DAS GRABMAL
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Cigarettendose; Silber vergoldet. Stil Louis XVI.
scheinlich und scheint romanhafte Zuthat zu sein. Eher
glaubhaft aber ist die Behauptung, dass diese Reiter-
statue auf einem Stadtthor von London aufgestellt
worden ist. Es wäre dies ein sehr frühes Vorbild für
die gleich kühnen, jedoch zweihundert Jahre jüngeren
Denkmäler der Tyrannen von Verona.
Die Scaligergräber zu Verona bilden den Höhe-
punkt der mittelalterlichen Grabdenkmalform, und viel-
leicht nicht bloss der mittelalterlichen. In ihrer kühnen
trotzigen Kraft scheinen sie allem Menschlichen, Sterb-
lichen, aber auch allem Kirchlichen Hohn zu sprechen.
Es ist die Verkörperung des unbändigen Selbstgefühls,
das selbst im Tode alle Mitmenschen und was sie
fesselt zu überragen geneigt ist. Damit hat sich zu-
gleich die Herrschaft der italienischen Despoten das
seltsamste Denkmal gesetzt, und man kann vielleicht
nur bedauern, dass der Raum, weil allzu beschränkt,
nicht gut dafür gewählt wurde.
Die Denkmäler des Can Grande della Scala (f 1329)
und Mastino II. (f 1351) zeigen - bei ersterem noch
halb als Nischengrab an die äussere Kirchenwand ge-
rückt, dessen Dach aber überragend ein eigenes
Gebäude, in welchem der hoch emporgehobene Sarko-
phag und der sich darüber wölbende Baldachin auf
Säulen ruht. Hier genügte es nicht mehr, die Figur
des Verstorbenen bloss so wie früher auf dem Sarko-
phage ruhend darzustellen, hier musste man ihn ausser-
dem — wiederum als Lebenden — hoch oben als
Krönung daraufstellen. Aber nicht wie sonst patriarcha-
lisch oder majestätisch thronend vom Hofstaat umgeben,
sondern als Feldherrn und Despoten zu Pferde, frei
und allein, der Oberste im Tode wie im Leben.
Nirgends sonst spricht sich der Zug des italieni-
schen Gewaltherrschers, der vom Söldnerführer sich
zum Stadttyrannen emporgearbeitet hat, so deutlich aus.
Das grossartigste und bekannteste, das Grab Can
Signorios (1375) übertrifft bei gleicher Grundlage
seine Vorgänger durch Reichtum und Pracht noch
bei weitem. Während Mastino sich mit viereckiger
Basis begnügen musste, wird das Denkmal San Sig-
norios über dem Achteck erbaut und giebt allen mög-
lichen Zuthaten, sitzenden und stehenden Figuren,
Gittern u. s. f. Raum zu ihrer fast zu üppigen Ent-
faltung. Hier haben die christlichen Helden, die streit-
baren Heiligen Quirinus, Georg, Martin und Valentin,
auch Sigismund und Ludwig IX. sich zum Schmuck
des Unterbaus hergeben müssen. Am Oberbau fehlen
auch die christlichen Tugenden nicht. Sie alle über-
ragt aber wiederum das den Gipfel bildende Reiter-
bild, ein Vorbild für die späteren Reiterdenkmäler der
Renaissance. Schon das kürzlich hier abgebildete
prächtige, aber ruhigere Denkmal des Sarego in S. Ana-
stasia zu Verona stellt den Reiter zwar wiederum auf
den Sarkophag, aber nicht als Dekoration in unnah-
bare Höhe, sondern als Hauptsache und Mittelpunkt
in bequeme Sehweite.
Es giebt vielleicht nur zwei christliche Monumente,
die sich an Kühnheit und Geschlossenheit der Form,
an Originalität und Reichtum mit diesem hätten messen
können: das Grabmal Maximilian I. und Michel An-
gelos Entwurf für Papst Julius II. -- beiden aber war
es beschieden, unvollendet und in unglücklichster Auf-
stellung ein trauriger Torso zu bleiben, während Can
Signorio seinen Willen durchzusetzen verstand.
In gewissem Sinne übertroffen wurde es etwa
nur von dem gewaltigen Grabmal, das Johanna II. sich
und ihrem königlichen Bruder Ladislaus 1414 in S.Gio-
vanni a Carbonara zu Neapel errichten liess. Darauf
Handleuchter; Silber vergoldet. Stil Louis XVI.
