68
KUNST UND KUNSTGEWERBE
Kunstausstellungen, die sich doch bisher. energisch
gegen diese Zumutung wehrten, und höchstens not-
gedrungen ein paar Regattapreise und dergleichen oft
sehr zweifelhafte Kunstwerke »der Abwechslung halber"
zuliessen. In den Pariser Salons nimmt es ja seit
Jahren seinen Platz ein, in den Champs Elysees aller-
dings nur in beschränktem Umfange, umfassender auf
dem Marsfeld. In der Londoner Royal-Academy-Ex-
hibition, in der ein prüder, fader Altweibergeschmack
über die Zulassung von Kunstwerken entscheidet, war
natürlich das moderne Kunstgewerbe, wie von jeher,
ausgeschlossen, das nur in der New-Galery volle Pa-
rität erlangt hat, und in diesen kleinen, aber vor-
nehmen Räumen auch zur Geltung kommt.
Brüssel hatte zwar seiner sogenannten Weltaus-
stellung eine Kunstausstellung angegliedert. Aber
ausser den Belgiern und allenfalls den Franzosen hat
niemand sie sonderlich beschickt, und ihrem mumien-
haften Charakter entsprechend hatte sie auch dem
neuen Kunstgewerbe keinen Platz gewährt. Man
musste die einzelnen Erzeugnisse desselben in den
Industriesälen aufsuchen. Zur vollen Geltung kam
es in der Kolonialausstellung, die vom Hauptausstel-
lungsterrain völlig abgetrennt und daher von vielen
nicht beachtet war, wo aber van de Velde, Serrurier,
Hankar u. a. energische Versuche gemacht hatten, die
sonst so trostlosen Hüllen der Ausstellung zu künst-
lerisch reizvollen Wesen umzugestalten.
Vor allem hat man im letzten Sommer in Dresden,
wo überhaupt viel zielbewusster als im übrigen Deutsch-
land (Hamburg ausgenommen) die Gesundung unseres
modernsten Kunstgewerbes angestrebt wird, diesem
gebührende Achtung geschenkt. Allerdings scheint
es, dass man hier den deutschen Leistungen noch
nicht genügend vertraute. Man zog es vor, einige
Zimmer von Bing, dem Begründer der l'art nouveau,
zu beziehen. Man hatte dadurch den Vorteil, auf das
grosse Publikum erziehlich zu wirken, ihm ein ein-
heitliches und den Neuling überzeugenderes Bild der
neuen Richtung zu liefern. Der Erfolg hat in dieser
Hinsicht den Veranstaltern recht gegeben. Noch einige
solcher Versuche, und man wird das Auge der Be-
sucher gewöhnt haben an das, was die Moderne er-
strebt, an ein vom alten Vorbilde freies, eigene Ge-
danken und Empfindungen verkörperndes Kunstge-.
werbe. Das wird dann kühn jene höchste Kunst,
jenen Gipfel der Malerei anstreben dürfen, jene dis-
krete, zarte Sinnenreizung durch exquisite Form und
Farbe, die dem verfeinerten Geschmack unendlich
mehr Reiz gewährt, als die mit historischen, poetischen
und zum Teil sexuell sinnlichen Effekten arbeitende
Kunst der Bilderfabrikanten, die mit nackten Nymphen,
patriotischen Spektakelstücken und Reiseerinnerungen
an Rom und Kairo ihr Publikum anlocken und leider
oft um so erfolgreicher, je weniger Kunst, je plattere
Realität sie bieten. Man vergleiche Allers und Ge-
nossen.
Wie lange wird es noch dauern, bis ein deko-
ratives Kunstgewerbe erzogen ist, das jene volle Ein-
heit zwischen Kunst und Kunstgewerbe erzielt, jenen
im Beginn unseres Jahrhunderts erfolgten Bruch heilt?
Wie lange wird es noch dauern, bis so die Kunst wieder
zu ihrem ursprünglichsten Zwecke, zur schmückenden
Verschönerung aller Objekte, zur künstlerischen Ver-
edelung auch der einfachsten Gebrauchsgegenstände
vordringt, zu jener Reife gelangt, die Japan längst
erreichte und heute, von uns aufgestört, verloren hat?
Dann werden Scharen junger Künstler, die sich
heute fruchtlos mühen, das allein seligmachende
Ausstellungsbild zu fabriziren, sich den einfacheren
dekorativen Aufgaben zuwenden. Ich kenne so man-
chen Künstler, der einen ausserordentlichen Geschmack,
ein ungeheuer sensibles Empfinden besitzt, und der
nur darum nicht zur Geltung kommt, weil dieser ver-
feinerte Geschmack, der in kleinen Skizzen und deko-
rativen Stücken sich reizend offenbart, unter dem
Zwange, ein seinem Talente und seinem Können nicht
entsprechendes Ausstellungsbild zu liefern, zu Grunde
geht. -
Ihnen schafft das moderne, rein dekorative Kunst-
gewerbe freie Bahn. Es befruchtet so auch das un-
mittelbare Gebrauchsobjekte schaffende Gewerbe, und
es wird der Tag kommen, da in der Berliner Kunst-
ausstellung im Ehrensaale, der sonst nur patriotischer
Gefühlserregung ohne Rücksicht auf Kunstwert reser-
virt bleibt, ein einfacher gedrehter Messingleuchter in
der Mitte des Saales auf hohem Podium steht, und
mit der grossen goldenen Medaille geschmückt wird.
Dann ist Kunst und Kunstgewerbe wieder eins und
unteilbar geworden. MAX SCHMID.
jVignette, gezeichnet von Maler A. Wimmer, Leipzig.
