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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 9.1898

DOI Artikel:
Leisching, Julius: Das Grabmal, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4886#0008
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Vignette, gezeichnet von Maler Hans Schulze, Berlin.

DAS GRABMAL

VON JULIUS LEISCHING

II. Mittelalter.

DAS Christentum war, sobald überhaupt in ihm
künstlerische Regungen erwachten, bei der
Anlage des Grabmals so gut wie ja in der
monumentalen Kunst im allgemeinen auf heidnisch
antike Überlieferungen angewiesen. Und nicht bloss
in der äusseren Anlage, selbst im Gedankenvorrat der
bildlichen Darstellungen.

Noch Jahrhunderte lang ringt der neue Geist mit
den alten Begriffen und Formen, bis er sie gänzlich
zertrümmert und aufgelöst oder sie in sich aufge-
nommen und umgeprägt hat.

Es ist lehrreich zu beobachten, wie solcher nur
den Geist anbetender Glaube, zwischen jüdischer Bild-
feindlichkeit und heidnischem Bilderreichtum mitten
inne stehend, sich mit beiden abzufinden sucht, erst
jeglich Bild als Satanswerk verflucht, dann in dem
Inneren seiner Andachtsstätten nach und nach mehr
und mehr demGotte auch mit »irdischem Tand" wohl-
zugefallen strebt, um schliesslich auch in der äusseren
Pracht sich nicht mehr genügen zu können. Es ist
dies so lehrreich, dass es gestattet sein mag, das von

Kunstgewerbeblatt. N. F. IX. H. 1.

mir andernorts darüber Gesagte hier in Kürze zu
wiederholen.

Im Anfang hatte das Christentum allen Grund,
sich nicht augenfällig zu machen, aber auch ein tiefer
wurzelnder Zug, »die Innerlichkeit des christlichen
Lebens", war Ursache der Bevorzugung geheimer,
symbolischer, vom Geiste eingegebener Zeichen, die
vorerst nach keiner künstlerischen Gestaltung Ver-
langen trugen, gleichwie ja auch die altchristlichen
Kirchenbauten noch auf jeglichen äusseren Schmuck
verzichtet hatten. Und als sich späterhin doch die
bildliche Erscheinung langsam Geltung verschaffte, da
begann sie wiederum wie stets, wenn ein neuer Ge-
danke sich durchringt, mit der Symbolik, mit der Ver-
körperung heiliger Idealgestalten, in der Baukunst
auch mit heiligen Zahlen. Dabei ist von vornherein
im Auge zu behalten, dass der Kunst im christlichen
Reiche im wesentlichen nur eine dienende Stellung
zugedacht war, Stoff und Zierat auf lange Zeit nur
insofern Geltung erringen durften, als sie zur Ver-
herrlichung einer höheren „Idee" befähigt waren.

Die Knechtsgestalt, in welcher der neue Heiland

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