EINFALL UND AUSFÜHRUNG
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andern überlassen, ist also das Heil nicht zu erwarten,
auch selbst dann nicht, wenn sie über den zeichne-
rischen Entwurf hinausgehen und zum Modellirholz
greifen. Auch da werden Böcke der schönsten Art
geschossen. Ein plastisches Modell hilft durchaus
nicht überall zum rechten, wo es sich um Plastik in
anderer Art handelt. Was getrieben, geschmiedet, ge-
schnitten wird, bekommt eine durchaus andere Phy-
siognomie als was in Wachs oder Plastilin modellirt
wird. Modelle letzterer Art eignen sich ausschliesslich
für den Guss. Die Materie bedingt den Stil, nicht
das Modell. Thon, Wachs, Plastilin geben vermöge
ihrer specifischen Eigenschaften ganz andere Wirkung
als geschnitztes Holz, getriebenes Kupfer, geschmiedetes
Eisen. Hier liegt der Witz in der Handhabung des
Werkzeuges. Dies zu kennen wäre in solchem Falle
nötig. Es lernt sich aber nur in der Werkstätte, nicht
im Atelier.
Lebenskräftig wird das Gestalten neuer Formen
erst dann werden, wenn der Arbeiter sich mit ihnen
vertraut gemacht hat. Jetzt sind Schnitzer, Schlosser,
Lederarbeiter, Goldschmiede u. s. w. eingeschossen
auf »Gotik", auf »Altdeutsches", auf »Barock" und
»Rokoko", die geschicktesten vielleicht auf feinere Spiel-
arten dieser »Stile". Einen bloss leidlich missver-
standenen Akanthus bringt jeder Schnitzer zu stände,
Delphine, Maskerons, Festons und wie das ganze
Rüstzeug der landläufigen Ornamentik heisst, sind den
Leuten geläufig wie Gassenhauer. Handelt es sich
aber darum, eine andere, aus der Natur abgeleitete
Form in ihrer konstruktiven Gesetzmässigkeit ebenso
wie in ihrer künstlerischen Erscheinung zum richtigen
Ausdrucke zu bringen, so giebt es Schwierigkeiten
über Schwierigkeiten. Der Grundsatz, dass jede orna-
mentale Erscheinung eine gewisse Entwicklungslogik
besitzen müsse, ist den weitaus meisten völlig unbe-
kannt. Am richtigsten durchschnittllich verfährt der
bäuerliche Ornamentist in jenen Gegenden, wo eine
Volkskunst sich erhalten hat. Dies zeigte
zur Genüge die slavische Ausstellung in
Prag, die ungarische in Budapest. Solche
Volkskünstler lehnen sich in den meisten
Fällen an natürliche Vorbilder an und
haben darin ein instinktives Gefühl, das
Rechte zu treffen. Zeigt nicht der Ge-
birgsbauer in seinen Holzbauten durch-
schnittlich weit mehr Anpassungsvermögen
als der Städter, der sich an die Gebirgs-
halde eine pompöse Villa in italienischer
oder französischer Renaissance bauen lässt?
Der Städter bindet sich beim Sonntags-
spaziergang die Blumen aus Feld und Wald
zum Strausse. Etwas daran zu lernen, fällt
ihm ja gar nicht ein. Jene Künstler aber,
die sich monatelang hinaussetzen, um ihre
Kunstgewerbeblatt. N. F. IX. H. 6.
Studien direkt an natürlichen Vorbildern zu machen
und so aus unmittelbarer Beeinflussung etwas Eigen-
artiges abzuleiten, sind, bei uns wenigstens, an den
Fingern herzuzählen. Wie viele ahmen das Beispiel
eines Galland, Grasset, eines Seder, Meurer nach?
