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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 9.1898

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Minkus, Fritz: Flächendekoration und Perspektive
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https://doi.org/10.11588/diglit.4886#0051
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FLÄCHENDEKORATION UND PERSPEKTIVE

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Entwurf zu einem Fries in Fayenceplatten von Maler H. Haase, Hamburg.

mit starken senkrechten Stäben, die ihr absperrendes
Vorhandensein laut verkündeten, in Anwendung kom-
men: aber etwa am Ende einer langen, laubengangartig
zugestutzten Allee, da wo dieselbe in die gutsherrlichen
Felder oder in den Nutzgarten ausmündete, war das
perspektivische Gitter wie berufen, die Fernsicht schein-
bar um ein Beträchtliches zu verlängern und dabei
den minder wohlgefälligen Anblick des hinter ihm
liegenden Gebiets möglichst zu verdecken und ohne,
dass dem Auge eine sichtbare Grenze gezogen worden
wäre, thatsächlich den Eintritt Unberufener in den Park
zu verwehren.

Die zahlreichen Veränderungen, die die Garten-
anlagen des 18. Jahrhunderts im Laufe der Zeit durch-
machen mussten, haben ihnen wohl die Mehrzahl der
perspektivischen Gitter, die, nach gleichzeitigen Ge-
mälden, Stichen und Zeichnungen zu urteilen, ungemein
häufig verwendet worden waren, geraubt; doch finden
sich immerhin in ihnen auch heute noch eine ganze
Reihe derselben erhalten: als einziges Beispiel will ich
die Gitterthür erwähnen, die den unter Kaiser Karl VI.
in seiner heutigen Form entstandenen Park der ehe-
maligen Favorita (des heutigen Theresianums) in Wien,
mit dem dazugehörigen Gemüsegarten verbindet: sie
ahmt einen weitreichenden Weinlaubengang in der-
massen gelungener perspektivischer Verjüngung nach,
dass der Beschauer von einem gewissen Punkte der
zu ihr führenden Allee sich thatsächlich getäuscht
finden kann. Von einem gewissen Punkte, denn das
perspektivische Gitter hat mit allen perspektivischen
Darstellungen den Mangel gemein, dass es immer nur
für einen bestimmten Punkt richtig perspektivisch
konstruirt werden kann. So busst denn auch unsere
Thür bei einem Schritt nach rechts, links, vorwärts
oder rückwärts ihre ganze Fähigkeit, den Beschauer zu
täuschen, ein. Im höchsten Masse verliert das per-
spektivische Gitter dieselbe selbstverständlich, wenn

Kunstgewerbeblatt. N. F. IX. H. 3.

sich nahe hinter ihm irgend ein grösserer Gegenstand
befindet: derselbe fällt dann begreiflicherweise der-
massen auffallend aus der Perspektivität heraus, dass
der Beschauer einen peinlichen Eindruck verwirrend-
ster Unklarheit empfängt.

Diesen Fehler musste notgedrungen die Anwen-
dung des perspektivischen Gitters in Kirchen, die an
der Grenze zwischen Barock und Rokoko immer häu-
figer wird, von vornherein mit sich bringen.

Auch das Gitter, dessen Abbildung diese Zeilen
begleitet, leidet an den nämlichen Gebrechen. — Es
trennt, an seiner höchsten Stelle beinahe 5 m messend,
den Chor der ehemaligen Augustiner-, jetzigen Seminar-
kirche zu Kreuzungen am Bodensee, im Kanton Thur-
gau (Schweiz)') von dem Langhaus, und der sich
unmittelbar hinter ihm erhebende Hauptaltar macht
beim Vergleiche seiner grossen Dimensionen und etwa
der kleinen, scheinbar am Ende der perspektivischen
Laube des Mittelalters thronenden Figur die ganze
Illusion zu schänden. — Übrigens dürfte es der Ver-
fertiger des Kreuzlinger Chorgitters, das eines der
reichsten und schönsten Stücke dieser Art genannt zu
werden verdient, mit der perspektivischen Täuschung
des Beschauers nicht allzu ernst gemeint haben: Wenn
er es auch — der „Verbergungstendenz" seiner Zeit
gemäss — angelegentlich vermied, den Beschauer er-
raten zu lassen, dass sich das Mittelstück seines Gitters
in zwei Thürflügeln öffnen lasse, und demgemäss das
Schloss, so gut es irgend ging, unterhalb des die

1) Die Kreuzlinger Kirche ist bekannt durch die herr-
liche, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einem
Tiroler Schnitzer hergestellte, seit 1761 hier befindliche Dar-
stellung der „Leiden Christi", an deren mehr als tausend
Figuren .der Künstler über achtzehn Jahre lang gearbeitet
haben soll.

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