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„NEUE« KUNST IN BERLIN
Getriebener Kupferkessel, entworfen von O. Eckmann, Berlin, ausgeführt von J. Zimmer-
mann & Co., München. Gesetzlich geschützt.
Hause eines florentinischen Edelmannes beisammen.
Er hiess Tommaso dei Pecori, ein ehrenwerter und
wohlhabender Mann, der die Geselligkeit liebte. Nach-
dem man gespeist und am Feuer sitzend über man-
cherlei geredet hatte, sprach einer: „Was soll das
nun heissen, dass Manetto Ammanatini heute Abend
nicht hat kommen wollen und sich nicht bewegen
Hess, trotzdem wir alle ihn gebeten haben?" Besag-
ter Manetto war ein Holzschnitzer; er hatte seine Werk-
statt und seinen Laden auf dem Kirchplatz San Giovanni
und galt als vorzüglicher Meister in der Anfertigung
von zierlichen Geräten für die Schmucktische der
Frauen und jeglicher Art eingelegter Holzarbeiten;
er war ein liebenswürdiger Mensch von 28 Jahren,
gutmütig und gefällig. Da er wohlbeleibt und gross
war, so nannte man ihn „den Dicken«; er hatte sich
immer zu der oben genannten Gesellschaft gehalten,
die vergnüglichen Sinnes war und sich ziemlich regel-
mässig zusammenfand."
Um so mehr empfand man, dass Manetto nicht
kommen wollte, man betrachtete es als eine Beleidi-
gung für den ganzen Kreis und beschloss, sich da-
durch zu rächen, dass man ihm einen Possen spielte.
Filippo di ser Brunellesco, der berühmte Erbauer
der Domkuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz,
war der Rädelsführer und er schlug vor: „ . . . wir
müssten ihn glauben machen, dass er verwandelt
worden und dass er nicht mehr der Dicke selbst,
sondern eine andere Person geworden sei." Das
wird nun mit der raffinirtesten
Kunst und mit schönstem Er-
folge durchgeführt. Alle Freunde
und selbst Gerichtsbeamte werden
in den Streich eingeweiht, aber
Lessing meint doch: „Am meisten
verwunderlich erscheint uns die
Willfährigkeit der Gerichtsbeam-
ten, auf den Scherz einzugehen; ja
mitzuhelfen, aber diese Männer
waren gute Freunde der beteilig-
ten jungen Herren . . . .«
Als ich diese lustige Geschichte,
die damit endet, dass der gute dicke
Manetto Florenz verlässt und nach
Ungarn zieht, wo er nach wenigen
Jahren'ein für seinen Stand reicher
Mann wird, mit grossem Ver-
gnügen gelesen hatte, musste ich
unwillkürlich an die Ausstellung
denken, welche im Dezember des
vergangenen Jahres und zu An-
fang des neuen im Lichthofe des
Königlichen Kunstgewerbe- Mu-
seums in Berlin veranstaltet war
und welche in gesonderten Grup.
pen Arbeiten jener Lehrkräfte der mit dem Museum
verbundenen Unterrichtsanstalt vorführte, welche in
der letzten Zeit dieser Anstalt verpflichtet wurden.
Otto Rohloff, der Lehrer für die Klasse der Me-
tallarbeiter, hatte Schmuckgeräte und Ehrenpreise des
Kaisers ausgestellt, welche sich in Form und Aus-
führung, namentlich in der Ciselirung, durch jene
straffe und schlichte Sprache auszeichneten, welche
den Eigenschaften des Materials gerecht wird und
welche wir schon seit längerer Zeit an den Arbeiten
des Künstlers zu sehen gewohnt sind. Bernhard
Schaede gab ein Bild seiner künstlerischen Thätigkeit
durch seine zum Teil mit Auszeichnungen bedachten
Entwürfe für ein Völkerschlacht-Denkmal in Leipzig
und für ein Kaiser Wilhelm-Denkmal der Rhein-
provinz. Daneben waren es eine grosse Anzahl land-
schaftlicher Aquarelle von der Ostseeküste Mecklen-
burgs und von der Insel Bornholm, welche durch
künstlerische Auffassung und meisterhafte Beherr-
schung der Technik die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise erregten. Max Seliger, der Lehrer der Mal-
klasse der Unterrichtsanstalt, ein aus der dekorativen
Malerei hervorgegangener feinsinniger Künstler, gab
durch Studien in der freien Landschaft, durch figür-
liche Aktstudien, durch grosse Entwürfe für dekora-
tive Malereien, Glasfenster, musivische Kunst und
Stickereien, für Buchausstattung und für festliche Ge-
legenheiten ein umfassendes Bild seines künstlerischen
Glaubensbekenntnisses. Seine Entwürfe für Stickereien
„NEUE« KUNST IN BERLIN
Getriebener Kupferkessel, entworfen von O. Eckmann, Berlin, ausgeführt von J. Zimmer-
mann & Co., München. Gesetzlich geschützt.