Man hat ja das Studio und seine Sippe. Daraus
lässt sich zur Genüge schöpfen. Dass auf diese Weise
lediglich ein neuer Formenkatechismus an die Stelle
des alten gesetzt wird, ist ganz sicher, und das nennt
man dann »moderne Kunst". Um wie viel uns darin
die Engländer voraus sind, bewies die retrospektive
Ausstellung im South-Kensington-Museum im Jahre
1896. Dabei griff diese retrospektive Ausstellung
durchaus nicht etwa weit zurück: ZweiDecennien! Aber
welche Fülle von Beobachtung und Können offenbarte
sich da! Freilich mag dabei in Betracht gezogen
werden, dass die englischen Unterrichtsanstalten, welche
die praktische Ausbildung ihrer Schüler bezwecken,
im Jahre 1895 die Ziffer von 136768 Besuchern auf-
wiesen. Die Bewegung vollzog sich dort nicht sozu-
sagen über Nacht, wie neuerlich in Deutschland, wo
der Ausdruck des „Modernen" gar oft weit mehr in
Absonderlichkeiten als in logisch Erdachtem gesucht
wird. Er vollzog sich ferner durchweg an der Hand
praktischer Arbeit auf allen Gebieten der künstlerischen
Technik und hat deshalb so ausgiebig Fuss gefasst.
Wir werden in Deutschland ein Gleiches nur auf dem
gleichen Wege erreichen, niemals aber durch ein förm-
liches Sturmlaufen mit dem Feldgeschrei »wir wollen
einen neuen Stil und wir machen ihn". Einfälle be-
leben eine Bewegung, aber sie geben ihr noch keine
Basis. Eine solche wird nur durch lange, gleichmässig
ernste Arbeit geschaffen. Fehlt diese, dann bekommt
das Ganze lediglich den Anstrich einer Laune, die heute
so und morgen anders sich gebärdet. Das schlagendste
Analogon ist vielleicht die deutsche Armee. Ist ihr
festes Gefüge, ihre eiserne Konstitution über Nacht
geschaffen worden? Nur mit einer gleichen Armee
gefässe von Prof. M. Läuqer, Karlsruhe. (Gesetzlich geschützt.)
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andern überlassen, ist also das Heil nicht zu erwarten,
auch selbst dann nicht, wenn sie über den zeichne-
rischen Entwurf hinausgehen und zum Modellirholz
greifen. Auch da werden Böcke der schönsten Art
geschossen. Ein plastisches Modell hilft durchaus
nicht überall zum rechten, wo es sich um Plastik in
anderer Art handelt. Was getrieben, geschmiedet, ge-
schnitten wird, bekommt eine durchaus andere Phy-
siognomie als was in Wachs oder Plastilin modellirt
wird. Modelle letzterer Art eignen sich ausschliesslich
für den Guss. Die Materie bedingt den Stil, nicht
das Modell. Thon, Wachs, Plastilin geben vermöge
ihrer specifischen Eigenschaften ganz andere Wirkung
als geschnitztes Holz, getriebenes Kupfer, geschmiedetes
Eisen. Hier liegt der Witz in der Handhabung des
Werkzeuges. Dies zu kennen wäre in solchem Falle
nötig. Es lernt sich aber nur in der Werkstätte, nicht
im Atelier.
