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DIE NADELKÜNSTE UND DAS KUNSTGEWERBE
entlasten zu wollen. Aber auch hier ist es, wie
in dem Schriftchen „Die technischen Fächer« von
Vietor (Wiesbaden, Vietorsche Buchhandlung)
nachgewiesen wurde, sehr wohl möglich, die
Grundbegriffe der Flächenhaftigkeit, der Umrah-
mung oder Centralisation, der Symmetrie und des
Richtungsgedankens (reihen, binden, oben, unten,
iegen, hängen u. s. w.) zu entwickeln, ohne den
praktischen Gang des Unterrichtes zu unter-
brechen. Viel mehr noch und viel eindringlicher
muss diese Forderung an die höheren Mädchen-
schulen gestellt werden. Vor allem ist der Be-
griff ,;Nadelkunst" wieder zu Ehren zu bringen;
die Schule muss dahin zu wirken suchen, dass
die dilettantische Pinselkunst zum besten der
Stickerei einige Einschränkungen erfährt. Es ist
sehr überflüssig, in Mädchenschulen gesonderten
Kunstgeschichtsunterricht zu erteilen. Dies kann
sehr wohl im Anschluss an Geographie und
Weltgeschichte erfolgen. Auch eine gesonderte
Unterrichtsstunde für Stillehre ist entbehrlich.
Nur darf der Zeichen- und Handarbeitsunterricht
•nicht länger rein mechanisch bleiben.
Zur Not würden für die höhere Mädchen-
schule die obengenannten Grundbegriffe aus-
reichen. Wünschenswert wäre der Versuch, den
Begriff einzubürgern, dass „Stil" aus Zweck, Stoff
und Werkzeug hervorgeht, dass historischer Stil
nur als Formensprache aufzufassen ist u. dgl. m.
Einige Kenntnis dieser historischen Formen
könnte angeschlossen werden. Unbedingt nötig
ist der Versuch, den Handarbeitslehrerinnen Be-
geisterung für die künstlerische Seite ihres Be-
rufes beizubringen und eine bestimmte theoretische
Sicherheit, die während ihrer Ausbildung durch
Anschauungsunterricht in den Museen zu be-
gründen wäre. —■ Von berufener Seite wird gel-
tend gemacht, den Handarbeitslehrerinnen fehle
dazu die nötige Allgemeinbildung. Dieser Ein-
wand hält aber nur Stich, wenn der Unterricht
abstrakt, in wenig fassbarer Form und ohne Vor-
zeigung von Beispielen erteilt wird. Die Erfolge
der Münchener Frauenarbeitsschule, wo der prak-
tische Unterricht von einfachen theoretischen Er-
klärungen begleitet wird, beweisen, dass eine
hohe wissenschaftliche Bildung keineswegs er-
forderlich ist, um das Nachdenken über die Be-
dingungen zu wecken, unter denen etwas Schönes
zu stände kommen kann. Selbstverständlich darf
man nicht verlangen, dass mit einem Schlage alles
auf die höchste Entwicklungsstufe gehoben werden
soll. Es leuchtet trotzdem ein, dass Verbesserungen
wünschenswert und dringend nötig sind. Auf
einem andern als dem vorgeschlagenen Wege
wird man sie kaum erreichen. Es kann also nichts
Teil dei Umrahmung des Glasfensters von Glasmaler A. Lüthi (s. Abb. S. 141).
DIE NADELKÜNSTE UND DAS KUNSTGEWERBE
entlasten zu wollen. Aber auch hier ist es, wie
in dem Schriftchen „Die technischen Fächer« von
Vietor (Wiesbaden, Vietorsche Buchhandlung)
nachgewiesen wurde, sehr wohl möglich, die
Grundbegriffe der Flächenhaftigkeit, der Umrah-
mung oder Centralisation, der Symmetrie und des
Richtungsgedankens (reihen, binden, oben, unten,
iegen, hängen u. s. w.) zu entwickeln, ohne den
praktischen Gang des Unterrichtes zu unter-
brechen. Viel mehr noch und viel eindringlicher
muss diese Forderung an die höheren Mädchen-
schulen gestellt werden. Vor allem ist der Be-
griff ,;Nadelkunst" wieder zu Ehren zu bringen;
die Schule muss dahin zu wirken suchen, dass
die dilettantische Pinselkunst zum besten der
Stickerei einige Einschränkungen erfährt. Es ist
sehr überflüssig, in Mädchenschulen gesonderten
Kunstgeschichtsunterricht zu erteilen. Dies kann
sehr wohl im Anschluss an Geographie und
Weltgeschichte erfolgen. Auch eine gesonderte
Unterrichtsstunde für Stillehre ist entbehrlich.
Nur darf der Zeichen- und Handarbeitsunterricht
•nicht länger rein mechanisch bleiben.
Zur Not würden für die höhere Mädchen-
schule die obengenannten Grundbegriffe aus-
reichen. Wünschenswert wäre der Versuch, den
Begriff einzubürgern, dass „Stil" aus Zweck, Stoff
und Werkzeug hervorgeht, dass historischer Stil
nur als Formensprache aufzufassen ist u. dgl. m.
Einige Kenntnis dieser historischen Formen
könnte angeschlossen werden. Unbedingt nötig
ist der Versuch, den Handarbeitslehrerinnen Be-
geisterung für die künstlerische Seite ihres Be-
rufes beizubringen und eine bestimmte theoretische
Sicherheit, die während ihrer Ausbildung durch
Anschauungsunterricht in den Museen zu be-
gründen wäre. —■ Von berufener Seite wird gel-
tend gemacht, den Handarbeitslehrerinnen fehle
dazu die nötige Allgemeinbildung. Dieser Ein-
wand hält aber nur Stich, wenn der Unterricht
abstrakt, in wenig fassbarer Form und ohne Vor-
zeigung von Beispielen erteilt wird. Die Erfolge
der Münchener Frauenarbeitsschule, wo der prak-
tische Unterricht von einfachen theoretischen Er-
klärungen begleitet wird, beweisen, dass eine
hohe wissenschaftliche Bildung keineswegs er-
forderlich ist, um das Nachdenken über die Be-
dingungen zu wecken, unter denen etwas Schönes
zu stände kommen kann. Selbstverständlich darf
man nicht verlangen, dass mit einem Schlage alles
auf die höchste Entwicklungsstufe gehoben werden
soll. Es leuchtet trotzdem ein, dass Verbesserungen
wünschenswert und dringend nötig sind. Auf
einem andern als dem vorgeschlagenen Wege
wird man sie kaum erreichen. Es kann also nichts
Teil dei Umrahmung des Glasfensters von Glasmaler A. Lüthi (s. Abb. S. 141).