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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 9.1898

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Lessing, Julius: Edelzinn
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https://doi.org/10.11588/diglit.4886#0070
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58

EDELZINN

wiedergeborenen Meister ein väterliches Wohlwollen.
Ich kann es nicht ganz teilen. Ich sehe in den
wenigen ihm sicher zuzuschreibenden Stücken ein ge-
wisses handwerkliches Können, aber es fehlt der Ge-
schmack; sein kontrollirbares Vorbild die Temperantia-
schüssel hat er lediglich vergröbert.

Alle diese Untersuchungen füllen etwa die Hälfte
von Demianis Werk, wobei er sich vielfach mit den
Meinungen seiner Vorgänger auseinanderzusetzen hat.

In weiteren grossen Teilen steht Demiani fast
ganz auf unbebautem Boden und hatte alles neu zu
schaffen.

Die Temperantiaschüssel ist wohl die bekannteste,
aber nicht die einzige Prünkschüssel ihrer Art. Zwei,
drei andere, die Schüsseln mit Mars, mit Herkules,
mit dem verlorenen Sohn waren einigermassen be-
achtet, aber nirgends auch nur zuverlässig abgebildet,
geschweige denn in den erhaltenen Exemplaren kon-
troll irt. Demiani schafft hier ein völlig frisches Studien-
feld, er bringt uns nicht weniger als zehn grosse
Schüsseln, die im Reichtum der Komposition mit der
Temperantiaschüssel wetteifern, einige davon sind nur
in je einem Exemplare bekannt.

Wohin gehören nun alle diese Werke? Bei
welchen dürfen wir an Briot, bei welchen etwa an
Enderlein denken? Auch nicht eine von ihnen ist mit
einer Beziehung, ja auch nur mit einem Zinnstempel
versehen. Sicher ist nur, dass wenigstens vier fran-
zösisch sind, eine davon mit gröblichen Entlehnungen
von Briot; die französischen Inschriften und die Ge-
meinsamkeit in gewissen Unarten der Modellirung
beweisen den Ursprung. Der Meisterschaft Briots
einigermassen ebenbürtig ist lediglich die Marsschüssel.
Älter als Briot und etwas mehr italienischen Charakters
ist die Herkulesschüssel, die aber trotzdem deutsch
sein könnte.

Demiani möchte gerne die eine Susannenschüssel
(Taf. 32) Enderlein zuweisen. Ich kann mich dem
leider nicht anschliessen, aber eine Beweisführung im
einzelnen ist nur an der Hand des vollständigen
Abbildungsmaterials möglich. Dass wir diese Unter-
suchungen jetzt mit Sicherheit und Ruhe machen

können, ist das unschätzbare Verdienst des trefflichen
Werkes.

Mit den Schüsseln ist es aber nicht abgethan, zu
jeder muss eine Kanne gehört haben, wir kennen ver-
schiedene Modelle, nur das zur Marsschüssel gehörige
ist sicher unterzubringen. Wir fragen uns ferner, wie
die bei Briot abgepfändeten Modelle der „Vase" und
des „Salzgefässes" ausgesehen haben mögen, ob sie uns
in Exemplaren erhalten sind. Demiani bringt uns
vollständig alles, was es an Kannen, Humpen, Salz-
gefässen u. dergl. giebt, zumeist sind dies deutsche
Arbeiten unter Benutzung älterer Teile. Aber wenn
wir für Briots Können nicht die Temperantiaschüssel
als Massstab nehmen, bei der er doch wohl stark be-
einflusst war, sondern die Kanne, die er selbst hinzu-
komponirt hat, so stehen dieser doch einige Humpen
recht nahe. Diese Fragen sind noch nicht abgeschlossen.

Fassen wir zusammen, was das Werk uns bietet:
Statt drei bis vier leidlich bekannter und kaum irgend-
wo in genügender Grösse abgebildeter Stücke jetzt
50 Tafeln mit mehr als 80 bestens publizirter Haupt-
werke, von den Hauptmeistern erschöpfende Bio-
graphien, statt der Namen dreier Nürnberger Zinn-
giesser, die uns Neudörfer und Doppelmeyr überliefern,
die vollständigen Listen aus den Meisterbüchern, die
sichere Klärung über Bedeutung der Stempel, die
Fixirung ganzer Gruppen, wie der Stücke mit N H,
die vollständige Verarbeitung der älteren Litteratur,
auch der des Auslandes und aller periodischer Schriften,
und ausserdem eine Fülle von Beobachtungen eigenen
und von Sachkennern ihm zugetragenen über schliess-
lich alle Gebiete des Zinngusses. Dies ist ein Er-
gebnis, wie es sehr wenige Bücher unserer Fachlitteratur
aufzuweisen haben.

Demiani verheisst uns weitere Arbeiten über die
Zinnstempel der verschiedenen deutschen und fremden
Städte und eine allgemeine Fortsetzung dieses Bandes.
Sie wird uns höchlichst willkommen sein, aber schon
das jetzt vorliegende, von dem ich nur auf die Haupt-
punkte hinweisen konnte, ist auf alle absehbare Zeit
hinaus der Grundstein für die weitere wissenschaft-
liche Arbeit auf diesem Gebiete.

JULIUS LESSING.

Vignette, gezeichnet von Maler Hans Christiansen, Paris.
 
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