DIE REFLEXE DES ZEITCHARAKTERS IN DEN MÖBELFORMEN
203
Tintenfass und Tabakdose von Fran^ois R. Carabin, Paris.
und Bedürfnissen den Produzenten gegenüber. Einen
Stil im alten Sinne kann es daher gar nicht mehr
geben. Den wird es erst geben, wenn dieser Ge-
samtheit ein einheitliches Fühlen und Denken ein-
geimpft sein wird, wenn alle eine gleiche Erziehung,
eine verwandte sociale Position erreicht haben werden.
Ob das überhaupt möglich sein wird, das ist eine
offene Frage. So viel ist jedenfalls gewiss: heute
haben wir diese Vorbedingungen nicht und infolge-
dessen ist es Wahnsinn, einen einheitlichen Charakter
des Kunsthandwerkes zu verlangen. Wer aber den
künstlich züchten will, der ist wie ein Mann, der die
Blüten in einem Garten abreisst, die blauen, gelben
und roten, um an die Stengel lauter gleichgefärbte
Papierblüten zu binden.
Es ist einmal nicht anders: alles Kunsthandwerk
ist Emanation des Zeitcharakters. Erst wenn der
Zeitcharakter gemodelt ist, formen die Blüten, die
kunsthandwerklichen Leistungen sich entsprechend.
Mag man den Zeitcharakter für erfreulich oder
für unerfreulich halten, mag man versuchen, ihm ent-
gegenzuarbeiten oder an seiner Entwicklung zu ar-
beiten: über das Kunsthandwerk der Gegenwart sollte
man in keinem Falle — ebenso wenig wie über das
der Vergangenheit — subjektiv urteilen, sondern
man sollte versuchen, es aus seiner Zeit heraus
zu verstehen. Was der eigenen Zeit in ihrem tiefsten
Wesen am besten entspricht, das ist gut, mag es
einem gefallen oder nicht; was nicht in ihr wurzelt,
das ist schlecht und mag es hundertmal der besten
Leistung einer anderen Epoche nachgebildet sein.
Hat es den Anschein, als hätten wir die Möbel-
Ringe von Henry Nocq, Paris.
30*
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Tintenfass und Tabakdose von Fran^ois R. Carabin, Paris.
und Bedürfnissen den Produzenten gegenüber. Einen
Stil im alten Sinne kann es daher gar nicht mehr
geben. Den wird es erst geben, wenn dieser Ge-
samtheit ein einheitliches Fühlen und Denken ein-
geimpft sein wird, wenn alle eine gleiche Erziehung,
eine verwandte sociale Position erreicht haben werden.
Ob das überhaupt möglich sein wird, das ist eine
offene Frage. So viel ist jedenfalls gewiss: heute
haben wir diese Vorbedingungen nicht und infolge-
dessen ist es Wahnsinn, einen einheitlichen Charakter
des Kunsthandwerkes zu verlangen. Wer aber den
künstlich züchten will, der ist wie ein Mann, der die
Blüten in einem Garten abreisst, die blauen, gelben
und roten, um an die Stengel lauter gleichgefärbte
Papierblüten zu binden.
Es ist einmal nicht anders: alles Kunsthandwerk
ist Emanation des Zeitcharakters. Erst wenn der
Zeitcharakter gemodelt ist, formen die Blüten, die
kunsthandwerklichen Leistungen sich entsprechend.
Mag man den Zeitcharakter für erfreulich oder
für unerfreulich halten, mag man versuchen, ihm ent-
gegenzuarbeiten oder an seiner Entwicklung zu ar-
beiten: über das Kunsthandwerk der Gegenwart sollte
man in keinem Falle — ebenso wenig wie über das
der Vergangenheit — subjektiv urteilen, sondern
man sollte versuchen, es aus seiner Zeit heraus
zu verstehen. Was der eigenen Zeit in ihrem tiefsten
Wesen am besten entspricht, das ist gut, mag es
einem gefallen oder nicht; was nicht in ihr wurzelt,
das ist schlecht und mag es hundertmal der besten
Leistung einer anderen Epoche nachgebildet sein.
Hat es den Anschein, als hätten wir die Möbel-
Ringe von Henry Nocq, Paris.
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