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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 9.1898

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Pniower, Georg: Kritische Streiflichter zur modernen Medaillenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4886#0197
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KRITISCHE STREIFLICHTER ZUR MODERNEN

MEDAILLENKUNST

KEIN Anzeichen verbürgt sicherer, dass in die
Entwicklung einer Kunst Leben und Bewe-
gung zu kommen beginnt, als wenn in Tages-
und Fachpresse zwiespältige Meinungen und Urteile
über das in Frage stehende Stoffgebiet laut werden.
Mit der Medaillenkunst ist dies der Fall. Decennien
hindurch ist über sie in Deutschland nicht so viel ge-
schrieben worden, als innerhalb der letzten vier Jahre.
Julius von Schlosser's »Die Entwicklung der Medaille"
(Numismatische Zeitschrift, Wien 1894, Bd. 26, IX) darf
wohl als Ausgangspunkt aller seitherigen Erörterungen
dieser Materie angesehen werden. Ihm sind als nam-
hafteste Publikationen auf gleichem Gebiet Karl Do-
manig's »Anton Schärft« (Numismatische Zeitschrift,
Wien 1894, Band 26, VIII); Friedrich Kenner's »Die
Medaille" (Monatsblatt der numismatischen Gesell-
schaft Wien, Dezember 1894); Karl von Lützow's »Oscar
Roty (Kunstgewerbeblatt, Dezemberheft, Nr. 3, Leip-
zig, Seemann 1896) und ■— last not least — Alfred
Lichtwark's „Wiedererweckung der Medaille« (Dresden,
Kühtmann 1897) gefolgt.

Begegnet man nun schon in vorgenannten und
einigen anderen Publikationen Ansichtsverschieden-
heiten mancher Art, namentlich über die Wege, welche
die deutsche Medaillenkunst in ihrem Streben nach
einem höheren Niveau einzuschlagen habe, so gilt dies
in ganz besonderem Masse von einem im Februar-
heft der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration«
(Darmstadt, Alexander Koch) erschienenen Aufsatz
„Über deutsche Medaillen und Plaquetten" von
Georg Habich. Neben einwandsfreien Lichtwark'schen
Gesichtspunkten finden sich hier Auslassungen histo-
rischer und namentlich kritischer Art, über welche zu
streiten wäre. Ich möchte mich zunächst gegen zwei
der ersteren wenden.

Der Verfasser begründet den Verfall der deut-
schen Medaillenkunst nach dem dreissigjährigen Kriege
mit der angeblichen Thatsache, dass sich besagte Kunst
aus dem Volke verloren und an die Höfe der Fürsten
zurückgezogen hätte, wo ihre Ausübung gewisser-
massen Monopol sogenannter Hofmedailleure ge-
worden wäre. Mir ist von solcher Thatsache nichts
bekannt, und ich wäre dankbar für die Nennung der
diesbezüglichen geschichtlichen Quelle. Befremdlich
bleibt jedenfalls die daraus gezogene Schlussfolge-
rung. Der dynastische Schutz der Künste pflegte von
jeher viel mehr zu ihrer Erhaltung und Förderung,
als zu ihrer Vernichtung beizutragen, und es dürfte

Kunstgewerbeblatt. N. F. IX. H. 10.

schwer werden, Ausnahmen von dieser Regel nachzu-
weisen. Dass die Gepflogenheit der kleinen Fürsten
Italiens und Deutschlands, sich durch prunkende Me-
daillen zu verewigen, einen wesentlichen Anteil an der
Blüte der Medaillenkunst der Renaissanceperiode hatte,
ist wohl nie bestritten worden, und dass die italie-
nische Medaillenkunst des Quattrocento einzig und
allein von den oberitalienischen Fürstenhöfen ausging,
um viel später erst Eingang im Volke zu finden, ist
Thatsache. Und was die Hofmedailleure angeht, so
waren es nach Schlosser »neben dem päpstlichen Hofe
gerade die glänzendsten und einflussreichsten Höfe
Europas, der Habsburgische und der Bourbonische,
welche Medailleure als quasi Hofkünstler beschäftigten,
freilich keine Geringeren als Leone Leoni, die beiden
Abondio's, Cellini u. a." Ich will auch die Meister
jener Periode keineswegs gänzlich von dem Vorwurf
des Verfassers entlasten, aber viel mehr als sie war
die Korruption des allgemeinen Zeitgeschmacks an dem
Niedergang der Medaillenkunst schuld, wie denn auch
nicht nur letztere allein unter dieser Korruption ge-
litten hat.

An einer anderen Stelle wird der klassicistischen
Reaktion Ende vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts
die Schuld an dem soeben erst weichenden üblen Zu-
stand der Medaille gegeben. In dieser Ansicht steht
dem Verfasser allerdings Schlosser zur Seite, welcher
meint, „dass eine falsche Auffassung des Winckelmann-
schen Wortes von der erhabenen Einfalt der Antike,
welche den Grundzug der ganzen Richtung des Em-
pire bildet, auch in der Medaille sich zeige". Gegen
beide Ansichten indes lassen sich die nicht minder auto-
ritativen Boltzenthal's und Lützow's anführen, welche
den Aufschwung der französischen Medaillenkunst
Anfang dieses Jahrhunderts just mit der wieder zum
Vorbild erhobenen Antike begründen. Dass letztere
sich beim Empirestil im allgemeinen oder aber beim
Empiremedaillenstil im besonderen in irgend welcher
Hinsicht falsch verstanden oder angewendet fände, ist
meines Wissens sonst noch nirgends behauptet worden.
Auch der nicht bestrittene gleichzeitige Fortschritt der
deutschen Medaillenkunst wird mittelbar auf den-
selben Einfluss zurückgeführt, insofern er von Henri
Francois Brandt ausging, der bekanntlich die neue
Richtung in Paris selbst studiert und nach Deutschland
übertragen hatte.

Was nun des Verfassers Ansichten über Aufgaben
und Stellung der deutschen Medaillenkunst angeht,

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