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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 21.1910

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Muthesius, Hermann: Die Ausstellung für Kunsthandwerk und Kunstindustrie in Stockholm 1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.4873#0031

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DIE AUSSTELLUNG FÜR KUNSTHANDWERK
UND KUNSTINDUSTRIE IN STOCKHOLM 1909

Von Hermann Muthesius

NACHDEM die letzten zehn Jahre in Deutsch-
land eine Reihe von Kunstgewerbeausstellungen
gebracht haben, die Zeugnis ablegten von
dem gerade im Kunstgewerbe vorliegenden enormen
Aufschwünge unserer Zeit, war es von höchstem
Interesse, zu beobachten, wie nunmehr auch die
nordischen Länder ihre Kräfte sammeln, um in einer
umfassenden Vorführung von Erzeugnissen des Kunst-
handwerks und der Kunstindustrie den Stand dieses
wichtigen Betätigungsgebietes des Menschen zu illu-
strieren. Die allgemeine Anlage der Stockholmer Aus-
stellung ist überraschend wirkungsvoll. Die Gebäude-
züge sind in gefälliger Gruppierung angeordnet und
die allgemeine Silhouette der Gebäude bekundet das
große Geschick des Gestalters, des Architekten Boberg.
Hervorragend ist die Verbindung von offenen und
gedeckten Teilen und besonders eindrucksvoll wirkt
die Tieferlegung der großen Verkehrsstraße im mitt-
leren Hofe und des ganzen südöstlichen, mit Kolon-
naden umgebenen Hofes, der als Mittelpunkt eine
große Fontäne enthält. Seitlich des großen Durch-
ganges des Mittelhofes ist das Cafe erhöht angeordnet,
so daß sich von diesem ein angenehmer Blick auf
die unten verkehrende Menge ergibt. Aus dem süd-
östlichen Hofe kann man durch die offene Kolonnade
einen herrlichen Blick auf das sich anschließende
Meer genießen. Das Ufer selbst ist jedoch zweck-
entsprechenderweise zur Belustigung der Ausstellungs-
besucher mit Volksunterhaltungsanlagen (Cafes, Tanz-
plätzen usw.) ausgestattet. Die ganze Anlage ist dem
Terrain wundervoll angepaßt und trägt dabei auch
praktischen Rücksichten in bester Weise Rechnung.
Die auf den Ausstellungen üblichen Verkaufsläden sind
an einer besonderen Verkaufsstraße seitlich der Aus-
stellung angebracht, so daß sie deutlich als außer-
halb des Rahmens der Ausstellung stehend erkenn-
bar sind. d
□ Muß so der allgemeinen Anlage volle und unbe-
dingte Anerkennung gezollt werden, so befremdet
den deutschen Besucher die gewählte Architektur in-
sofern, als sie wie ein fremdes Kulturerzeugnis mitten
in eine anders geartete Umgebung gesetzt ist. Sie
erinnert an orientalische Städtebilder, und man müßte
des höchsten Lobes voll sein, wenn man sie nicht
im hohen europäischen Norden, sondern etwa in
Kleinasien oder Nordafrika, höchstens noch in Süd-
spanien vorgefunden hätte. Bei dem außerordent-
lichen Reichtum Schwedens an volkstümlichen Bau-
und Dekorationsmotiven würde es erfreulicher be-
rühren, wenn in der Gestaltung der Ausstellungsgebäude
von diesen Gebrauch gemacht worden und überhaupt
davon Abstand genommen wäre, in einer Ausstellung,
die ernsten und volkswirtschaftlich wichtigen Zwecken
dient, eine äußerlich spielende Maske anzuwenden.
So fällt es z. B. auch auf, daß die beiden großen
Amphoren des Mittelhofes, die in ihrer blauen Farbe
allerdings prächtig wirken, nicht keramische Stücke
sind, wofür sie der flüchtige Betrachter hält, sondern

Imitationen aus stucco lustro, die lediglich einem de-
korativen Zwecke dienen sollen. Eine solche Maß-
nahme muß aber gerade in einer Kunstgewerbeaus-
stellung bedenklich erscheinen. o
o Die in der Ausstellung vorgeführten Erzeugnisse
selbst weisen jene Mannigfaltigkeit auf, die bei Kunst-
gewerbeausstellungen üblich ist. Zum Unterschiede
von den zuletzt in Deutschland gesehenen Kunstge-
werbeausstellungen, die fast ausschließlich zu solchen
der Raumkunst geworden waren, spielt der Einzel-
gegenstand noch eine große Rolle. Die Entwicklung
hat in Schweden offenbar noch nicht denjenigen
Weg eingeschlagen, auf dem sich das deutsche Kunst-
gewerbe seit etwa zehn Jahren bewegt hat. a
a Man kann von einer Kunstgewerbeausstellung
zweierlei erwarten. Entweder soll sie eine Dokumen-
tation des besten künstlerischen Könnens sein, das
die Zeit aufzubringen imstande ist, oder sie soll der
geschäftlichen Propaganda dienen. Eine Vereinigung
beider Gesichtspunkte wird, wie die Erfahrungen in
Deutschland gezeigt haben, stets zu großen Schwierig-
keiten führen. Das rein künstlerische Ziel kann nicht
mit der Anerkennung des Tagespublikums rechnen.
Das geschäftliche Ziel hingegen ist auf diese Aner-
kennung angewiesen. Will man beide Ziele ver-
einigen, so gelangt man zu Kompromissen, die vom
künstlerischen Standpunkte aus unbedingt bedenklich
werden müssen. Die Vorgänge in Deutschland haben
gezeigt, daß das beste Können auf einer Kunstge-
werbeausstellung nur in Erscheinung treten kann,
wenn auf der Ausstellung die Künstler die Führen-
den sind. Dies war z. B. der Fall in Darmstadt 1902,
in Dresden 1906 und in München 1908. Nur durch
diese Organisation ist es möglich geworden, den
durchaus künstlerischen Charakter der Ausstellungen
zu wahren und den Grad der Vollkommenheit zu er-
reichen, der diese Ausstellungen vom künstlerischen
Standpunkte ausgezeichnet hat. a
a In Stockholm sind, wie es scheint, die eigent-
lichen Veranstalter und Aussteller vorwiegend Handels-
firmen. Das allgemeine Niveau der ausgestellten
Gegenstände, wie es namentlich in den Zimmerein-
richtungen, Beleuchtungskörpern usw. in Erscheinung
tritt, ist, diesen Gesichtspunkt in Betracht gezogen,
durchaus ermutigend und gibt zu eigentlichen Klagen
keine Veranlassung. Man kann sich aber nicht ver-
hehlen, daß, wenn die in Stockholm tätigen Archi-
tekten herangezogen worden wären, der künstlerische
Charakter der ausgestellten Räume ein höherer ge-
wesen sein würde und daß mehr originelle Leistungen
zutage getreten wären, als es sonst der Fall ist.
Wenn man die besten Leistungen der jüngeren
schwedischen Architekten kennen gelernt hat, so ist
kein Zweifel daran möglich, daß auch in Schweden
genug Kräfte vorhanden sind, um einer Kunstgewerbe-
ausstellung mit Hilfe dieser Kräfte ein höheres Ge-
präge aufzudrücken. Es wäre sicherlich möglich ge-
wesen, eine größere Anzahl von Räumen auszustellen,
 
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