Lebenskräftig wird das Gestalten neuer Formen
erst dann werden, wenn der Arbeiter sich mit ihnen
vertraut gemacht hat. Jetzt sind Schnitzer, Schlosser,
Lederarbeiter, Goldschmiede u. s. w. eingeschossen
auf »Gotik", auf »Altdeutsches", auf »Barock" und
»Rokoko", die geschicktesten vielleicht auf feinere Spiel-
arten dieser »Stile". Einen bloss leidlich missver-
standenen Akanthus bringt jeder Schnitzer zu stände,
Delphine, Maskerons, Festons und wie das ganze
Rüstzeug der landläufigen Ornamentik heisst, sind den
Leuten geläufig wie Gassenhauer. Handelt es sich
aber darum, eine andere, aus der Natur abgeleitete
Form in ihrer konstruktiven Gesetzmässigkeit ebenso
wie in ihrer künstlerischen Erscheinung zum richtigen
Ausdrucke zu bringen, so giebt es Schwierigkeiten
über Schwierigkeiten. Der Grundsatz, dass jede orna-
mentale Erscheinung eine gewisse Entwicklungslogik
besitzen müsse, ist den weitaus meisten völlig unbe-
kannt. Am richtigsten durchschnittllich verfährt der
bäuerliche Ornamentist in jenen Gegenden, wo eine
Volkskunst sich erhalten hat. Dies zeigte
zur Genüge die slavische Ausstellung in
Prag, die ungarische in Budapest. Solche
Volkskünstler lehnen sich in den meisten
Fällen an natürliche Vorbilder an und
haben darin ein instinktives Gefühl, das
Rechte zu treffen. Zeigt nicht der Ge-
birgsbauer in seinen Holzbauten durch-
schnittlich weit mehr Anpassungsvermögen
als der Städter, der sich an die Gebirgs-
halde eine pompöse Villa in italienischer
oder französischer Renaissance bauen lässt?
Der Städter bindet sich beim Sonntags-
spaziergang die Blumen aus Feld und Wald
zum Strausse. Etwas daran zu lernen, fällt
ihm ja gar nicht ein. Jene Künstler aber,
die sich monatelang hinaussetzen, um ihre
Kunstgewerbeblatt. N. F. IX. H. 6.
Studien direkt an natürlichen Vorbildern zu machen
und so aus unmittelbarer Beeinflussung etwas Eigen-
artiges abzuleiten, sind, bei uns wenigstens, an den
Fingern herzuzählen. Wie viele ahmen das Beispiel
eines Galland, Grasset, eines Seder, Meurer nach?
Man hat ja das Studio und seine Sippe. Daraus
lässt sich zur Genüge schöpfen. Dass auf diese Weise
lediglich ein neuer Formenkatechismus an die Stelle
des alten gesetzt wird, ist ganz sicher, und das nennt
man dann »moderne Kunst". Um wie viel uns darin
die Engländer voraus sind, bewies die retrospektive
Ausstellung im South-Kensington-Museum im Jahre
1896. Dabei griff diese retrospektive Ausstellung
durchaus nicht etwa weit zurück: ZweiDecennien! Aber
welche Fülle von Beobachtung und Können offenbarte
sich da! Freilich mag dabei in Betracht gezogen
werden, dass die englischen Unterrichtsanstalten, welche
die praktische Ausbildung ihrer Schüler bezwecken,
im Jahre 1895 die Ziffer von 136768 Besuchern auf-
wiesen. Die Bewegung vollzog sich dort nicht sozu-
sagen über Nacht, wie neuerlich in Deutschland, wo
der Ausdruck des „Modernen" gar oft weit mehr in
Absonderlichkeiten als in logisch Erdachtem gesucht
wird. Er vollzog sich ferner durchweg an der Hand
praktischer Arbeit auf allen Gebieten der künstlerischen
Technik und hat deshalb so ausgiebig Fuss gefasst.
Wir werden in Deutschland ein Gleiches nur auf dem
gleichen Wege erreichen, niemals aber durch ein förm-
liches Sturmlaufen mit dem Feldgeschrei »wir wollen
einen neuen Stil und wir machen ihn". Einfälle be-
leben eine Bewegung, aber sie geben ihr noch keine
Basis. Eine solche wird nur durch lange, gleichmässig
ernste Arbeit geschaffen. Fehlt diese, dann bekommt
das Ganze lediglich den Anstrich einer Laune, die heute
so und morgen anders sich gebärdet. Das schlagendste
Analogon ist vielleicht die deutsche Armee. Ist ihr
festes Gefüge, ihre eiserne Konstitution über Nacht
geschaffen worden? Nur mit einer gleichen Armee
gefässe von Prof. M. Läuqer, Karlsruhe. (Gesetzlich geschützt.)
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