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Cigarettendose; Silber vergoldet. Stil Louis XVI.
scheinlich und scheint romanhafte Zuthat zu sein. Eher
glaubhaft aber ist die Behauptung, dass diese Reiter-
statue auf einem Stadtthor von London aufgestellt
worden ist. Es wäre dies ein sehr frühes Vorbild für
die gleich kühnen, jedoch zweihundert Jahre jüngeren
Denkmäler der Tyrannen von Verona.
Die Scaligergräber zu Verona bilden den Höhe-
punkt der mittelalterlichen Grabdenkmalform, und viel-
leicht nicht bloss der mittelalterlichen. In ihrer kühnen
trotzigen Kraft scheinen sie allem Menschlichen, Sterb-
lichen, aber auch allem Kirchlichen Hohn zu sprechen.
Es ist die Verkörperung des unbändigen Selbstgefühls,
das selbst im Tode alle Mitmenschen und was sie
fesselt zu überragen geneigt ist. Damit hat sich zu-
gleich die Herrschaft der italienischen Despoten das
seltsamste Denkmal gesetzt, und man kann vielleicht
nur bedauern, dass der Raum, weil allzu beschränkt,
nicht gut dafür gewählt wurde.
Die Denkmäler des Can Grande della Scala (f 1329)
und Mastino II. (f 1351) zeigen - bei ersterem noch
halb als Nischengrab an die äussere Kirchenwand ge-
rückt, dessen Dach aber überragend ein eigenes
Gebäude, in welchem der hoch emporgehobene Sarko-
phag und der sich darüber wölbende Baldachin auf
Säulen ruht. Hier genügte es nicht mehr, die Figur
des Verstorbenen bloss so wie früher auf dem Sarko-
phage ruhend darzustellen, hier musste man ihn ausser-
dem — wiederum als Lebenden — hoch oben als
Krönung daraufstellen. Aber nicht wie sonst patriarcha-
lisch oder majestätisch thronend vom Hofstaat umgeben,
sondern als Feldherrn und Despoten zu Pferde, frei
und allein, der Oberste im Tode wie im Leben.
Nirgends sonst spricht sich der Zug des italieni-
schen Gewaltherrschers, der vom Söldnerführer sich
zum Stadttyrannen emporgearbeitet hat, so deutlich aus.
Das grossartigste und bekannteste, das Grab Can
Signorios (1375) übertrifft bei gleicher Grundlage
seine Vorgänger durch Reichtum und Pracht noch
bei weitem. Während Mastino sich mit viereckiger
Basis begnügen musste, wird das Denkmal San Sig-
norios über dem Achteck erbaut und giebt allen mög-
lichen Zuthaten, sitzenden und stehenden Figuren,
Gittern u. s. f. Raum zu ihrer fast zu üppigen Ent-
faltung. Hier haben die christlichen Helden, die streit-
baren Heiligen Quirinus, Georg, Martin und Valentin,
auch Sigismund und Ludwig IX. sich zum Schmuck
des Unterbaus hergeben müssen. Am Oberbau fehlen
auch die christlichen Tugenden nicht. Sie alle über-
ragt aber wiederum das den Gipfel bildende Reiter-
bild, ein Vorbild für die späteren Reiterdenkmäler der
Renaissance. Schon das kürzlich hier abgebildete
prächtige, aber ruhigere Denkmal des Sarego in S. Ana-
stasia zu Verona stellt den Reiter zwar wiederum auf
den Sarkophag, aber nicht als Dekoration in unnah-
bare Höhe, sondern als Hauptsache und Mittelpunkt
in bequeme Sehweite.
Es giebt vielleicht nur zwei christliche Monumente,
die sich an Kühnheit und Geschlossenheit der Form,
an Originalität und Reichtum mit diesem hätten messen
können: das Grabmal Maximilian I. und Michel An-
gelos Entwurf für Papst Julius II. -- beiden aber war
es beschieden, unvollendet und in unglücklichster Auf-
stellung ein trauriger Torso zu bleiben, während Can
Signorio seinen Willen durchzusetzen verstand.
In gewissem Sinne übertroffen wurde es etwa
nur von dem gewaltigen Grabmal, das Johanna II. sich
und ihrem königlichen Bruder Ladislaus 1414 in S.Gio-
vanni a Carbonara zu Neapel errichten liess. Darauf
Handleuchter; Silber vergoldet. Stil Louis XVI.