, denen vorgespiegelt wird, es habe so aus-
gesehen. Haben wir nicht genug Stätten, wo wir
das zeigen können? Sagen uns die unzähligen Ori-
ginale in den Museen nicht alles, was wir brauchen?
Ja, ist nicht das bescheidenste Zeugnis des Kunst-
fleißes jener Epoche, das sich in der kleinsten Pro-
vinzsammlung aufbewahrt befindet, ungleich sprechen-
der als diese theatralische Schaustellung eines äußer-
lich glänzenden, innerlich leeren, dazu zum Teil
einfach geschmacklosen Gepränges? Wenn wirklich
eine genügende Anzahl echter alter Stücke hätte zu-
sammengebracht und in diesen Räumen verteilt auf-
gestellt werden können, läge die Sache allenfalls ein
wenig anders. Nun aber hat man sich einerseits aufs
Kopieren verlegt, andererseits aber der eigenen
»schöpferischen« Phantasie vertraut; beides in ganz
wahlloser Art und Weise. Was sollen wir z. B. dazu
sagen, wenn wir da in einem Zimmer die getreue
Kopie eines, wenn auch an sich prächtigen Kachel-
ofens des alemannisch-schweizerischen Stiles finden,
mit der »Kunst«, jenem originellen Anbau zum Sitzen
und Wärmen? Die so hübsche und reichhaltige
Sammlung von alten Ofen im Germanischen Museum
zu Nürnberg, die jedem Besucher desselben in ver-
trauter Erinnerung ist, hat herhalten müssen, um die
Zimmer des Pfalzgrafen bei Rhein in seinem demo-
lierten, aber wieder aufgebauten Palast von neuem
mit — Kopien von Öfen zu versehen. Ich erinnere
mich nicht, wie das Original in Nürnberg in der
Farbe gehalten ist, vermute aber, daß es schlicht und
ruhig bloß seine einfach grün-glasierten ornamentierten
Kacheln darbietet, wie das denn auch die an sich
geschickt und hübsch gemachte Nachahmung so auf-
wies. Hier angekommen und für nicht genügend
auffallend erachtet, hat der Ofen dulden müssen, ge-
wisse seiner Ornamente zur Hervorhebung über der
Glasur noch mit einer grellen Vergoldung versehen
zu bekommen. Daß die Wiederholung eines anderen
dieser Öfen, wenigstens die eines solchen, der aus
dem ebenfalls pfälzischen Schloß Neuburg stammt,
ist, will uns im Grunde auch nicht viel sagen. Reste
eines dritten Ofens, der irgendwo im badischen Ober-
land gefunden sein soll, eine Anzahl bemalter, mit
figürlichen Darstellungen und Sprüchen versehener
Platten hat man hergenommen, sich die nötige An-
zahl der fehlenden in derselben Art herstellen lassen,
um von neuem wieder einen Ofen daraus zu kon-
struieren, der ein Zimmer des längst verstorbenen
Fürsten heizen soll (denn es heißt, sie ließen sich
alle heizen, diese Stücke).

Doch mit solchen Kopien und Wiederherstellungen
begnügten sich die Restauratoren nicht. Sie gefielen
sich, wie gesagt, auch in Neuschöpfungen eigener
Phantasie. Da wurde denn »im Geiste der Alten«
Neues gebildet; da wurden ganze Skulpturen und

Gemälde erfunden. Unter anderen Umständen würde
man sagen, sie wurden — gefälscht. In der Tat
werden alle die Durchschnittslaien und die weniger
Gebildeten bei den üblichen flüchtigen Führungen
durch die Kustoden, in dieser Hinsicht einen durch-
aus unklaren und trügerischen Begriff erhalten, nicht
wissen, was sie »Echtes« und »Nichtechtes« gesehen
haben, und so mit einer regelrechten Täuschung ent-
lassen — die Kenner und Gebildeten aber mit einer
empörenden Enttäuschung. Zwischen die Kopien und
die vielen »Neuschöpfungen« (die in der weitaus
überwiegenden Mehrzahl sind) mischen sich nämlich
hier und da auch alte Stücke, vornehmlich einige
alte Gemälde, von denen ein paar der Heidelberger
städtischen Altertümersammlung, andere dem groß-
herzoglichen Besitz entnommen sind, die meisten
indessen, ich weiß nicht wo, aufgekauft wurden,
darunter höchst zweifelhafte übertünchte Bilder und
eine Reihe ziemlich minderwertiger Porträts, von
denen niemand weiß, wen sie vorstellen und was
sie also hier sollen. (Was für zweifelhafte Persön-
lichkeiten können da vielleicht von den jetzigen Be-
suchern für kurfürstliche Ahnen und Verwandte ge-
nommen werden!)

Doch wandern wir ein wenig weiter in diesen
Räumen umher. Treten wir in die Schloßkapelle ein,
welche bekanntlich das ganze hochgewölbte Erdge-
schoß des Friedrichsbaues einnimmt. Auf dem Hoch-
altar ragt ein großes Bild, die Taufe Christi darstellend,
das auch in früheren Zeiten dort gestanden hat. Es
ist gemalt von Antoni Schoonjans, einem Schüler
des Erasmus Quellinus, also einem Enkelschüler des
Rubens; ein nicht ganz uninteressantes Gemälde, auf
das hier nebenbei aufmerksam gemacht werden mag.
Jedermann wird zugeben, daß es also einer Schule
entstammt, die mehr wie irgend eine andere mit ihren
Erzeugnissen durch ihre barocke Art Aufsehen erregt,
ja die Augen an sich zieht. Hier und jetzt tut dieses
umfangreiche, alte Original nicht die mindeste Wir-
kung; seine barocke Art wird übertönt, nein über-
schrieben von allen den Formen und Farben, mit
denen man die an sich einfache kleine Kirche aus-
gestattet hat. Alles ist in bunten Farben grell bemalt
und mit vielfachem Stuck- und anderem Ornament
überladen. Mit Wehmut kann man nur mehr die
alten Abbildungen des Inneren dieser einfachen und
doch fürstlichen Schloßkapelle, etwa in Sauerweins
Publikation, betrachten, mit den, wenn auch nicht
ästhetisch vollkommenen, so doch ganz wirkungs-
vollen einfachen Architekturformen, die jetzt unter
einem Wust von Dekorationen verschwinden. In die
Seitenkapellen hat man ein paar irgendo erstandene,
unglaublich schlechte und bedeutungslose andere Öl-
gemälde gehängt, darunter eine minderwertige Kopie
nach Rubens' »Samson und Delila«. In einer kleinen
Nische seitwärts aber entdeckt man eine Nachbildung
eines Florentiner Robbiareliefs, die Madonna in einem
Fruchtkranz zeigend, das zur Erhöhung der dekora-
tiven Pracht dort eingefügt worden ist, vorher aber
dem modernen »Wiederhersteller« und seiner Phan-
tasie hat zu Hilfe kommen müssen, indem es ihm als
 
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