KUNST UND KUNSTGEWERBE
Kunstausstellungen, die sich doch bisher. energisch
gegen diese Zumutung wehrten, und höchstens not-
gedrungen ein paar Regattapreise und dergleichen oft
sehr zweifelhafte Kunstwerke »der Abwechslung halber"
zuliessen. In den Pariser Salons nimmt es ja seit
Jahren seinen Platz ein, in den Champs Elysees aller-
dings nur in beschränktem Umfange, umfassender auf
dem Marsfeld. In der Londoner Royal-Academy-Ex-
hibition, in der ein prüder, fader Altweibergeschmack
über die Zulassung von Kunstwerken entscheidet, war
natürlich das moderne Kunstgewerbe, wie von jeher,
ausgeschlossen, das nur in der New-Galery volle Pa-
rität erlangt hat, und in diesen kleinen, aber vor-
nehmen Räumen auch zur Geltung kommt.
Brüssel hatte zwar seiner sogenannten Weltaus-
stellung eine Kunstausstellung angegliedert. Aber
ausser den Belgiern und allenfalls den Franzosen hat
niemand sie sonderlich beschickt, und ihrem mumien-
haften Charakter entsprechend hatte sie auch dem
neuen Kunstgewerbe keinen Platz gewährt. Man
musste die einzelnen Erzeugnisse desselben in den
Industriesälen aufsuchen. Zur vollen Geltung kam
es in der Kolonialausstellung, die vom Hauptausstel-
lungsterrain völlig abgetrennt und daher von vielen
nicht beachtet war, wo aber van de Velde, Serrurier,
Hankar u. a. energische Versuche gemacht hatten, die
sonst so trostlosen Hüllen der Ausstellung zu künst-
lerisch reizvollen Wesen umzugestalten.
Vor allem hat man im letzten Sommer in Dresden,
wo überhaupt viel zielbewusster als im übrigen Deutsch-
land (Hamburg ausgenommen) die Gesundung unseres
modernsten Kunstgewerbes angestrebt wird, diesem
gebührende Achtung geschenkt. Allerdings scheint
es, dass man hier den deutschen Leistungen noch
nicht genügend vertraute. Man zog es vor, einige
Zimmer von Bing, dem Begründer der l'art nouveau,
zu beziehen. Man hatte dadurch den Vorteil, auf das
grosse Publikum erziehlich zu wirken, ihm ein ein-
heitliches und den Neuling überzeugenderes Bild der
neuen Richtung zu liefern. Der Erfolg hat in dieser
Hinsicht den Veranstaltern recht gegeben. Noch einige
solcher Versuche, und man wird das Auge der Be-
sucher gewöhnt haben an das, was die Moderne er-
strebt, an ein vom alten Vorbilde freies, eigene Ge-
danken und Empfindungen verkörperndes Kunstge-.
werbe. Das wird dann kühn jene höchste Kunst,
jenen Gipfel der Malerei anstreben dürfen, jene dis-
krete, zarte Sinnenreizung durch exquisite Form und
Farbe, die dem verfeinerten Geschmack unendlich
mehr Reiz gewährt, als die mit historischen, poetischen
und zum Teil sexuell sinnlichen Effekten arbeitende
Kunst der Bilderfabrikanten, die mit nackten Nymphen,
patriotischen Spektakelstücken und Reiseerinnerungen
an Rom und Kairo ihr Publikum anlocken und leider
oft um so erfolgreicher, je weniger Kunst, je plattere
Realität sie bieten. Man vergleiche Allers und Ge-
nossen.
Wie lange wird es noch dauern, bis ein deko-
ratives Kunstgewerbe erzogen ist, das jene volle Ein-
heit zwischen Kunst und Kunstgewerbe erzielt, jenen
im Beginn unseres Jahrhunderts erfolgten Bruch heilt?
Wie lange wird es noch dauern, bis so die Kunst wieder
zu ihrem ursprünglichsten Zwecke, zur schmückenden
Verschönerung aller Objekte, zur künstlerischen Ver-
edelung auch der einfachsten Gebrauchsgegenstände
vordringt, zu jener Reife gelangt, die Japan längst
erreichte und heute, von uns aufgestört, verloren hat?
Dann werden Scharen junger Künstler, die sich
heute fruchtlos mühen, das allein seligmachende
Ausstellungsbild zu fabriziren, sich den einfacheren
dekorativen Aufgaben zuwenden. Ich kenne so man-
chen Künstler, der einen ausserordentlichen Geschmack,
ein ungeheuer sensibles Empfinden besitzt, und der
nur darum nicht zur Geltung kommt, weil dieser ver-
feinerte Geschmack, der in kleinen Skizzen und deko-
rativen Stücken sich reizend offenbart, unter dem
Zwange, ein seinem Talente und seinem Können nicht
entsprechendes Ausstellungsbild zu liefern, zu Grunde
geht. -
Ihnen schafft das moderne, rein dekorative Kunst-
gewerbe freie Bahn. Es befruchtet so auch das un-
mittelbare Gebrauchsobjekte schaffende Gewerbe, und
es wird der Tag kommen, da in der Berliner Kunst-
ausstellung im Ehrensaale, der sonst nur patriotischer
Gefühlserregung ohne Rücksicht auf Kunstwert reser-
virt bleibt, ein einfacher gedrehter Messingleuchter in
der Mitte des Saales auf hohem Podium steht, und
mit der grossen goldenen Medaille geschmückt wird.
Dann ist Kunst und Kunstgewerbe wieder eins und
unteilbar geworden. MAX SCHMID.
jVignette, gezeichnet von Maler A. Wimmer, Leipzig.