Hause eines florentinischen Edelmannes beisammen.
Er hiess Tommaso dei Pecori, ein ehrenwerter und
wohlhabender Mann, der die Geselligkeit liebte. Nach-
dem man gespeist und am Feuer sitzend über man-
cherlei geredet hatte, sprach einer: „Was soll das
nun heissen, dass Manetto Ammanatini heute Abend
nicht hat kommen wollen und sich nicht bewegen
Hess, trotzdem wir alle ihn gebeten haben?" Besag-
ter Manetto war ein Holzschnitzer; er hatte seine Werk-
statt und seinen Laden auf dem Kirchplatz San Giovanni
und galt als vorzüglicher Meister in der Anfertigung
von zierlichen Geräten für die Schmucktische der
Frauen und jeglicher Art eingelegter Holzarbeiten;
er war ein liebenswürdiger Mensch von 28 Jahren,
gutmütig und gefällig. Da er wohlbeleibt und gross
war, so nannte man ihn „den Dicken«; er hatte sich
immer zu der oben genannten Gesellschaft gehalten,
die vergnüglichen Sinnes war und sich ziemlich regel-
mässig zusammenfand."
Um so mehr empfand man, dass Manetto nicht
kommen wollte, man betrachtete es als eine Beleidi-
gung für den ganzen Kreis und beschloss, sich da-
durch zu rächen, dass man ihm einen Possen spielte.
Filippo di ser Brunellesco, der berühmte Erbauer
der Domkuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz,
war der Rädelsführer und er schlug vor: „ . . . wir
müssten ihn glauben machen, dass er verwandelt
worden und dass er nicht mehr der Dicke selbst,
sondern eine andere Person geworden sei." Das
wird nun mit der raffinirtesten
Kunst und mit schönstem Er-
folge durchgeführt. Alle Freunde
und selbst Gerichtsbeamte werden
in den Streich eingeweiht, aber
Lessing meint doch: „Am meisten
verwunderlich erscheint uns die
Willfährigkeit der Gerichtsbeam-
ten, auf den Scherz einzugehen; ja
mitzuhelfen, aber diese Männer
waren gute Freunde der beteilig-
ten jungen Herren . . . .«
Als ich diese lustige Geschichte,
die damit endet, dass der gute dicke
Manetto Florenz verlässt und nach
Ungarn zieht, wo er nach wenigen
Jahren'ein für seinen Stand reicher
Mann wird, mit grossem Ver-
gnügen gelesen hatte, musste ich
unwillkürlich an die Ausstellung
denken, welche im Dezember des
vergangenen Jahres und zu An-
fang des neuen im Lichthofe des
Königlichen Kunstgewerbe- Mu-
seums in Berlin veranstaltet war
und welche in gesonderten Grup.
pen Arbeiten jener Lehrkräfte der mit dem Museum
verbundenen Unterrichtsanstalt vorführte, welche in
der letzten Zeit dieser Anstalt verpflichtet wurden.
Otto Rohloff, der Lehrer für die Klasse der Me-
tallarbeiter, hatte Schmuckgeräte und Ehrenpreise des
Kaisers ausgestellt, welche sich in Form und Aus-
führung, namentlich in der Ciselirung, durch jene
straffe und schlichte Sprache auszeichneten, welche
den Eigenschaften des Materials gerecht wird und
welche wir schon seit längerer Zeit an den Arbeiten
des Künstlers zu sehen gewohnt sind. Bernhard
Schaede gab ein Bild seiner künstlerischen Thätigkeit
durch seine zum Teil mit Auszeichnungen bedachten
Entwürfe für ein Völkerschlacht-Denkmal in Leipzig
und für ein Kaiser Wilhelm-Denkmal der Rhein-
provinz. Daneben waren es eine grosse Anzahl land-
schaftlicher Aquarelle von der Ostseeküste Mecklen-
burgs und von der Insel Bornholm, welche durch
künstlerische Auffassung und meisterhafte Beherr-
schung der Technik die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise erregten. Max Seliger, der Lehrer der Mal-
klasse der Unterrichtsanstalt, ein aus der dekorativen
Malerei hervorgegangener feinsinniger Künstler, gab
durch Studien in der freien Landschaft, durch figür-
liche Aktstudien, durch grosse Entwürfe für dekora-
tive Malereien, Glasfenster, musivische Kunst und
Stickereien, für Buchausstattung und für festliche Ge-
legenheiten ein umfassendes Bild seines künstlerischen
Glaubensbekenntnisses. Seine Entwürfe für Stickereien