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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 9.1898

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Schmid, Max: Kunst und Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4886#0078
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KUNST UND KUNSTGEWERBE

jeder Form als billiger und bequemer Schmuck an-
gepasst wurde. Chi sa copiare — sa fare — der
fleissigste Kopist ist vollendeter Künstler — das war
der Wahlspruch der meisten.

Einige Versuche, die man damals schon machte,
auch das moderne Kunstgewerbe in den „Kunstaus-
stellungen" vorzuführen, verliefen erfolglos. Das
Publikum, auf Bilder dressirt, beachtete sie nicht, nahm
sie nicht für vollwertig.
Und da sie im Grunde
nur Varianten alter Vor-
bilder waren, hatte es ein
gewisses Recht dazu, ob-
gleich die Bilder und
Skulpturen meist nichts
Besseres waren.

Indessen entwickelte
sich die Malerei aus der
Periode der Nachahmung
alter Meister zur selbstän-
digen Beobachtung der
Natur, zur korrekten, streng
naturwahren Darstellung
des Wirklichen, um dann
erschöpft von der uner-
quicklichen Freudlosigkeit

ihres naturalistischen
Schaffens den Weg zu
einer neuen grossen und
freien Auffassung, zu einer
Phantasiekunst zu finden.
Diese neue Phantasiekunst
der Modernen basirte aber
auf der Farbe. Und je
mehr sie den Reizen der
farbigen Eindrücke nach-
ging, um so deutlicher
entwickelte sich als Kern-
punkt modernen Kunst-
schaffens das Dekorative,
die Stimmung, die leise
aber bewegende Sprache
der Farbe. Verlangt aber
der Künstler von seiner
Skulptur oder seinem Ge-
mälde im wesentlichen
einen dekorativen Reiz,
so wird er sich nicht ängst-
lich an das binden, was
einst als die hohe Kunst
gepriesen wurde.

Es bleibt gleichgültig,
ob er Stimmungszauber
durch ein intimes Land-
schaftsbild, durch ein far-

Entwurf zu einem gemalten Glasfenster von Melchior Lechter, Berlin.

biges Glas oder einen fein abgetönten Teppich erzielt.
Ja, vielleicht wird es ihm klar, dass das Tafelbild, um im
alten Stile zu reden, ein recht beschränktes und in den
Darstellungsmitteln hemmendes Objekt für den Aus-
druck seiner zartesten dekorativen Impressionen ist.
Kann denn überhaupt das Tafelbild in der Form, wie
es bisher die Wände der Zimmer schmückte, dem ver-
feinerten Geschmacke genügen? Muss nicht derjenige,

der eine Wand mit ver-
schiedenen starrund recht-
eckig umschlossenen deko-
rativen Farbenflecken be-
hängt, muss er nicht zu
der Erkenntnis kommen,
dass der Gesamteindruck
einer solchen Wand im
Grunde genommen höchst
unerfreulich ist, dass nur
noch die Nummern und
Namensschilder auf den
Bilderrahmen fehlen, um
jene unerquickliche Er-
innerung wach zu rufen,
die auf jeden Empfind-
lichen die Wände von
Kunstausstellungen und
Bildergalerien ausüben,
und die selbst durch spar-
same Einfügung einer
Bronze oder Vase nicht
wesentlich verringert wird.
Wer diesem Gedan-
kenwege sich anschliesst,
wird dahin gelangen, den
Erwerb von Bildern, den
man bisher als den höchs-
ten Ausdruck verständnis-
voller Kunstpflege betrach-
tete, auf das äusserste zu
beschränken. Er wird Um-
schau halten nach Dingen,
die den gleichen Erfolg
oder vielmehr eine zartere
und mehr dekorative Stim-
mung verbürgen und doch
vielseitiger verwendbar,
mannigfaltiger in ihrer
Grundform, weniger auf-
dringlich in ihrem Effekte
erscheinen als so ein Ölge-
mälde gemeinhin zu sein
pflegt. Je mehr man also
dahin strebt, die Innen-
räume nicht stilvoll und stil-
echt, sondern stimmungs-
 
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